RechtsstaatDie EU-Parlamentarier erhöhen den Druck auf die Mitgliedstaaten

Rechtsstaat / Die EU-Parlamentarier erhöhen den Druck auf die Mitgliedstaaten
EU-Justizkommissar Didier Reynders (l.) und die für Werte und Transparenz zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova beteiligten sich an der Debatte im EP über den EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte Foto: AFP/Pool/Francisco Seco

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Das Europäische Parlament erhöht den Druck auf die EU-Staaten, Verfehlungen gegen die Rechtsstaatlichkeit und die Grundprinzipien in der EU konsequenter anzugehen. Die EP-Abgeordneten haben eine Entschließung ausgearbeitet, in der es die „Einrichtung eines EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte“ fordern.

Die Einhaltung rechtsstaatlicher sowie demokratischer und bürgerlicher Grundwerte ist derzeit eines der  Dauerthemen in der Europäischen Union. Vergangene Woche veröffentlichte die EU-Kommission ihren ersten Bericht über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der EU, in dem vor allem Ungarn und Polen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt wird. Der Zufall wollte es, dass gerade gestern, als die EU-Parlamentarier über ihre legislative Entschließung abstimmten, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zum wiederholten Male in diesem Jahr Ungarn wegen Verstößen gegen die Grundrechte verurteilte.

Mit ihrem Vorschlag wollen die EP-Abgeordneten den von der EU-Kommission eingeführten Überwachungsmechanismus in Sachen Rechtsstaatlichkeit stärken und ausbauen, wie der Berichterstatter zur Entschließung, Michal Simecka, erklärte. Der slowakische EP-Abgeordnete der liberalen Renew-Fraktion meinte gestern, der Kommissionsbericht sei zwar „ein Schritt in die richtige Richtung“, allerdings würden bei festgestellten „systematischen Fehlern“ noch keine „klaren Konsequenzen“ gezogen. „Das Monitoring bringt in Polen nicht eine unabhängige Justiz zurück und schützt nicht die freien Medien in Ungarn“, monierte Michal Simecka.

Die EU-Parlamentarier fordern, dass der neue Überwachungsmechanismus nicht nur auf andere Bereiche ausgeweitet werden soll. Sie weisen etwa darauf hin, dass der Kommissionsbericht „die Bereiche Demokratie und Grundrechte nicht abgedeckt“ habe und auch „die Vereinigungsfreiheit und die Einengung des Handlungsspielraums der Zivilgesellschaft nicht Teil der jährlichen Bewertung sind“. Sie schlagen zudem vor, dass künftige Berichte „länderspezifische Empfehlungen“ mit „eindeutigen Zeit- und Zielvorgaben“ enthalten müssten, wie diese umgesetzt werden sollten.

Kommissionsvorschlag abgeschwächt

Die EU-Parlamentarier setzen darauf, dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihrem Versprechen nachkommen wird, das sie in ihrer Antrittsrede im Juli vergangenen Jahres gemacht hat. Damals hatte sie sich dazu verpflichtet, einer legislativen Entschließung des EP einen entsprechenden Gesetzesvorschlag folgen zu lassen.

In ihrer Entschließung greifen die EU-Parlamentarier ein weiteres Vorhaben auf, über das allerdings in den kommenden Wochen im Rahmen der Verhandlungen über den mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) bereits entschieden werden muss. Dabei geht es um die sogenannte Konditionalität beim EU-Haushalt. Demnach sollen künftig keine EU-Gelder mehr bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit an Mitgliedstaaten ausgezahlt werden. Unter welchen Bedingungen dies geschehen soll, ist derzeit nicht nur zwischen dem Europäischen Parlament und dem EU-Rat, sondern auch unter den EU-Mitgliedstaaten selbst umstritten. Die EP-Abgeordneten fordern einen „glaubwürdigen und umsetzbaren“ Mechanismus, wie es der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im EP, Philippe Lamberts, gestern formulierte.

Davon ist der EU-Rat seit vergangener Woche noch weiter abgerückt. Mit knapper Mehrheit stimmten am vergangenen Mittwoch Vertreter der EU-Staaten einem Vorschlag des deutschen Ratsvorsitzes zu, der einen schärferen Kommissionsvorschlag verwässert. Damit wollte Berlin insbesondere Ungarn und Polen entgegenkommen. Denn vor allem der ungarische Regierungschef Viktor Orban droht dem MFR, aber auch dem 750 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds zur Ankurbelung der Wirtschaft in der Union seine Zustimmung zu verweigern, sollte ein Sanktionsmechanismus eingeführt werden.

EP-Abgeordnete haben Verbündete im EU-Rat

Die EU-Parlamentarier der konservativen EVP, der Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen wiederum machen die Einführung des Mechanismus zur Bedingung ihrer Zustimmung für das Finanzpaket. Er werde der amtierenden EU-Ratsvorsitzenden und deutschen Kanzlerin Angela Merkel bei einem anstehenden Treffen deutlich machen, dass der Haushaltsplan und der Hilfsfonds erst auf die Agenda der Plenarsitzung gesetzt werden, wenn eine Entscheidung über den Rechtsstaatsmechanismus im Zusammenhang mit dem EU-Budget vorliege, sagte gestern der Vorsitzende der Liberalen-Fraktion Dacian Ciolos.

Am Tag zuvor hatte die französische EP-Abgeordnete Valérie Hayer, die an den Haushaltsverhandlungen beteiligt ist, ebenfalls klargemacht, dass die Verhandlungen nicht abgeschlossen werden, solange das EP keine Genugtuung in Sachen rechtsstaatlicher Konditionalität erhalte. So sollten Sanktionen nicht durch Einstimmigkeit im Rat beschlossen, sondern vielmehr nur durch eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten verhindert werden können; einzelne Empfänger sollten dennoch EU-Gelder erhalten und die beanstandeten rechtsstaatlichen Defizite sollten beseitigt werden.

Doch auch im EU-Rat ist das letzte Wort nicht gefallen. Zwar erhielt der abgeschwächte Vorschlag des deutschen EU-Ratsvorsitzes vergangene Woche nur eine knappe Mehrheit. Wirklich gegen den Sanktionsmechanismus hatten allerdings nur Polen und Ungarn gestimmt. Laut der Nachrichtenagentur AFP votierten zwar auch die Benelux-Staaten, Schweden, Finnland, Österreich und Dänemark dagegen, allerdings nur, da ihnen der deutsche Vorschlag nicht weit genug geht. Sie stehen auf der Seite der EU-Parlamentarier.