EuropawahlWie hältst du’s mit dem Migrationspakt? Jungkandidaten streiten über Außenpolitik

Europawahl / Wie hältst du’s mit dem Migrationspakt? Jungkandidaten streiten über Außenpolitik
Mehr und weniger junge Kandidaten (v.l.): Alain Hermann (KPL), Alija Suljic („déi Lénk“), Michaela Morrisova (LSAP), Fabricio Costa („déi gréng“), Martine Kemp (CSV) und Charles Goerens (DP) Foto: Editpress/Alain Rischard

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Nach langsamem Start diskutieren sich die Jungpolitiker der Europalisten beim Runden Tisch des OGBL in Streitlaune. Leidenschaftlich wird der Abend, als es um den Krieg in Gaza und Migration geht – nur einer hat die Runde zu diesem Zeitpunkt schon verlassen.

Charles Goerens fällt aus der Reihe. An den runden Bartischen in der Escher „Maison du Peuple“ hat sich die politische Zukunft versammelt. Die Jugendabteilung des OGBL hat die jungen Kandidaten der luxemburgischen Europawahllisten zur „Table Ronde“ geladen. Mit dabei: CSV, LSAP, „déi gréng“, „déi Lénk“, KPL und eben die DP. „Ich bin anders“, sagt Goerens gleich zu Beginn mit Blick in die Runde. Nicht nur ist der DP-Politiker neben Martine Kemp (CSV) der Einzige mit EU-Parlamentserfahrung, er zieht auch den Altersschnitt deutlich nach oben. Weil von den Liberalen offensichtlich sonst niemand Zeit hatte, hat man also kurzerhand einen 72-Jährigen geschickt, um die Jugend zu vertreten. 

Es dauert an diesem Abend eine ganze Weile, bis die Diskussionsrunde ihrem Namen gerecht wird. Statt Debatte gibt es Statements. Alain Hermann von der KPL beschwert sich über den Einfluss der Lobbyisten auf das EU-Parlament und empfindet es gleichzeitig skandalös, dass Gewerkschaftler in der EU als Lobbyisten geführt werden. Martine Kemp bricht in sozialen Fragen eine Lanze für das Subsidiaritätsprinzip: „Manchmal ist es besser und effizienter, das den Nationalstaaten zu überlassen.“ Einen gemeinsamen europäischen Sozialstaat sieht keiner der Kandidaten in naher Zukunft, zu unterschiedlich seien die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten. Lediglich für die Idee – so unrealistisch sie auch sein mag – eines Pensionssystems auf europäischem Niveau kann sich Fabricio Costa („déi gréng“) begeistern. Dafür, dass das Thema soziale Gerechtigkeit laut aktueller Eurobarometer-Umfrage den luxemburgischen Wählern und Wählerinnen besonders am Herzen liegt, verläuft die Diskussion mit recht wenig Herzblut.

Wer das Klima retten kann – und wer nicht

Suljic: „Die Logik des freien Marktes wird die Klimakrise nicht lösen“
Suljic: „Die Logik des freien Marktes wird die Klimakrise nicht lösen“ Foto: Editpress/Alain Rischard

Bei Fragen der Klimapolitik kommt zum ersten Mal Tempo in die Debatte. Die Parteivertreter sind sich uneins über die unterschiedlichen Rollen, die Staat und Privatwirtschaft bei der Bekämpfung der Klimakrise spielen sollen. Die Kandidaten teilen sich in zwei Lager: diejenigen, die Unternehmen mit einbinden wollen – und diejenigen, die ausschließlich auf staatliche Investitionen setzen. Das Ziel Klimaneutralität bis 2050 sei möglich, so Goerens, aber „das kann der Staat allein nicht stemmen.“ Privatkapital müsse mobilisiert werden. Als zentralen Player in der wirtschaftlichen Transition sieht Goerens die Europäische Investitionsbank, „die erste Klimabank der Welt“. Das sei ein Modell, an dem sich „die ganze Welt orientiert“.

„Die Klimakrise ist aus der Logik des freien Marktes und seinem Profitdenken heraus entstanden, der freie Markt wird die Klimakrise nicht lösen“, sagt hingegen Linken-Politiker Alija Suljic, der zusammen mit dem Kommunisten Hermann das kapitalismuskritische Lager bildet. Statt Unternehmen zu hofieren, fordert Suljic ein grundsätzliches Umdenken, wie wir als Gesellschaft produzieren und konsumieren. 

Kemp: „Der European Green Deal ist nicht leer“
Kemp: „Der European Green Deal ist nicht leer“ Foto: Editpress/Alain Rischard

Der European Green Deal, so KPL-Mann Hermann, sei nur eine neue Profitmöglichkeit für den Kapitalismus. Stattdessen sollten staatliche Investitionen vorangetrieben werden.

Martine Kemp verteidigt die Klimapolitik der EU: Der Green Deal sei „nicht so leer wie oft dargestellt“, sondern gefüllt mit Legislation. Als Beispiel nennt sie das „Recht auf Reparatur“, eine Richtlinie, die die Parlamentarier im April verabschiedet hatten. Für Grünen-Politiker Costa könne der Green Deal nur dann funktionieren, wenn er auch sozial sei. Es brauche staatliche und privatwirtschaftliche Investitionen in Transition, ohne dass das Wohl der Leute aus den Augen verloren gehe.

Auch wenn LSAP-Politikerin Michaela Morrisova kurz darauf eine Besteuerung der „Überreichen“ fordert („Wer mehr verschmutzt, muss mehr bezahlen“), gelingt es den Grünen einmal mehr, den Sozialisten im bürgerlichen Spektrum das Alleinstellungsmerkmal Sozialpolitik streitig zu machen. Ganz am Ende des Abends – beim Thema Migration – wird Costa sich einen Seitenhieb auf die LSAP-Kampagne „Europa mat Häerz“ nicht verkneifen können.

Uneinigkeit über Friedensprojekt Europa

Costa: „Mit Israels Recht auf Selbstverteidigung nicht mehr zu rechtfertigen“
Costa: „Mit Israels Recht auf Selbstverteidigung nicht mehr zu rechtfertigen“ Foto: Editpress/Alain Rischard

Bei den hitzigsten Diskussionen des Abends zu Außenpolitik und Migration hat Ersatzmann Goerens den schon Raum verlassen – ein weiterer Termin wartet auf ihn. Das erspart ihm die Konfrontation mit einem Thema, das innerhalb seiner Partei in der vergangenen Woche Unruhe ausgelöst hat. Nachdem die liberale Fraktion in der Chamber gegen eine Motion der LSAP zur Anerkennung eines palästinensischen Staates gestimmt hatte, machte DP-Europakandidatin Amela Skenderovic ihrem Frust auf Instagram Luft: „Shameful. Not in my Name“. Wenig später löschte Skenderovic den Post wieder, Oppositionspolitiker hatten jedoch längst Screenshots des Beitrags weiterverbreitet.

In Abwesenheit von Goerens scheint unter den noch anwesenden Kandidaten beinahe Einigkeit zu herrschen. Alle kritisieren sie die Kriegsführung Israels und das Vorgehen des israelischen Militärs; Martine Kemp bleibt die Einzige, die in ihrem Redebeitrag nicht explizit die Anerkennung eines palästinensischen Staates fordert. 

„Was in Gaza geschieht, ist nicht mehr mit Israels Recht auf Selbstverteidigung zu rechtfertigen“, sagt Costa. Er bedauere, dass Luxemburg sich nicht der Initiative von Spanien, Irland und Norwegen angeschlossen habe, um den palästinensischen Staat anzuerkennen. Noch weiter geht Linken-Politiker Suljic. Er fordert einen EU-Boykott von Waren, die „aus kolonisierten Gebieten kommen“, und hegt allgemein Zweifel am Friedensprojekt Europa – auch weil Mitgliedstaaten immer wieder Waffen in instabile Regionen liefern würden. Morrisova hingegen verteidigt die Union als Friedensprojekt – auch wenn „noch viel Luft nach oben“ sei. Sie setzt sich für dafür ein, das Einstimmigkeitsprinzip in Fragen der Außenpolitik abzuschaffen. CSV, LSAP und „déi gréng“ unterstreichen einmal mehr ihre Unterstützung der Ukraine. „Wir stehen an der Seite der Ukraine“, sagt Kemp, „aber nicht, indem wir Europäer als Soldaten ins Land schicken.“

Herzensthema: Der Migrationspakt

Morrisova: „Mehr legale Migrationswege schaffen“
Morrisova: „Mehr legale Migrationswege schaffen“ Foto: Editpress/Alain Rischard

Am meisten Trennschärfe zwischen den Parteien zeigt sich schließlich bei der Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit dem Migrationspakt? Morrisova und Kemp versuchen sich in der Verteidigung, auch weil sie selbst bzw. ihre Parteikollegen im Parlament dem Pakt zugestimmt haben. Nicht alles an dem Pakt sei gut, sagt die LSAP-Politikerin Morrisova. „Einige Maßnahmen öffnen die Tür für Menschenrechtsverletzungen.“ Nichtsdestotrotz sei der Migrationspakt ein Versuch, „etwas besser zu machen, als es aktuell läuft“. Es gebe keine Solidarität unter den Mitgliedstaaten, das Dublin-Verfahren funktioniere nicht, es gebe keine Rettungsmissionen auf dem Mittelmeer, dafür aber illegale Pushbacks an den Grenzen. Nun sei es Aufgabe des zukünftigen Parlaments, so Morrisova, den Migrationspakt zu verbessern und neue legale Wege der Migration zu schaffen.

„Alles ist besser, als weiterzumachen wie bisher“, sagt auch Martine Kemp. Worauf Fabricio Costa sofort reagiert: „Das ist kein Grund, es schlimmer zu machen!“ Der Grünen-Politiker kann den positiven Blick auf den Migrationspakt nicht teilen. Für ihn sei dies der Versuch, sich „einer rechtspopulistischen Stimmung anzupassen und sich Wählern vom rechten Rand anzubiedern“. Der Migrationspakt werde, so Costa, weder das Sterben im Mittelmeer verhindern noch für mehr Solidarität unter den Mitgliedstaaten sorgen. Im Gegenteil: Die Länder an den Außengrenzen bekämen nun mehr Verantwortung als zuvor, so der Spitzenkandidat von „déi gréng“. Die von Morrisova erwähnte Lösung, dass unsolidarische Mitgliedstaaten sich nun von ihren Pflichten zumindest „freikaufen“ müssten, nennt Costa eine „Monetarisierung von Menschenleben“. Und dann, gerade als sich die jungen Kandidaten nach anderthalb Stunden auf die richtige Streittemperatur gekocht haben, endet der Abend.