EuropawahlWie weit wirkt der Rechtstrend? Umfragen verfestigen sich

Europawahl / Wie weit wirkt der Rechtstrend? Umfragen verfestigen sich
Wird Ursula von der Leyens EVP am Ende der Europawahlen die stärkste Kraft im Europaparlament stellen? Laut Umfragen ist das höchst wahrscheinlich.  Foto: AFP

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So klar sich abzeichnet, dass die Christdemokraten bei den Europawahlen mit deutlichem Abstand vorne liegen werden, so unklar werden die möglichen Mehrheiten. Bezeichnend ist die Polarisierung in Belgien, dem Land der EU-Ratspräsidentschaft.

Der Rauswurf der AfD-Abgeordneten aus der rechtspopulistischen ID-Fraktion, die Annäherung der bislang konkurrierenden Politiker von ID (Marine Le Pen in Frankreich) und EKR (Giorgia Meloni), die Kontaktaufnahme zur bislang fraktionslosen ungarischen Fidesz-Partei von Viktor Orban – alle diese jüngsten Entwicklungen spielen sich vor dem Hintergrund sich verfestigender Umfragen über Stimmengewinne für den rechten Rand bei den Europawahlen in zwei Wochen ab. Bereits zu Jahresbeginn hatte die Denkfabrik ECFR die Möglichkeit skizziert, dass es eine neue rechte Mehrheit geben könne, wenn die Christdemokraten rechts von sich eifrig einsammeln. Das erklärt, warum EVP-Chef Manfred Weber und seine Spitzenkandidatin, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sich beim Blick auf eine Mehrheitsbildung im neuen Parlament auch eine Kooperation mit rechtspopulistischen Abgeordneten offenhalten, solange sie pro-europäisch, pro-ukrainisch und pro-rechtsstaatlich aufgestellt sind.

Diese drei roten Linien machen zugleich alle Skizzen mit einer optischen Mitte-rechts-Mehrheit zur inhaltlichen Makulatur. Zwar könnten laut ECFR in neun Ländern die Rechtspopulisten in zwei Wochen stärkste Kraft werden (Belgien, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn) in weiteren neun Ländern auf dem zweiten oder dritten Platz landen (Bulgarien, Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Portugal, Rumänien, Spanien, Schweden). Doch die Motivation der jeweiligen Wähler ist derart widersprüchlich, dass daraus kaum gemeinsame tragfähige Bündnisse entstehen können. So sind die Rechtspopulisten in Polen und Schweden starke Unterstützer der ukrainischen Verteidigungsanstrengungen und wollen, dass die EU das Land weiter unterstützt, verlorene Gebiete zurückzuerobern. Dagegen wollen die Rechtspopulisten in Deutschland, Österreich und Ungarn die Ukraine zu einer Verhandlungslösung mit Russland gedrängt sehen.

Chaos erwartet in Belgien

Direkte Vergleiche der Mehrheitsverhältnisse werden nicht nur dadurch erschwert, dass das neue Parlament 720 statt zuletzt 705 Abgeordnete haben wird. Es ist derzeit auch kaum absehbar, welche Parteien sich in welcher rechtspopulistischen Fraktion finden werden, ob sie eine weitere neue bilden oder vereinzelt sich auch der EVP anschließen werden. Deshalb bildet auch die Prognose mehrerer Institute nur eine vage Möglichkeit ab, wenn sie die EVP zuletzt bei 173 (derzeit 177) Sitzen einsortierten, die Sozialdemokraten bei 132 (141), die Liberalen bei 86 (101), die Grünen bei 51 (72), die ID bei 83 (59), die EKR bei 81 (67), die Linken bei 35 (37) und die Fraktionslosen bei 35 (51). Der Rauswurf der AfD aus den ID-Reihen ist darin noch nicht berücksichtigt.

Allerdings reicht eine Addition der Sitze von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen nicht aus, um sich eine Mehrheit zusammenzurechnen. Denn Teile dieser bisherigen „Ursula“-Koalition wollen derzeit keine zweite Amtszeit von der Leyens. Deshalb werden intensive Verhandlungen ab der Wahlnacht erwartet.

Wie schwer die Mehrheitsbildung nach den Wahlen sein könnte, zeigt sich auch in Bezug auf die gleichzeitig stattfindenden nationalen und regionalen Wahlen in Belgien. Nach den letzten Wahlen 2019 hatten die Parteien mehr als anderthalb Jahre für eine Regierungsbildung gebraucht, bis sich sieben Parteien aus vier Parteienfamilien zur „Vivaldi“-Koalition (nach den „vier Jahreszeiten“ des Komponisten) zusammenfinden konnten. Das hat auch damit zu tun, dass laut Verfassung Parteien aus den beiden großen Sprachgruppen und wichtigsten Landesteilen, also niederländischsprachige Flamen und französischsprachige Wallonen in der föderalen Regierung sitzen müssen. Die jüngsten Umfragen erwarten nun auf nationaler Ebene die Rechtspopulisten vom Vlaams Belang mit 15 Prozent auf Platz eins, die Marxisten mit 13 Prozent auf Platz zwei und danach erst die Vivaldi-Parteien zwischen fünf und neun Prozent. Da der Vlaams Belang Flandern unabhängig machen und Belgien auflösen will, werden Koalitionen noch schwerer zu bilden sein als beim letzten Mal. Und das in dem Land, das vor und nach den Europawahlen die europäische Ratspräsidentschaft innehat und als erstes aufgerufen ist, an der Suche nach neuen Mehrheiten für die neue Kommissionsspitze mitzuwirken.

Silvia Charteux
25. Mai 2024 - 19.37

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