GewerkschaftPriorität dem Kollektivvertrag: Nora Back sieht schwierige Zeiten auf Gewerkschaften zukommen

Gewerkschaft / Priorität dem Kollektivvertrag: Nora Back sieht schwierige Zeiten auf Gewerkschaften zukommen
Der OGBL blickt laut Präsidentin Nora Back auf ein bewegtes Jahr zurück Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Regierungswechsel, 100 Jahre Arbeitnehmerkammer und zwei große Streiks: OGBL-Präsidentin Nora Back blickt anlässlich des 1. Mai auf zentrale Momente der vergangenen zwölf Monate zurück.


Reagan, Thatcher, Frieden

Die Wahlen haben die politische Tagesaktualität des Landes im vergangenen Jahr geprägt – und damit auch den OGBL auf Trab gehalten. „Von der Politik hängt letztendlich alles ab“, sagt Nora Back und nennt unter anderem das Arbeitsrecht, die Zukunft des Gesundheitswesens, die soziale Sicherheit, die Steuerpolitik und die Renten. „Ich wiederhole es immer wieder: Wir sind politisch neutral, jedoch nicht apolitisch.“ Und das bedeute, dass man sich als Gewerkschaft dann auch mit all den Themen auseinandersetzen müsse.

Nora Back stellt den CSV-Premierminister in eine Reihe mit Thatcher und Reagan
Nora Back stellt den CSV-Premierminister in eine Reihe mit Thatcher und Reagan Foto: Editpress/Alain Rischard

Noch bevor die Parteien ihre Wahlprogramme präsentiert hatten, hatte der OGBL seinen Forderungskatalog vorgestellt und an alle Parteien geschickt. Anschließend habe man alle Wahlprogramme analysiert. „Einige der Parteiprogramme haben uns ganz gut gefallen“, sagt Nora Back. Bei anderen wiederum sei man erschrocken, wie sehr diese gegen die Prinzipien der Gewerkschaft verstießen. „Das waren dann tatsächlich die von der DP und der CSV.“

Ein Eindruck, der sich im Anschluss an die Wahlen recht schnell bestätigte. „Uns wurde vorgeworfen, wir würden der Regierung keine Chance lassen“, erinnert sich Nora Back an die Anfangszeit der CSV-DP-Regierung im vergangenen November. Jedoch sollte sie mit ihrem ersten Eindruck recht behalten: „Gerade in puncto Arbeitsrecht wurde das aus unserer Sicht schlimmere Parteiprogramm der DP integral im Koalitionsprogramm übernommen.“ Die „Trickle down“-Vorstellungen der Regierung werde man aber auch weiter anprangern. Das habe noch nirgends auf der Welt funktioniert, meint Back und stellt den Luxemburger Regierungschef Luc Frieden in eine Reihe mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan und der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. „Und das spiegelt sich in der aktuellen Politik wider“, verweist Nora Back auf die bereits angekündigten Steuererleichterungen für Unternehmen.

Der OGBL habe nie Wahlempfehlungen gegeben. Im vergangenen Doppelwahljahr brach OGBL-Präsidentin Nora Back im Tageblatt-Interview zum 1. Mai jedoch mit dieser Tradition. „Einzige Ausnahme bleibt die Wahlempfehlung gegen die CSV, als sich diese gegen den Index ausgesprochen hat“, sagte Back damals. Zwölf Monate und eine Parlamentswahl später ist genau jene Partei wieder an der Macht. „Es werden harte Zeiten“, sagt Nora Back. Vielmehr sieht sich die Gewerkschaftspräsidentin in ihrer Position bestätigt und verweist auf das Bettelverbot. „Das vermittelt keine Zuversicht für die Zukunft.“ 

Protestaktion des OGBL 2022, nachdem die Tripartite beschlossen hatte, die Auszahlung von Indextranchen zu verschieben
Protestaktion des OGBL 2022, nachdem die Tripartite beschlossen hatte, die Auszahlung von Indextranchen zu verschieben Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Stockender Sozialdialog

Nora Back (OGBL) und Patrick Dury (LCGB) während der „Phase des Zuhörens“ der Koalitionsverhandlungen auf Schloss Senningen
Nora Back (OGBL) und Patrick Dury (LCGB) während der „Phase des Zuhörens“ der Koalitionsverhandlungen auf Schloss Senningen Foto: Editpress/Hervé Montaigu

„Es wird vonseiten der Regierung immer wieder betont, wie wichtig der Sozialdialog ist“, sagt Nora Back. Der OGBL-Präsidentin fehlt es aber bisher an der konkreten Umsetzung. „Man hat schon bei dem ein oder anderen Zusammentreffen gespürt, dass eine Zusammenarbeit sehr schwierig wird.“ Ein konkretes Beispiel dafür sei die Diskussion rund um die Energiepreise. „Die Vorgängerregierung hat eine Tripartite einberufen“, sagt Back. Jetzt laufe es wohl auf eine unilaterale Entscheidung der Regierung hinaus.

Das rezente Treffen der Sozialpartner im Rahmen des europäischen Semesters habe diesen Eindruck verstärkt. „Das ist noch immer eine Show-Veranstaltung gewesen, die von der Europäischen Kommission vorgeschrieben ist“, sagt Back. In drei Sitzungen werde mit den Sozialpartnern das „Stabilitäts- und Wachstumspaket“ und das „Nationale Reformprogramm“ diskutiert. Bei der diesjährigen Ausgabe sei jedoch eine der zwei Sitzungen weggefallen und die Sozialpartner hätten sich abschließend mit einem bereits fertig geschriebenen Text abfinden müssen. „Es war noch viel mehr eine Alibi-Veranstaltung als in den vergangenen Jahren.“


Streik-Renaissance

Zwei große Streiks dominierten die Schlagzeilen des OGBL im vergangenen Jahr: Cargolux und Ampacet. Der Streik bei der Frachtfluggesellschaft Cargolux wurde zusammen mit den Gewerkschaftskollegen des LCGB geführt. Der Streik bei Ampacet musste der OGBL alleine führen – und sollte historische Ausmaße annehmen. Erst nach 25 Streiktagen konnte die Geschäftsführung bei Ampacet zum Einlenken gebracht werden. Damit war der Arbeitskampf beim Plastikgranulat-Hersteller der zweitlängste in der Luxemburger Geschichte. Nur der Streik der Fliesenleger aus dem Jahr 1995 dauerte noch drei Tage länger.

Eine organisatorische und auch finanzielle Herausforderung für den OGBL. „Natürlich hätten wir das gerne anders gelöst“, sagt Back. Am Verhandlungstisch sei jedoch über ein Jahr lang kein Fortschritt zu erkennen gewesen. Ganz im Gegenteil kündigte die Geschäftsführung den Kollektivvertrag einseitig auf. „So hart die Tage in der Kälte und bei Schnee und Regen auch waren: Wir würden es noch einmal machen.“

Dass sich die Geschäftsführung nach dem Streik aus Luxemburg zurückziehen will, glaubt die Gewerkschafterin nicht. „Das ist doch das ewig gleiche Narrativ“, sagt Back. Es kommen immer wieder Unternehmen nach Luxemburg, eben weil es für sie sehr attraktiv sei. Gute Arbeitsbedingungen am Standort Luxemburg seien demnach eher förderlich. Daran würden auch die rezenten Mobilisierungen der Gewerkschaften nichts ändern. „Der Untergang des Finanzplatzes wird schon seit Ewigkeiten herbeigeredet, weil Luxemburg den Index hat“, sagt Back. „Das ist lediglich ein Versuch, die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer zu schwächen.“

Der Streik bei Ampacet war der zweitlängste in der Luxemburger Geschichte
Der Streik bei Ampacet war der zweitlängste in der Luxemburger Geschichte Foto: Editpress/Alain Rischard

Quo vadis Luxemburger Luftfahrt?

Der OGBL hat in einem Presseschreiben am Montag angekündigt, am Freitag eine Mahnwache bei der Luxair abhalten zu wollen. Im vergangenen Jahr kam es aufgrund von Kollektivvertragsverhandlungen bei der Cargolux ebenfalls zu einem Streik. Ein Sektor in der Krise? „Es sind zwei sehr unterschiedliche Dossiers“, sagt Nora Back. Auf der einen Seite habe man die Cargolux, die sich trotz Rekordgewinn in der Corona-Pandemie bei den Kollektivvertragsverhandlungen querstellte. Bei der Luxair habe man derzeit die Situation, dass zahlreiche Mitarbeiter im Cargocenter einer unsicheren Zukunft entgegenblicken würden. Zudem würden diese Mitarbeiter im Cargocenter zukünftig nicht mehr unter den bei der Luxair geltenden Kollektivvertrag fallen. Und auch da deuten sich schwierige Verhandlungen an, weswegen der OGBL am Freitag diese Mahnwache veranstaltet.

Der Streik bei der Cargolux wurde zusammen mit dem LCGB geführt
Der Streik bei der Cargolux wurde zusammen mit dem LCGB geführt Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Rechtliche Akzente

Nora Back nennt gegenüber dem Tageblatt die Reform der Kollektivvertragsgesetzgebung als absolute Priorität der nahen Zukunft. „Es gibt eine europäische Direktive, die vorschreibt, dass 80 Prozent der Arbeitnehmerschaft durch einen Kollektivvertrag abgesichert sein muss.“ Luxemburg liege derzeit bei 50 Prozent – und Fortschritte seien in der Hinsicht mit der jetzigen Gesetzgebung nicht zu erreichen. „Dem dürfte eigentlich nichts mehr im Weg stehen.“ Eigentlich, denn: Vor allem die Arbeitgeberseite habe bisher eine Reform blockiert. „Und wir haben derzeit eine Regierung, die eher dem Patronat zugewandt ist“, konstatiert Back. „Wir appellieren deshalb an die Regierung, diese Reform schnellstmöglich anzugehen.“

Die Gewerkschaftspräsidentin stellt sich demnach auf sehr spannende Diskussionen ein. „Wir werden uns aber in der Zwischenzeit weiter dafür einsetzen.“ Man werde weiter Druck ausüben, um möglichst viele Kollektivverträge aushandeln zu können. „So ist es uns ja auch gelungen, einen Kollektivvertrag in der ,restauration collective‘ auszuhandeln.“ Mit Wehmut blickt Nora Back dann auch auf die vergangenen zehn Jahre zurück. „Vieles, was in den Koalitionsverträgen der vergangenen Regierungen stand, hätten wir uns gewünscht“, sagt die Gewerkschafterin. Davon sei aber längst nicht alles umgesetzt worden, sodass diese Projekte nun von einer deutlich liberaler eingestellten Regierung umgesetzt werden müssen.

Luxemburg brauche auch weiterhin gutes Personal und dementsprechend attraktive Lohn- und Arbeitsbedingungen. „Wir verhandeln mittlerweile 232 Kollektivverträge“, verweist Nora Back auf die Erfolge der Gewerkschaft. Mindestens genauso wichtig seien jedoch die „Plans de maintien dans l’emploi“, die bereits unzählige Entlassungen verhindert haben.


100 Jahre Arbeitnehmerkammer und Sozialwahlen

Bei den Sozialwahlen im März, die mit dem 100-jährigen Bestehen der Arbeitnehmerkammer in Luxemburg zusammenfiel, konnte der OGBL seine Vormachtstellung als stärkste Gewerkschaft in Luxemburg erneut festigen. Die „Chambre des salariés“ bezeichnet die OGBL-Präsidentin als eine Bereicherung und eine große Errungenschaft. „Wir sind eines der wenigen Länder, die eine institutionalisierte Arbeitnehmervertretung haben.“ Und diese gewähre dann auch den Gewerkschaften mehr Visibilität.

Dadurch dass die nationale Repräsentativität an den Ausgang der Sozialwahlen gekoppelt sei, sei es fundamental wichtig gewesen, dass der OGBL gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen sei. „Wir haben 61 Prozent der Stimmen geholt, der ganze Rest 39“, sagt Back. „Damit ist klar, dass der OGBL die stärkste Gewerkschaft im Land ist.“ Auch freut sich Nora Back, die neuen Gesichter innerhalb der Personaldelegationen am 1. Mai kennenzulernen. „Da entsteht dann auch wieder eine neue Dynamik.“

Die CSL feierte im Januar ihr 100-jähriges Bestehen
Die CSL feierte im Januar ihr 100-jähriges Bestehen Foto: Editpress/Julien Garroy

Gewerkschaftliche Solidarität über Grenzen hinweg

Der OGBL hat im Februar sein Kooperationsabkommen mit dem französischen Gewerkschaftsbund der „Confédération générale du travail“ (CGT) verlängert. „Wir stehen für die gleichen Werte“, so Nora Back bei der Unterzeichnung des Abkommens im Februar. Der OGBL hatte die CGT bei den Protesten aufgrund von Macrons Rentenreform finanziell und vor Ort unterstützt. „Es sind Kämpfe, die auch auf uns zukommen“, erklärte Back mit Blick auf die von der Regierung angekündigte Rentendebatte. „Wenn es nötig ist, werden wir hier mit euch zusammen auf die Straße gehen“, sicherte die CGT-Generalsekretärin Sophie Binet der Luxemburger Gewerkschaft bereits ihre Unterstützung zu.

„Die Kooperation über Grenzen hinweg ist so wichtig“, sagt Nora Back. Für Luxemburg noch mehr als für die größeren Länder. „Wir können als Luxemburger Gewerkschaft weniger erreichen, als wenn wir uns zusammenschließen.“ Der OGBL werde demnach zukünftig vermehrt auch außerhalb der Luxemburger Landesgrenzen aktiv werden. 

Mantoine-jacquet Carlo
30. April 2024 - 12.11

Am OPE haaten mir keng Gewerkschaft, eis Patroen waren Gewerkschaftler. An et ass keng Verbindung mamm OGBL gin.

JJ
30. April 2024 - 10.09

Aber wann hatten die Gewerkschaften keine schwierigen Zeiten? Vom "Gürtel enger schnallen" bis " Fanger ewech vum Index" war alles dabei. Alle Länder waren schon wenigstens einmal Pleite und ...es gibt sie immer noch. Wir werden von den Nachrichten Meschugge gemacht,Kriege,Umwelt,Klima,die Grünen,Trump,Vulkane,Hochwasser,Epidemien....und wisst ihr was? Es ging uns noch nie so gut wie heute. Schauen wir doch einmal 50 Jahre zurück. Die Flüsse stanken,Kriege jede Menge,Ozonlöcher,Waldsterben,an einer Coronapandemie wären doppelt soviele Menschen gestorben weil die Forschung noch nicht soweit war,die Motoren rauchten wie die Schlote und die Raucher in den Restaurants auch. Der Staat rief "Sparen" und die Gewerkschaften" mehr Geld". Heute rufen wir den Notarzt über's Handy egal wo wir gerade sind.Also bitte.Wir können morgen wieder aufstehen.Es lohnt sich immer noch.

Grober J-P.
30. April 2024 - 9.25

Tja, Frau Back, alle 40 Jahre wieder. 1982 haben wir auf der Strasse gestanden, da hatten Sie noch die Windeln an. Wer war damals am Ruder, na, na ? Habe das Gefühl wie wenn wir wieder zurückschreiten würden. Teilweise sind auch die roten Kollegen daran nicht unschuldig! Leider haben wir aus der Geschichte nix gelernt. Haben Sie noch einen Draht zum Casteg? :-)