Stadt-GeschichteDie vergessenen vier Türme der freien Stadt Esch

Stadt-Geschichte / Die vergessenen vier Türme der freien Stadt Esch

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Wer Esch hört, der denkt an Stahl, Eisen, Hochöfen. Eine stolze mittelalterliche Stadtmauer kommt den Wenigsten in den Sinn. Dabei weist der rote Turm auf dem Stadtwappen auf sie hin.

Dass der Ort eigentlich auf eine fast tausendjährige Stadtgeschichte zurückblicken kann, ist heute ziemlich vergessen. Auch, dass die Stadt während Jahrhunderten als freie Stadt galt und im Mittelalter eine beachtliche Stadtmauer hatte, ist aus der Erinnerung verschwunden.

So wie der Turm auf dieser Postkarte hat der rote Turm einmal ausgesehen. Auf dem Bild zu sehen ist ein Nachbau, der zum 50. Geburtstag der Stadt im Schlassgoart errichtet wurde. Ein Foto des echten Turms dürfte es nicht geben, da dieser 1826 abgerissen wurde.
So wie der Turm auf dieser Postkarte hat der rote Turm einmal ausgesehen. Auf dem Bild zu sehen ist ein Nachbau, der zum 50. Geburtstag der Stadt im Schlassgoart errichtet wurde. Ein Foto des echten Turms dürfte es nicht geben, da dieser 1826 abgerissen wurde. Alte Postkarte: Messageries Paul Kraus

Die historischen Stadtrechte hatte Esch jedoch vor rund 200 Jahren, im Rahmen der Französischen Revolution, verloren. Offiziell ist Esch erst seit dem Jahr 1906 eine Stadt.

Die befestigte Stadt Esch im Jahr 1570
Die befestigte Stadt Esch im Jahr 1570 Bild: La Ville d’Esch de 1839 à 1939. Centenaire de l’Indépendance. Esch-sur-Alzette, imprimerie coopérative, 1940 

Wann genau Esch zum ersten Mal den Titel als freie Stadt erhielt, ist heute unklar. Das Dokument ging, wie viele andere, verloren. Historiker schätzen, dass es nach 1280, aber vor 1311 war. Möglicherweise von Johann dem Blinden. Ein Dokument aus dem Jahr 1311 zeigt Esch als eine „Stadt in Freiheit“, die direkt dem Grafen von Luxemburg unterstellt war. Das wird von einem weiteren Dokument aus dem Jahr 1338 bestätigt.

Bereits einige Jahrzehnte vorher soll Esch mit dem Bau der steinernen Festungsmauer begonnen haben. Diese hatte einen Umfang von rund 1,2 Kilometern und vier mächtige viereckige Eingangstürme. Um 1310 soll die Anlage fertig gewesen sein. Es waren damals sehr unruhige Zeiten. 1325 waren Truppen von Metz bis nach Hesperingen eingefallen und hatten über 40 Dörfer zerstört. Auch Esch wurde verwüstet. Die Mauer hat nicht geholfen.

Etwa zur gleichen Zeit wie die freie Stadt Esch wurde die Herrschaft Berwarts errichtet. In direkter Nachbarschaft zur Stadt. Es gab dort bereits seit langem einen Wehrturm. Zusammen sollten Stadt und Herrschaft als Bollwerk gegen Angriffe aus dem Süden wirken, glauben Historiker.

Doch trotz gemeinsamer Feinde wurde aus der Nachbarschaft keine Freundschaft. Zwischen den ungleichen Nachbarn kam es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu Rechtsstreitereien. Die freie Stadt Esch musste ihre Hoheitsrechte, wie beispielsweise die Gerichtsbarkeit, fortwährend verteidigen.

Als besiedelter Ort ist Esch noch viel älter. Die ersten Spuren werden auf zwei- bis dreitausend v.Chr. eingeschätzt. In keltischer Zeit wurde bereits Eisen geschmolzen. Es wird angenommen, dass sich eine befestigte Anlage neben einer Brücke über der Alzette befand, an der Kreuzung, wo die Alzette- und die Bahnhofsstraße aufeinandertreffen: Ein strategischer Ort auf einer alten Fernstraße der Treverer, zwischen Trier und Titelberg. Im Jahr 53 v.Chr. kamen die Römer. Danach folgten die Franken. Alle haben ihre Spuren in und um Esch hinterlassen.

In 360 Jahren 23-mal geplündert und niedergebrannt

Zurück zum Mittelalter: Dass eine Festungsmauer keine Garantie für Sicherheit war, musste speziell die freie Stadt Esch immer wieder schmerzlich erfahren. So beispielsweise 1443, als die Grafschaft Luxemburg endgültig von den Burgundern überrollt wurde.

An die Stadtmauer erinnern noch einige Straßennamen wie „rue des Remparts“ oder „rue du Fossé“ sowie der Verlauf einiger Straßen, bei denen der Grundriss der alten Mauer noch erkennbar ist. An den vier Punkten stand jeweils ein Eintrittsturm in die Stadt.
An die Stadtmauer erinnern noch einige Straßennamen wie „rue des Remparts“ oder „rue du Fossé“ sowie der Verlauf einiger Straßen, bei denen der Grundriss der alten Mauer noch erkennbar ist. An den vier Punkten stand jeweils ein Eintrittsturm in die Stadt. Bild: Tageblatt

In den folgenden Jahrzehnten wurde Esch Teil des spanischen Grenzgebiets mit Frankreich. In fast regelmäßigen Abständen wurde die Stadt geplündert, zerstört und niedergebrannt. Auch die Pest machte keinen Umweg um Esch.

Das folgende Jahrhundert wurde ebenfalls kein einfaches für die Bauern aus dem freien Esch. 1611 zählte die Stadt 82 Haushalte. Für das erlittene Unheil wurden Schuldige gesucht. 1625 steinigten die Bürger eine der Hexerei beschuldigte Frau, die eigentlich hätte verbannt werden sollen. Der 30-jährige Krieg ging nicht spurlos an Esch vorbei. Im Februar 1636 wurde die Stadt von Soldaten der Österreicher, die eigentlich Freunde hätten sein sollen, gestürmt. Im Oktober, auf ihrem Rückweg aus Frankreich, kamen sie wieder in Esch vorbei. Vier Jahre später wurde die Stadt erneut, diesmal von französischen Truppen, zerstört. 1656 zählte Esch gerade noch 46 Haushalte.

Insgesamt wurde Esch zwischen 1328 und 1688 satte 23 Mal und ausgeplündert und abgebrannt. Und jedes Mal ist die Stadt wieder auferstanden.

Stadtmauer wird geschleift

Das aktuelle Wappen der Stadt. Seine heutige Form und Farben wurden der Stadt am 11.5.1871 zuerkannt.
Das aktuelle Wappen der Stadt. Seine heutige Form und Farben wurden der Stadt am 11.5.1871 zuerkannt. Bild: Wiesel.lu

Nach einigen Jahrhunderten musste die Mauer geschleift werden. Über die Hintergründe sind zwei Geschichten im Umlauft: Laut Joseph Flies entschied der Graf von Monterrey am 1. August 1671 im Namen der herrschenden Spanier, dass die Mauer verschwinden sollte. Spanien sei nicht in der Lage, sie gegen Frankreich zu halten, so die Erklärung. Im gleichen Winter seien die Mauern dann gefallen. Laut der zweiten Version, wie sie auf Wikipedia und der Webseite der Stadt Esch zu lesen ist, hat Frankreichs König Louis XIV. die Schleifung im Jahr 1677 angeordnet.

Im Wappen der Stadt ist der Turm seit vielen Jahrhunderten vertreten.  Im Mittelalter sah es bereits ziemlich ähnlich (Farben unbekannt) aus. Der Turm ist demnach wohl ein Symbol für die befestigte, stolze freie Stadt, das Wasser unter dem Turm für die Alzette.
Im Wappen der Stadt ist der Turm seit vielen Jahrhunderten vertreten.  Im Mittelalter sah es bereits ziemlich ähnlich (Farben unbekannt) aus. Der Turm ist demnach wohl ein Symbol für die befestigte, stolze freie Stadt, das Wasser unter dem Turm für die Alzette.  Bild: Wiesel.lu

So oder so, es war das Ende einer rund 400-jährigen Festungsgeschichte. Die Freiheit blieb der Stadt erhalten. Auch einer der vier Türme, die einst über die Zufahrtsstraßen nach Esch wachten, hat überlebt. Seinen Namen „roter Turm“ erhielt er wegen der roten Farbe seines Anstrichs. Während vieler Jahrzehnte wurde er unter anderem als Gefängnis des Escher Gerichts genutzt.

Doch ohne Stadtmauer lebte es sich zu dieser Zeit nicht besser. Nur einige wenige Jahre nach der Schleifung der Mauern wurde die Stadt wieder von französischen Truppen zerstört. Ruhiger wurde es erst im kommenden Jahrhundert. Das Berwart-Schloss wurde 1763 zum dritten Mal neu aufgebaut. Die Stadt leistete sich ein Pfarrhaus (1771), eine Schule und eine Kapelle.

Verlust der Stadtrechte

Dann meldete sich die Französische Revolution an. Erst mal kein Glücksfall für Esch. Auf der anderen Seite der Grenze lag republikanisches Militär. Der Stadt machten marodierende Soldaten und plündernder Pöbel zu schaffen. Im Oktober 1792 wurden Esch und das Berwart-Schloss von rund 1.000 Mann geplündert. Das Escher Freiheitskreuz wurde zerschlagen. Nachdem ein Freischärler aus Esch zwei Jahre später das Pferd eines Generals tödlich traf, nahm dieser Rache an der Stadt. Am 21. Mai 1794 wurde sie, wie auch das Schloss, komplett niedergebrannt.

Abgesehen von einem Bild auf der Mauer einer öffentlichen Toilette erinnert heute an dem Ort, wo er mal stand, nichts mehr an den roten Turm.
Abgesehen von einem Bild auf der Mauer einer öffentlichen Toilette erinnert heute an dem Ort, wo er mal stand, nichts mehr an den roten Turm.  Foto: Christian Muller

Auch die zweistöckige Holz-Ausstattung des 12 Meter hohen Turms war dem Feuer zum Opfer gefallen. Der letzte der vier Türme war nun nur noch eine Ruine. Im Jahr 1826 wurde er abgerissen. Die Steine wurden unter anderem genutzt, um das alte Rathaus zu vergrößern. Seine Fundamente liegen heute begraben unter einer Straße neben dem Escher Rathaus.

Ein paar Jahre später, nach einer Umorganisierung der Territorialverwaltungen, war Esch dann keine Stadt mehr, sondern nur noch ein Dorf mit 680 Einwohnern im Kanton Zolver. Einige Jahre später wurde Esch zu einer Unter-Gemeinde, gemeinsam mit Berwart und Schifflingen.

Im Februar 1814 wurden die Franzosen wieder aus Luxemburg verdrängt. Die unerwartete Unabhängigkeit folgte. Esch arbeitete sich nach und nach wieder hoch. 1860 wurde die Zugstrecke nach Bettemburg fertig. 1865 wurde ein Rathaus gebaut. Das Berwart-Schloss wurde renoviert und 1869 an die Arbed verkauft. Es entstand eine neue, größere Pfarrkirche. 1892 eröffnete die erste öffentliche Bibliothek des Landes in Esch ihre Pforten.

Größte Boomzeit

Doch es sollte noch bis 1906 dauern, bis Esch wieder zur Stadt wurde. Der Ort befand sich gerade in einer historischen Boomzeit. Seit 1850 gewann die Stahlindustrie an Fahrt. Während Esch um 1821 erst 810 Einwohner zählte, waren es 1910 bereits mehr als 16.000.

Die Stadt Esch im Jahr 1860
Die Stadt Esch im Jahr 1860 Bild: La Ville D’Esch de 1839 à 1939

Den einstweiligen Höhepunkt der Bevölkerung erreichte Esch 1935 mit mehr als 27.000 Einwohnern. Danach stagnierte die Zahl viele Jahre, um nach der Stahlkrise bis auf 24.000 im Jahr 1991 einzubrechen. Seitdem geht es wieder steil aufwärts. Heute hat die Stadt eine Universität und zählt über 35.000 Einwohner, so viele wie noch nie. 2022 wird Esch Europäische Kulturhauptstadt sein.

Erinnert wird sich jedoch nur noch an die Zeit nach 1850. Als Überbleibsel einer neueren Version des Berwart-Schlosses steht heute nur noch ein historischer Turm in Esch. Er ist eingebaut im Schlassgoart-Gebäude von Stahlkonzern ArcelorMittal. Als einziger Überlebender der bewegten Stadtgeschichte hat der sogenannte Berwart-Turm, anstelle des roten Turms, die Rolle des Wahrzeichens der Stadt übernommen.

An dem Ort, wo der letzte Turm während vieler Jahrhunderte stand, erinnert nichts an ihn. Grauer Asphalt bedeckt ihn. Nur die Mauer einer neuen öffentlichen Toilette wurde mit seinem Bild geschmückt. Einen Gedenkstein oder eine Informationstafel sucht man vergebens. Dass der Turm für große Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung steht, weiß kaum noch jemand. Esch scheint wie eine Stadt, die ihre eigene alte Geschichte vergessen hat. Dabei ist diese höchst spannend. Und noch lange nicht komplett geschrieben.

Quellen

Als Inspiration für diesen Text dienten die Bücher „Das andere Esch“ von Joseph Flies (1979), „Schloss und Schlossherrschaft Berwart“ von J.B. Weyrich (1933), sowie „La Ville D’Esch de 1839 à 1939. Centenaire de l’Indépendance. Esch-sur-Alzette, imprimerie coopérative, 1940“ aus der Escher Bibliothéik für die Bilder sowie diverse Webseiten und Gespräche.

Die Stadt Esch im Jahr 1930. Ganz rechts ist das Berwart-Schloss zu erkennen
Die Stadt Esch im Jahr 1930. Ganz rechts ist das Berwart-Schloss zu erkennen Bild: La Ville D’Esch de 1839 à 1939