Einblick in fast vergessene GeschichteDie Zeit vor der Stahlindustrie – in Audun-le-Tiche öffnet ein Geschichtsmuseum seine Tore

Einblick in fast vergessene Geschichte / Die Zeit vor der Stahlindustrie – in Audun-le-Tiche öffnet ein Geschichtsmuseum seine Tore
Nach vielen Monaten Arbeit ist die ehemalige protestantische Kirche komplett renoviert und beherbergt nun ein Museum mit Objekten von der Steinzeit bis zum 18. Jahrhundert  Foto: Editpress/Julien Garroy

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Wer mehr über die Geschichte des Luxemburger Südens, der Region um Esch/Alzette, erfahren will, der kann nun nach Audun-le-Tiche, Frankreich, fahren. Dort öffnet am 3. Juli, dem Tag der europäischen „Nuit des musées“, ein Museum über die lokale Geschichte seine Tore. Mit seiner direkten Nachbarstadt Esch verbindet Audun-le-Tiche tausende Jahre Geschichte.

Bereits in der frühen Steinzeit waren die Täler, und vor allem die Hügel, im Ursprungsland der Alzette von Menschen besiedelt. Von den frühen Bewohnern zeugen beispielsweise Jahrtausende alte Funde auf dem Katzenberg (Hügel zwischen Audun-le-Tiche und Ellergronn). Auf den Höhen fanden die Menschen eine gewisse Sicherheit und zahlreiche Quellen. Auch Eisen wurde hier bereits sehr früh, einige Hundert Jahre vor Christus, von den Kelten/Treverern, verarbeitet, wie einige im Museum ausgestellte Artefakte zeigen.

 Gallo-römische Statue, die in Audun-le-Tiche gefunden wurde
 Gallo-römische Statue, die in Audun-le-Tiche gefunden wurde Foto: Editpress/Julien Garroy

Zur Römerzeit erlebte die Gegend dann einen kleinen Boom. Zwar galt der „Tëtelbierg“ weiterhin als das unbestrittene Zentrum der Region, doch auch auf dem Gebiet des heutigen Audun entstand eine wohl ansehnliche Siedlung. Das viele Wasser der Umgebung nutzend wurden Termen und Tempel errichtet. Die Termen wurden sogar per Aquädukt mit Wasser versorgt, was dem Ort seinen Namen gab: Aquaeductus. Über die Jahrhunderte hinweg veränderte sich der Name, wurde erst zu Awdu, dann zu Audeu und später zu Audun.

Aus Aquaeductus wurde Audun

Ein kleiner unterirdische Teil der alten römischen Wasserversorgung ist heute noch sichtbar. Auch eine Reihe Statuen von römischen Göttern haben die Zeit überlebt – manche sind im Museum ausgestellt. Andere Statuen, etwa Teile einer großen Herkules-Statue, die neben einer der Quellen der Alzette gefunden wurde, sollen erst renoviert werden, ehe auch sie der Öffentlichkeit gezeigt werden soll. Auch wenn es heute nicht mehr vorstellbar ist, wurden dem Wasser der Alzette damals heilende Qualitäten zugesprochen.

Eine Grenze zwischen Luxemburg und Audun-le-Tiche gab es damals nicht. Viele auf Luxemburger Gebiet gefundene römische Statuen wurden aus hartem Kalkstein aus dem Steinbruch von Aquaeductus (Audun) gehauen. Wahrscheinlich wurden dort auch metallurgische Produkte hergestellt. Der Handel in der Region florierte. In Audun gefundene Münzen, die im Museum ausgestellt sind, wurden nachweislich auf dem „Tëtelbierg“ geprägt.

Museumsdirektor Luca Braccini
Museumsdirektor Luca Braccini Foto: Editpress/Julien Garroy

Initiator hinter dem neuen Museum ist der lokale Club der Geschichtsfreunde, Sahla („Société audunoise d’histoire locale et d’archéologie“), mit seinen rund 30 Mitgliedern. Bereits seit 1980 haben sie sich für ein lokales archäologisches Museum starkgemacht. Im Jahr 2011 hatte sich der Gemeinde dann eine Gelegenheit geboten. Für die Summe von nur einem Euro konnte sie die ehemalige protestantische Kirche erwerben – unter der Bedingung, sie zu erhalten, zu renovieren und eine kulturelle Stätte dort einzurichten. Gemeinsam haben unter anderem die Stadt Audun, die Region Grand Est und das Département Moselle seitdem 2,5 Millionen Euro investiert. Der Club Sahla hat seine Sammlung von mehr als tausend Objekten an das Museum/die Gemeinde übergeben und stellt die Mitarbeiter des Museums, die alle anfallenden Arbeiten auf ehrenamtlicher Basis übernehmen.

„Es war ein langer Kampf“

„Es war ein langer Kampf“, sagt Luca Braccini gegenüber dem Tageblatt. Nach Jahren Renovierungsarbeiten und Behördengängen ist die ehemalige protestantische Kirche nun komplett renoviert. Auf rund 300 m2 können die archäologischen Artefakte nun endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Eröffnung wurde immer wieder verschoben – zuletzt wegen der Corona-Krise. Der 23-Jährige ist seit 2020 Präsident der Sahla und damit auch automatisch Direktor des Museums. Auf ehrenamtlicher Basis natürlich – beruflich arbeitet er in Luxemburg als Verkäufer bei einer IT-Firma.

Archäologisch bekannt ist Audun jedoch für seinen Merowinger-Friedhof. Die Franken waren in der Region eine Art Nachfolger der Römer. Auf dem großen Friedhof aus dem 6. Jahrhundert wurden mehr als 200 Gräber gefunden, mit Waffen, Schmuck und anderen Beigaben. Eine der Besonderheiten der Stätte liegt darin, dass viele Gräber mit wiederverwendeten Steinen von ehemaligen römischen Gebäuden gebaut wurden. An eigenen Bauten hinterlassen haben die Merowinger eigentlich nichts, ihre Wohnungen waren aus Holz. Dank der archäologischen Ausgrabungen durch Sahla, die auch die Einstufung der Nekropole als historisches Denkmal erreicht hat, ist heute mehr über diese Epoche bekannt. „Damals gab es hier eine kleine Stadt und religiöse Aktivitäten“, erzählt Luca Braccini. „Wir fanden Spuren der einsetzenden Christianisierung – jedoch noch mit heidnischen Elementen. Die Merowinger imitierten die Römer, nutzten deren Steine, etwa für ihre Gräber.“ Viel des bis dahin vorhandenen Fachwissens geriet jedoch in Vergessenheit.

So ähnlich könnte das Hauptschloss in Audun mal ausgesehen haben
So ähnlich könnte das Hauptschloss in Audun mal ausgesehen haben

Später folgte das Feudalsystem und die Macht wurde von der römisch-katholischen Kirche und den großen Fürstenfamilien übernommen. Ab dem 13. Jahrhundert herrscht eine Sparte der Malberg-Familie (aus der Eifel) in und um Audun. Dort, wo früher die römischen Termen standen, errichteten sie eine Burg. Zwei weitere befestigte Anlagen soll es in der Umgegend gegeben haben. Heute ist von allen drei nichts mehr zu sehen. Das Hauptschloss war seit etwa 1625 verlassen und etwa 50 Jahre später wurden die Reste geschleift. An den damaligen Wohnsitz erinnert heute nur noch der Name eines Platzes in Audun: „place du Château“. Ob es sich bei den Fundamenten einer vor kurzem auf Escher Territorium gefundener Befestigungsanlage um eine der beiden anderen Burgen handelt, ist nicht bekannt.

Doch das Mittelalter war keine schöne Zeit für die Region. Wie die Stadt Esch wurde auch Audun mehrmals geplündert, zerstört und niedergebrannt. Auch das System der feudalen Leibeigenschaft, hohe Steuern und Epidemien gingen nicht spurlos an der lokalen Bevölkerung vorbei. Um das Jahr 1705 zählte Audun nur noch etwa 140 Einwohner. Aufwärts ging es erst wieder mit der aufkommenden Stahlindustrie (siehe Kasten).

Totenstadt der Merowinger als Ergänzung des Museums

Ein weiteres Detail der Geschichte, an das das Museum erinnert, ist die Geburt einer weltbekannten Firma: Im Jahr 1748 beschloss ein gewisser François Boch, seine Arbeit als Gießer aufzugeben, um in Audun (am Ort des ehemaligen Schlosses) einfache, billige Waren aus Keramik herzustellen. Unter anderem aufgrund der Qualität der Rohstoffe beschließt er, 1766 eine zweite Fabrik in Septfontaines (Luxemburg-Stadt) zu eröffnen. Mit den Jahren wurde das Familienunternehmen zum weltweit bekannten Konzern Villeroy & Boch. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Produktion in Audun eingestellt. In Luxemburg lief sie noch bis Juni 2010

Aktiv ist der Club heute jedoch nicht nur im Museum. Auch die Totenstadt der Merowinger beschäftigt ihn weiter. Zwar darf nicht mehr gegraben werden, doch Sahla kümmert sich um den Unterhalt und den Erhalt des Standortes. Aktuell arbeite man an der Renovierung der Fundamente des dortigen römischen Tempels, sagt Luca Braccini. „Wir werden einen Parcours durch die Städte bauen, mit Informationstafeln, und ein kleines Dach über den Tempel.“ Als Ergänzung des Museums. „Des Weiteren hoffen wir, neue archäologische Fundstätte zu finden“, so der Museumsdirektor weiter. Der Club hat offiziell das Recht, sich neue Fundorte anzuschauen und potenzielle archäologische Stätten zu identifizieren.

Esch zeigt kein Interesse an der eigenen Geschichte

Die frühe Geschichte von der Stadt auf der anderen Seite der Grenze, Esch, ist nicht weniger spannend. Jedoch hat die zweitgrößte Stadt Luxemburgs scheinbar kein Interesse an ihr. Man erinnert sich daran, dass ihr 1906 zum zweiten Mal die Stadtrechte verliehen wurden und dass die Stahlindustrie den Wohlstand brachte. Doch kaum jemand weiß, dass bereits 3.000 Jahre v. Chr. Menschen auf dem Gelände der Gemeinde lebten, dass es zu Zeiten der Kelten und der Römer wohl eine strategisch wichtige Brücke über die Alzette gab und dass lange vor der Industrialisierung (von etwa 500 v. Chr. bis 800 n. Chr.) bereits Eisen hergestellt wurde. Von dieser vergessenen Zeit zeugen tausende Artefakte, die vor vielen Jahren auf der „Gleicht“, unweit der Escher Waldschule, von den „Escher Geschichtsfrënn“ ausgegraben wurden. Gefunden wurde unter anderem, wie neben Audun, ein merowingischer Friedhof. Darunter sogar zwei Kriegerskelette in voller Montur.

Im Mittelalter, während einiger Jahrhunderte, war die freie Stadt Esch eine befestigte Stadt mit Festungsmauer und vier Türmen als Eingangstore. Doch auch diese Anlagen wurden geschleift, etwa zur gleichen Zeit wie das Schloss in Audun. Abgesehen vom roten Turm auf dem Stadtwappen (einer der vier Türme der Mauer) erinnert heute kaum noch etwas an diese Zeit. Auch gab es auf dem Gelände der Gemeinde mal mehrere Schlösser/Burgen. Doch während an das zwischen 1954 und 1956 abgerissene Schloss Berwart heute noch ein Turm erinnert, wurde die zweite Anlage erst vor kurzem wiederentdeckt. Ausgrabungen sind nicht geplant. 

Seit 25 Jahren ohne lokales Geschichtsmuseum

Von 1981 bis 1996 gab mal ein Museum für die lokale Geschichte der Minettemetropole. Betrieben wurde es vom Verein der „Escher Geschichtsfrënn“. Aus finanziellen Gründen wurde es dann jedoch von der Gemeinde aufgelöst – und das Gebäude verkauft. Seitdem ersucht der Verein immer wieder bei der Gemeinde um Räumlichkeiten. Vergebens. Von den Sammlungsstücken, die in Kellern einer Schule gelagert wurden, wurden zwischenzeitlich viele (bei einem Rohrbruch) zerstört und andere gestohlen, wie Tageblatt-Berichten aus den vergangenen Jahren zu entnehmen ist. Die Erinnerung ist es scheinbar nicht wert, gepflegt zu werden.  Auch im Rahmen von Esch2022 ist wohl kein historisches Projekt geplant. Für das Kulturjahr 2022 hatte der Club ein Projekt eingereicht. Das wurde jedoch nicht angenommen. Dabei hat sich die Stadt vor rund einem Jahr sogar eine Tourismusstrategie gegeben.

Trotzdem dürfen die „Escher Geschichtsfrënn“ wieder hoffen. Vielleicht, wenn in einigen Jahren die Stadt das Gebäude von Luxcontrol (gegenüber dem „Conservatoire de musique“) übernimmt, wird sich der eine oder andere Raum für die Geschichte finden. Die Gemeindeverantwortlichen haben dem Club jedenfalls das Erdgeschoss von dem Gebäude versprochen. Das wird aber frühestens im Jahr 2023 frei werden.

In der Zwischenzeit können Geschichtsinteressierte nun nach Audun. Immerhin ist die Geschichte der Grenzstadt eng mit der luxemburgischen verbunden. Mit dem Zug ist das Städtchen von Esch aus innerhalb von weniger als fünf Minuten zu erreichen. Zumindest so lange wie der Zug noch fahren darf – im Luxemburger Transportministerium mag man die Strecke nicht mehr. Vom Bahnhof aus sind es dann nur noch einige Hundert Meter bis zum Geschichtsmuseum.

Das Museum

Adresse:
Musée archéologique d’Audun-le-Tiche
32, rue du Maréchal Foch
F-57390 Audun-le-Tiche

Öffnungszeiten:
Mittwoch, Samstag und Sonntag von 14.00 bis 17.30 Uhr
Alle Feiertage außer 25. Dezember und 1. Januar
Nach Vereinbarung für Gruppen und Klassen

Eintrittspreis:
Erwachsene: 3 Euro; Kinder ab 12: 2 Euro
Kleinkinder und Schulklassen: gratis

Weitere Infos:
www.sahla.fr

Die Rolle der Stahlindustrie

Als nach 1850 die Stahlindustrie der Gegend neues Leben einhauchte, war es für Audun keine Zerstörung der Vergangenheit. Im Gegensatz zu anderen Orten hat das Aufkommen der Stahlindustrie die frühe Geschichte nicht verdrängt, sondern gefördert.

Dazu trug bei, dass die Industrie aus dem Ort, der um 1800 gerade mal 400 Einwohner zählte, zu einer Stadt wurde. Um 1900 lebten bereits fast 4.000 Einwohner in Audun, 1962 wurde der bisherige Höchststand (8.522 Einwohner) gezählt. „Dank der Arbeiten wurden viele archäologische Stätten entdeckt“, sagt Luca Braccini. Etwa der Merowingerfriedhof. „Die Stahlindustrie hat uns geholfen, unsere Vergangenheit wiederzuentdecken.“

Nachdem 1964 der letzte Hochofen stillgelegt und 1997 die letzte Eisenmine geschlossen wurde, schrumpfte die Zahl der Einwohner wieder – auf 5.757 im Jahr 1999. Dank der Luxemburger Wirtschaft und dem hohen Bedarf an Grenzgängern ist die Zahl der Einwohner danach wieder gestiegen: auf fast 7.000 im Jahr 2018.

Hexenverfolgungen

Ein Artefakt, das im Museum besichtigt werden kann, ist der Grabstein einer Zimmerzofe der Familie Malstein. „Ihr Mann war der lokale Inquisitor“, erklärt Luca Braccini. „Zwischen den 16. und dem 18. Jahrhundert wurden in Audun mehr als 35 Personen wegen Hexerei verurteilt und auf dem Katzenberg hingerichtet. Mal erhängt, mal verbrannt.“ Der Denunziant hat danach einen Teil des Vermögens des Verurteilten erhalten. Teils reichte es, einen Schönheitsfleck an der falschen Stelle zu haben, um verurteilt zu werden. Auf dem gegenüberliegendem Hügel, dem „Gaalgebierg“, richtete derweil Esch seine Verurteilten hin.

Blick in den Hauptsaal des neuen Museums
Blick in den Hauptsaal des neuen Museums Foto: Editpress/Julien Garroy

Patridiot
3. Juli 2021 - 19.06

@Realist. Dir vergiesst dass eis Gemengeféierung aus engem Konschturner , Futballartist ,Gesonheets- , Geriichts- an Sozialkönschtler zesummen geaat ass , déi eiser Staat , dorënner nach e puer aal vulnerabler Stackescher , den Titel Cultour- an Konschthaapstaat fun ganz Europa an Lëtzebuerg anbruescht huet. Dogeent ass den Duerfmuseum an deem klengen Deitsch-Ooth nët nennenswert, oder ?

Realist
3. Juli 2021 - 7.51

@Martine: An dobäi ass et zu Esch weder mat de Stroossen, nach mat der Konscht wäit hier...

Claude Oswald
2. Juli 2021 - 18.05

Et wier net schlecht, wann se zu Audun och déi rezent Vergaangenheet net vergiesse géifen. Ech denken un d'Stolindustrie, un d'Eisebunn ...

Martine
2. Juli 2021 - 17.43

Esch setzt leiwer op Streetart

Marc S.
2. Juli 2021 - 17.39

Daat klengt Audun ass mam gudde Beispill virgaangen...