WasserAuf den Spuren der Quelle der Alzette

Wasser / Auf den Spuren der Quelle der Alzette
An einer ihrer Quellen ist die Alzette auch heute noch ein naturnaher Ort, der zu Erholung und Entspannung einlädt Foto: Christian Muller

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Kein anderer Fluss hat Luxemburg derart geprägt wie die Alzette. In der Nationalhymne wird der Wasserlauf besungen. Geliebt, gehegt und gepflegt wird er jedoch nicht. Vielerorts wurde er unter die Erde verbannt, den Blicken und dem Geruchssinn der Menschen entzogen. Es scheint, als sollte er vergessen werden, so wie auch seine Quelle.

Die „Uelzecht“ ist ein besonderer Fluss in Luxemburg. Im Gegensatz zu den anderen großen Flussläufen des Landes ist sie kein Grenzfluss. Sie fließt von Esch/Alzette über Luxemburg-Stadt bis nach Ettelbrück, wo sie in die Sauer mündet.

Ganze 64 Kilometer ihres 73 Kilometer langen Bettes liegen in Luxemburg, nur die ersten paar Kilometer in Frankreich. So auch ihre Quelle. Die zu finden, ist jedoch gar nicht so einfach. Verfolgt man den Flusslauf über Google Maps zurück, kommt man von Esch über Audun-le-Tiche und Russange bis nach Villerupt. Dort endet (oder beginnt) der blaue Strich. Die Alzette könnte hier ihren Ursprung haben, könnte man meinen. Auch die deutschsprachige Wikipedia schreibt, dass der Fluss seine Quelle in der Gemeinde Villerupt habe.

Dem ist aber nicht so. Überspringt der Betrachter der Karte das Stadtgebiet von Villerupt, kommt er zur viel kleineren Nachbargemeinde Thil. Im Viertel Sainte-Claire zeigen die Karten von Google einen Weiher namens „Etang de l’Alzette” und einen kurzlebigen Abfluss aus dem Weiher an. Die Straßen daneben heißen vielversprechend „rue de l’Alzette” und „rue du Ruisseau“. Auch die französischsprachige Wikipedia bestätigt: In der Gemeinde Thil hat die Alzette ihre Quelle.

Am Weiher ist das Wasser ist glasklar, die Fische scheinen in ihm zu schweben.
Am Weiher ist das Wasser ist glasklar, die Fische scheinen in ihm zu schweben.  Foto: Christian Muller

Beim Besuch vor Ort zeigt sich ein großer Weiher, der zum Angeln einlädt. Das Wasser ist glasklar, die Fische scheinen in ihm zu schweben. Auf Informationstafeln rund um den Weiher ist zu lesen, dass es hier mehrere Quellen gibt, die unterirdisch gefasst und dann in den Weiher geleitet werden. Es sei dies die Quelle der Alzette, ist weiter auf den Informationstafeln zu lesen.

Etwa ein Drittel des hier gefassten Wassers wird von der Gemeinde für den eigenen Verbrauch abgezweigt. Der Rest läuft als kleiner Bach, immer noch mit glasklarem Wasser, weiter den Hügel hinab. Jedoch dauert es nur etwas mehr als 100 Meter, und schon verschwindet das kühle Nass in einem von Brennnesseln überwucherten, verrosteten Rohr unter der Erde. Einige hundert Meter später zeigt sich das Gewässer wieder kurz. Dann verschwindet es erneut unter dem Boden.

Heilendes Wasser für die Augen

Früher, so steht weiter beim Weiher in Sainte-Claire geschrieben, wurden dem hiesigen Wasser heilende Qualitäten zugesprochen. Bis Anfang des letzten Jahrhunderts pilgerten Menschen nach Sainte-Claire, um, während je neun Tagen, ihre Augen mit dem Quellwasser behandeln zu lassen. Das wohl während vielen Hunderten von Jahren: Aus der Römerzeit wurde hier eine Büste von Herkules, Symbol für Stärke und Gesundheit, gefunden. Die Heilige Sainte-Claire gilt unter anderem als Schutzpatronin der Blinden. (Der Weiher selbst wurde erst viel später, vor weniger als 100 Jahren, gegraben.)

Nicht weit entfernt vom Weiher verschwindet das Wasser in einem verrosteten Rohr
Nicht weit entfernt vom Weiher verschwindet das Wasser in einem verrosteten Rohr Foto: Christian Muller

Vorbei mit dem Gesundheitstourismus war es, als die Stahlindustrie begann, alles Wasser zu benötigen. Wie auch in vielen Orten im Süden Luxemburgs veränderte der Einzug der Stahlindustrie praktisch alles. Die Bevölkerung der Gemeinde Thil wuchs von 310 Einwohnern im Jahre 1844 auf 3.194 Einwohner im Jahr 1962. Gleich zwei Bahnlinien führten damals durch Thil. Mit dem Ende der Bergbau- und Hüttenaktivitäten ging der Boom jedoch vorüber. Um die Jahrtausendwende zählte der Ort nur noch 1.572 Einwohner; Zugstrecken gibt es keine mehr. Geblieben sind die Narben der Stahlindustrie. Dazu zählen die kanalisierten Flüsse.

„Derzeit versuchen wir alles neu zu machen“, so Alain Gentilucci, „Adjoint au maire“ in Thil. Dabei denkt er unter anderem an die Wasserläufe, die früher mal den Charme des Ortes geprägt hatten. „In Thil gab es immer schon viel Wasser.“ Vor der Industrialisierung sei alles anders gewesen. Dort, wo heute die Straße in Richtung Villerupt liegt, war früher ein 50 Meter breites Flussbett, erzählt er. „Die Alzette ist kein kleiner Fluss.“

Nur eine von vier Quellen

Insgesamt gebe es nämlich vier große Quellen auf dem Gebiet der Gemeinde. Der Bereich um den Etang de l’Alzette sei nur einer davon. Unterirdisch werden alle Quellen gefasst, laufen unter der Ortschaft zusammen und kommen später als Fluss Alzette wieder zum Vorschein. Die Quellen bei Sainte-Claire sind dabei nur ein Ursprungsort von den vier.

Theoretisch müsste der Wasserlauf, der den weitesten Weg zurücklegt, ja zur eigentlich echten Quelle der Alzette führen, meint Alain Gentilucci. Doch auch er weiß nur ungefähr, in welcher Gegend sie sich befindet. Gesehen hat er sie noch nie. Dort sind Privatgrundstücke, erklärt er. Das Wasser werde unterirdisch gefasst und fließt dann durch die Kanäle, teilweise unter meterhoher aufgeschütteter Erde. Mindestens vier Mal sei umkanalisiert und umgebettet worden. „Ich hoffe, wir werden die Quelle irgendwann wiederfinden.“

Sainte-Claire
Sainte-Claire Foto: Christian Muller

Das Finden der verschiedenen Wasserläufe sei eine echte Herausforderung gewesen, sagt er. Zeitweise seien sie komplett von den Karten verschwunden gewesen, so der Zuständige für das Abwassersyndikat der französischen Gemeinden rund um die Alzette, Sivom. Geholfen bei der Suche hätten schließlich militärische Karten aus der Zeit von Louis XIV. Er ist überzeugt, dass viele der Quellen noch gar nicht wiedergefunden wurden.

Millionen für bessere Wasserqualität

Aktuell gibt es den Willen, die Fehler der Vergangenheit wieder geradezubiegen, den Fluss wieder auszugraben und zu säubern. „Immerhin wird Wasser in Zukunft immer wichtiger werden – überall herrscht Wassermangel“, so Gentilucci. Bereits vier Millionen Euro wurden in den letzten Jahren allein in Thil investiert. Weitere 10 Millionen sind in den kommenden Jahren für den Bau von Auffangbecken für Regenwasser von Unwettern vorgesehen.

Das müsse die Wasserqualität deutlich verbessern, hofft er. Bis aus der Alzette wieder ein „normaler“ Fluss werden könne, werde es trotzdem noch Jahrzehnte dauern, meint er. Zwischen Thil und Schifflingen gab es früher immerhin alle 200 Meter eine Fabrik. Und alles floss in die Alzette.

Das Wasser hat Trinkwasserqualität
Das Wasser hat Trinkwasserqualität Foto: Christian Muller

Am liebsten würde er die Alzette überall wieder ausgraben und freilegen. Das sei oftmals jedoch sehr, sehr schwierig. Teilweise sei meterhohe Erde auf den Kanal aufgeschüttet worden. So fließt das Wasser zwischen Sainte-Claire und dem Tal beispielsweise unter einer Schlackenhalde durch. Teilweise wurden die Kanäle überbaut.

Dieser Umgang mit den Wasserläufen bereitet dem Gemeindepolitiker Sorgen. Über Flussläufen zu bauen, berge Risiken, sagt er. Starke Regenfälle können Überschwemmungen auslösen. Damit sei nicht zu spaßen. Auch in Esch habe der Kanal unter der Stadt nur eine gewisse Kapazität, gibt er zu bedenken.

Die ersten paar Meter nach dem Weiher
Die ersten paar Meter nach dem Weiher Foto: Christian Muller