AnalyseAuf Gedeih und Verderb: Wie die Krise im Bausektor die Wohnungskrise übertüncht

Analyse / Auf Gedeih und Verderb: Wie die Krise im Bausektor die Wohnungskrise übertüncht
Der Bausektor in Luxemburg ist offiziell in der Krise angekommen Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Das Bauwesen in Luxemburg ist offiziell in der Krise angekommen. Wie bereits seit längerer Zeit erwartet. Ende September 2023 zählte der Sektor fast 800 Arbeitsplätze weniger als im Dezember 2022. Auf eine zaghaft eintretende Besserung darf nun gehofft werden. Das Grundproblem bleibt jedoch ungelöst: eine hohe Nachfrage nach Wohnraum bei gleichzeitig unbezahlbar bleibenden Preisen.

Erstmals seit mehr als zehn Jahren sind die Wohnungspreise in Luxemburg am Fallen. Und das sehr deutlich. Im Schnitt lagen sie laut Statec Ende September spürbare 13,6 Prozent unter denen des Vorjahres.

Doch Grund zur Freude ist dies nicht. Die fallenden Preise werden nicht dazu beitragen, Wohnen in Luxemburg erschwinglicher zu machen. Ganz im Gegenteil: Sie sind nur ein Zeichen einer größeren Krise. Diese wurde durch die russischen Vorbereitungen für den Überfall der Ukraine ausgelöst: Die Energiepreise begannen stark zu steigen. Die anderen Preise, etwa im Bausektor, folgten. Europas Zentralbank musste die Leitzinsen erhöhen, um die Preissteigerungen einzudämmen. Immobilienkredite wurden spürbar teurer.

Die Verteuerung von Krediten durch die gestiegenen Zinsen ist deutlich höher als die etwas niedrigeren Immobilienpreise. Für interessierte Käufer ist es, als seien die Preise einfach weiter gestiegen. Die durchschnittlichen Zinskosten für neue Immobilienkredite mit einem variablen Zinssatz lagen im Mai 2022 noch bei überaus günstigen 1,36 Prozent. Im November 2023 betrugen sie im Schnitt 4,73 Prozent.

Fast niemand will verkaufen

Hinzu kam, dass die Preise für Wohnungen bereits auf einem Rekordniveau angekommen waren. In den Jahren 2019 bis 2021 waren sie rasant, um mehr als zehn Prozent, pro Jahr gestiegen, 2022 noch um fast zehn Prozent (9,6 Prozent). Bereits fast unerschwingliche Wohnungen sind nun gänzlich unbezahlbar geworden.

Die Preise senken, billiger verkaufen will jedoch fast niemand. Nur die Menschen, die verkaufen mussten, haben Anpassungen nach unten hinnehmen müssen. Die meisten Besitzer können sich jedoch erlauben, abzuwarten und auf wieder bessere Zeiten zu hoffen. Geschrumpft sind vor allem das Angebot und die Zahl der Verkäufe.

Im Bereich der im Bau befindlichen Wohnungen beispielsweise ist die Anzahl der Transaktionen in den letzten drei Quartalen besonders stark gefallen. Zwischen Juli und September wurden nur noch 119 Verkäufe gezählt. Das ist mehr als fünfmal niedriger als der Durchschnitt der Jahre vor der Pandemie (671 Verkäufe von im Bau befindlichen Wohnungen im 3. Quartal im Durchschnitt der Jahr 2017 bis 2019).

Bausektor ist Opfer vieler Krisen

Die Folgen dieser Ansammlung an ungünstigen Entwicklungen spürt auch der Bausektor. Seit Ende Januar befindet er sich offiziell in der Krise. Mit dieser Feststellung der Regierung haben die Betriebe aus den definierten Branche nun die Möglichkeit, Kurzarbeit anzufragen. Das ist eine der bevorzugten Hilfsmaßnahmen der Luxemburger Regierung, um einem definierten, notleidenden Wirtschaftssektor zu helfen. Sowohl nach der Finanzkrise von 2008 als auch in der Corona-Zeit war das Instrument erfolgreich genutzt worden.

Die Krise kam nicht überraschend: Bereits im November 2022 hatte das Luxemburger Handwerk gewarnt, dass „die zunehmende Verunsicherung der Verbraucher zu einer rückläufigen Nachfrage bei den Handwerksbetrieben führt“. 2023 könnten bis zu 1.500 Wohnungen (von 3.800 auf 2.300 Einheiten) weniger gebaut werden, sagten sie. Private und institutionelle Investoren hielten sich zurück. Der Verband wünschte sich dringend Maßnahmen, um die Investitionen in den Wohnungsbau zu fördern und zu dynamisieren. Im Dezember wiesen Handwerkskammer und „Féderation des artisans“ dann mittels einer Pressekonferenz auf die „alarmierende Situation“ hin.

In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden im Bausektor rund 30 Prozent der Beschäftigten in Rente gehen
In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden im Bausektor rund 30 Prozent der Beschäftigten in Rente gehen Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Mitte 2023 kündigte die damalige Regierung ein Maßnahmenpaket von über 150 Millionen Euro für den Bausektor an. Mit einer Reihe unterschiedlicher Maßnahmen, die vor allem darauf abzielten, die energetische Sanierung von Gebäuden voranzutreiben und den Zugang zu Wohnraum zu verbessern, sollte das schwächelnde Bauwesen gestärkt werden. „Die Baubranche befindet sich in einer Talsohle und die Perspektiven für 2023 und 2024 sind nicht gut“, so Wirtschaftsminister Franz Fayot damals. „Dieses Konjunkturtief gilt es zu überwinden.“

Zu wenig Geld investiert

In der Branche sorgte das nicht für Beruhigung. Keinen Monat später, Anfang Juli, beriefen Handwerkskammer und „Féderation des artisans“ erneut eine Pressekonferenz ein. Sie warnten vor „einer Krise von historischem Ausmaß“. Man habe leider feststellen müssen, „dass sich die Tendenzen von Ende 2022 leider bestätigt haben“. Es sehe sogar eher noch schlechter aus. Zwar habe sich die Branche nach der Covid-Krise „wieder etwas Speck aneignen können“, doch die Auftragsbücher seien mittlerweile leer. Dabei stehe man erst am Anfang der Krise.

Aktuell seien Bauingenieurwesen und Rohbau betroffen, so der Sektor damals. Firmen, die beispielsweise im Innenausbau beschäftigt sind, hingegen noch nicht – „doch das wird noch kommen“, so die Branchenvertreter. In Zukunft rechne man mit einer weiteren Verschärfung der Lage. Es werde nicht mehr mit neuen Residenzen und Baustellen begonnen. Es stehe viel auf dem Spiel: Im Bauwesen sind rund 4.000 Firmen mit 60.000 Angestellten –  davon ein Drittel im Wohnungsbau – aktiv. Einer Schätzung zufolge könnten bis zu 4.600 Jobs „bedroht“ sein.

Seitdem hat sich die Lage nicht verbessert. Der Wohnungsmarkt hat sich noch nicht erholt. Die Haushalte nehmen sich heute deutlich weniger Immobilienkredite. Laut den Zahlen der Luxemburger Zentralbank ist das Volumen der monatlich neuen Immobilienkrediten von etwa 700 Millionen Mitte 2022 auf 360 im November regelrecht abgestürzt – auf das gleiche Niveau wie zuletzt im Jahr 2014. Dazwischen war Ende 2020 ein Rekordvolumen von einer Milliarde an neuen Krediten in einem Monat erreicht worden.

Fast 800 Jobs weniger

Auch auf dem Markt für Büroimmobilien dreht es nicht mehr so rund. Den Immobilienspezialisten von JLL zufolge hat die fehlende Sichtbarkeit der Finanzierungskosten institutionelle Anleger in andere Bereiche verdrängt. In Luxemburg ist das Investitionsvolumen 2023 um 36 Prozent auf nur noch 531 Millionen Euro gesunken. Zwischen 2018 und 2022 waren es im Schnitt 1.440 Millionen pro Jahr. Gleichzeitig erweist sich auch der Vermietungsmarkt als ungewöhnlich schwach. Die Leerstandsrate ist von 3,5 auf 4,2 Prozent gestiegen. Im Jahr 2024 könne sie noch leicht weitersteigen, glaubt JLL.

Die Folgen dieser Entwicklung sich mittlerweile sowohl bei der Zahl der Unternehmenspleiten als auch bei der Zahl der Angestellten im Sektor sichtbar. So ist die Zahl der Pleiten insgesamt hierzulande 2023 zwar um sechs Prozent auf 944 gefallen, im Bausektor allein jedoch um 34,8 Prozent auf 155 Fälle gestiegen, wie die Zahlen von Creditreform zeigen. Zu den bekannteren Namen zählten 2023 Cenaro Group, Manuel Cardoso Sàrl. und Decorlux Sàrl.

Bei der Zahl der Beschäftigten sind die Folge der ausbleibenden Investitionen ebenfalls bereits sichtbar. Laut den jüngsten Statec-Zahlen zählte das Bauwesen Ende September (saisonbereinigt) insgesamt 51.020 Mitarbeiter. Ende 2022 waren es noch 51.808. Das sind fast 800 Personen weniger. Erstmals über 51.000 gestiegen war die Zahl im Jahr 2022.

Bis heute dürfte die Zahl der Angestellten derweil noch weiter gefallen sein. Die Stimmung bleibt schlecht. Allein mit einem Sozialplan bei der Baufirma Stugalux Construction S.A. sollen bis zu 65 Personen entlassen werden.

Schlimmer als Covid- und Finanzkrise

Beim traditionellen „Pot des présidents“ der Handwerkskammer war Ende Januar keine Verbesserung bei der Stimmung zu vernehmen. „Eine historische Krise im Baugewerbe kündigt sich an. Die Stimmung im Handwerk ist nicht gut.“ Die Krise im Bauwesen wirke sich auch auf andere Branchen aus.

Dabei liege „das Ausmaß der Baukrise bereits heute über dem, was wir mit Finanz- und Covid-Krise erlebt haben“, unterstrich Tom Oberweis, Präsident der Kammer. Wegen der schwierigen konjunkturellen Lage sei es bereits heute für viele Betriebe nicht mehr möglich, genug Arbeit für alle Mitarbeiter zu haben. In einigen Jahren dann werden die vielen Angestellten, die heute nicht eingestellt werden oder die den Wirtschaftssektor wechseln, fehlen. Dann nämlich wird es fast auf einen Schlag viele Renteneintritte geben. „Ein solches Szenario muss unbedingt vermieden werden“, warnte Oberweis. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden rund 30 Prozent der Beschäftigten in Rente gehen.

Hoffen auf Staat und fallende Zinsen

Zufrieden gibt man sich mit dem gerade angekündigten Maßnahmenpaket der neuen Regierung, wie etwa der Möglichkeit, Kurzarbeit anzufragen. So können Mitarbeiter den Gang in die Arbeitslosigkeit vermeiden und der Betrieb könne die Fachkräfte halten. Die Handwerkskammer „begrüßt die auf ein Jahr ausgelegten steuerlichen Anreize, um die Investitionen in den Stein zu dynamisieren, wie auch die strukturellen Maßnahmen, um Privatpersonen beim Zugang zu eigenem Wohnraum zu unterstützen“.

Mit einem Sozialplan bei der Baufirma Stugalux Construction S.A. sollen bis zu 65 Personen entlassen werden
Mit einem Sozialplan bei der Baufirma Stugalux Construction S.A. sollen bis zu 65 Personen entlassen werden Foto: Editpress/Julien Garroy

Die Baubranche ist der fünftwichtigste Sektor für die Zahl der Angestellten in Luxemburg. Mit je über 100.000 Beschäftigten sind der Handel und die öffentliche Verwaltung die beiden gewichtigsten Sektoren. Dahinter folgen der Bereich der Unternehmensdienstleistungen mit etwas mehr als 80.000 Jobs und das Finanzwesen (fast 55.000).

Was die Zukunft des Luxemburger Wohnungsmarktes angehe, gebe es nach wie vor viele Ungewissheiten, meinte Laurent Zahles, Geschäftsführer von Raiffeisen, in einem Gespräch mit dem Tageblatt. Mit einer deutlichen, kurzfristigen Verbesserung im Kredit- und Immobilienmarkt rechnet er 2024 nicht. „Der Markt wird schwierig bleiben. Die Nachfrage der Haushalte nach neuen Immobilienkrediten stagniert zu Jahresbeginn auf niedrigem Niveau.“ Die Bank rechnet 2024 mit ähnlich wenigen neuen Dossiers wie 2023.

Zaghaft vorsichtiger Optimismus

Pessimistisch will er jedoch auch nicht sein. „Mal sehen, was künftig mit den Leitzinsen und mit staatlichen Maßnahmen passieren wird“, sagt er mit einer gewissen Hoffnung. Immerhin sei der Bedarf, die Nachfrage nach Wohnraum ja weiterhin hoch. „Nur warten die Leute ab. Wir sind wohl jetzt in der Talsohle. Ich hoffe, dass staatliche Initiativen das Vertrauen der Kunden wieder ankurbeln können.“

Auch beim statistischen Institut Statec hofft man auf fallende Leitzinsen. Nach einer kleinen Rezession von minus einem Prozent soll die Wirtschaftsleistung 2024 dann wieder um zwei Prozent zulegen. Die Hoffnung auf fallende Zinsen teilt Statec mit vielen Marktbeobachtern, die hervorheben, dass die Inflationsrate heute nicht mehr so hoch ist wie noch vor einem Jahr und dass der Bedarf für hohe Zinsen demnach nicht mehr gegeben ist.

Der Immobiliensektor des Landes weist für das Jahr 2024 das Potenzial für eine Erholung auf, glaubt auch Nicolas Sopel, Chefvolkswirt der Luxemburger Bank Quintet. „Dies gilt vor allem für die Zeit nach den zur Jahresmitte erwarteten Zinssenkungen durch die Europäische Zentralbank. Zusätzliche Unterstützung dürfte der Sektor durch die allmähliche Lockerung der Finanzierungsbedingungen und eine breitere gesamtwirtschaftliche Erholung erfahren.“

Immobilienpreise in Luxemburg haben demnach 2024 laut Quintet Erholungspotenzial. Doch auch wenn sich die Lage für das Bauwesen in den kommenden Monaten wieder leicht verbessern sollte, so wird sich am Grundproblem des schwierigen Wohnungsmarktes wohl kaum etwas ändern.

Das Grundproblem bleibt ungelöst

Die von der Regierung angekündigten Maßnahmen, wie etwa ein mehrjähriges Finanzpaket (von 2024 bis 2027) in Höhe von 480 Millionen Euro für etwa 800 Wohnungen, sind wohl Schritte in die richtige Richtung. Sie helfen dem Bauwesen mit Projekten über eine schwierige Zeit hinweg, reichen aber niemals aus, um das Grundproblem von einem zu kleinen Angebot an (bezahlbarem) Wohnraum zu lösen.

Bereits 1991 hieß es in einer Studie, dass in Luxemburg zwischen 6.600 und 30.000 Wohnungen fehlen. Um die weiter auseinandergehende Schere zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen, müssen jährlich mehr als 3.200 zusätzliche Wohnungen gebaut werden. Geschlossen wurde diese Lücke nie. Gleichzeitig wächst die Nachfrage immer weiter. Statec geht davon aus, dass die Zahl der Jobs auch 2024 wieder steigen wird, wenn auch langsamer als bisher.

Gemeinsam mit dem nächsten Wirtschaftsaufschwung kann sich die Politik dann, wie bereits während Jahrzehnten, wieder voll dem Thema der Schwierigkeiten der Wohnungskrise widmen.


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Grober J-P.
12. Februar 2024 - 10.44

"doch die Auftragsbücher seien mittlerweile leer." Kein Wunder, wenn man sich nicht um Aufträge bemüht, und wenn doch, die "Ware" zu utopischen Preisen angeboten wird. Meine Statistik 2023. 1.Fall: 12 Anfragen zu Wärmepumpen, 4 Antworten, davon 2 sehr detailliert. 2. Fall: Balkonsanierung, 5 Anfragen, 3 Antworten, 1 davon "du simple au double", ähnlich bei Dach und Fassadenreinigung. Mir scheint als wolle man bewusst Konkurse in Kauf nehmen. Der Müller aus einem Nordstädtchen soll mal gesagt haben "zweemol verbrannt an eemol faillite, bass de een gemachte Mann" dito mein Opa! :-) Die Mühle ist wirklich abgebrannt, war das ein Spektakel.