Afghanistan-KriseLuxemburger Oppositionspolitiker reagieren: „Als Westen haben wir es verbockt“

Afghanistan-Krise / Luxemburger Oppositionspolitiker reagieren: „Als Westen haben wir es verbockt“
Menschen steigen am Flughafen in Kabul auf das Dach eines Flugzeugs Foto: AFP/Wakil Kohsar

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Afghanistan gerät immer weiter unter die Kontrolle der Taliban. Tausende Menschen versuchen zu flüchten. Und was unternimmt Luxemburg? Das Tageblatt hat sich mit Außenminister Jean Asselborn sowie den Abgeordneten Sven Clement und Claude Wiseler über die schwierige Lage in Afghanistan unterhalten.

Die Lage in Afghanistan spitzt sich zu: Die Taliban haben das Land praktisch im Griff. Wie reagiert Luxemburg und wie Europa auf diese humanitäre Krise? Das Tageblatt hat bei einigen Politikern angeklopft, um mehr über die Lage zu erfahren. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn (LSAP) hat allerdings noch nicht viel zu dem Thema sagen können oder wollen. Der Minister verweist lediglich auf eine Konferenz, die am Dienstag gegen 16 Uhr stattfinden soll. Hierbei handelt es sich um eine außerordentliche Videokonferenz der europäischen Außenminister, bei der sich die Politiker über die Notlage im Orient beraten werden. „Es gibt keine luxemburgische Sicht, nur eine europäische“, sagt Asselborn im Gespräch mit dem Tageblatt.

Der Politiker spricht allerdings ein Problem an, das mittlerweile auch die sozialen Medien erreicht hat: Es gebe einen „Rush“ auf den Flughafen in Kabul. Die Menschen würden hoffen, dort mitgenommen zu werden und das Land so verlassen zu können. Die Verzweiflung afghanischer Bürger lässt sich leicht aus dem Online-Videomaterial herauslesen: Man sieht Bilder von Menschen, die ein abhebendes US-Militärflugzeug umzingeln, sich an die Außenhülle von Flugzeugen hängen, mit in die Lüfte steigen  – und schließlich in den Tod stürzen.

Das Problem, das Land zu verlassen, betrifft allerdings nicht nur flüchtende Afghanen, sagt Asselborn. Viele europäische Botschaften, darunter auch die niederländische, mit der Luxemburg zusammenarbeitet, würden es aufgrund vorherrschender Umstände nicht schaffen, Europäer aus dem Land zu befördern. „Wir als EU haben keinen Hebel, um das zu lösen“, so der Politiker. Laut dem Wissensstand des Außenministers sei es bisher allerdings noch nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Wie viele Luxemburger sich noch in Afghanistan aufhalten, konnte er aus dem Stegreif nicht so genau beantworten.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat die Konferenz der europäischen Außenminister vom Dienstag bereits am Montagmorgen über Twitter angekündigt. In einer weiteren Kurznachricht schreibt der spanische Politiker: „Afghanistan steht an einem Scheideweg. Die Sicherheit und das Wohlergehen seiner Bürger sowie die internationale Sicherheit stehen auf dem Spiel.“

Pragmatismus statt Paragrafenreiterei

Der Luxemburger Politiker Sven Clement (Piratenpartei) mahnt zur Eile: „Es ist ein humanitäres und politisches Desaster. Schöner kann man es nicht ausdrücken.“ „Meine Hauptsorge ist momentan, die Leute zu schützen, denen wir Hoffnung gegeben haben und die für uns gearbeitet haben“, fährt Clement fort. Seien es nun Bürgerrechtler, Politikerinnen, Menschenrechtler oder all jene, die für westliche Autoritäten gearbeitet haben. „Wir haben da eine gewisse Loyalitätsschuld“, sagt der Pirat im Gespräch mit dem Tageblatt. Es sei das absolute Minimum, diese Menschen zu retten.

Auf die Frage, wie Luxemburg seiner Meinung nach vorgehen sollte, antwortet Clement: „Es geht jetzt darum, pragmatisch zu sein und nicht der letzte Paragrafenreiter. Es geht darum, menschlich zu sein.“ Man könne es sich leicht machen und sich an der deutschen humanitären Mission beteiligen. Zudem dürfe man nicht darauf warten, dass die Menschen – in dessen Schuld Luxemburg steht – ihr Visum erhalten und sie dann erst nach Luxemburg holen. Dann sei es schon zu spät. Die Regierung solle dafür sorgen, dass die Menschen gleich nach Luxemburg gebracht werden. Danach könne man immer noch entscheiden, wie weiter vorgegangen werden soll: beispielsweise ob die Menschen ein Visum beantragen oder einen Antrag auf internationalen Schutz stellen sollen.

Aus diesem Grund hätten Clement und sein Parteikollege Marc Goergen am Montagmorgen zwei dringende parlamentarische Anfragen zum Thema Afghanistan eingereicht. Eine der Anfragen betreffe den Airbus A400M, Luxemburgs Militärflugzeug. Clement signalisierte am Montagmorgen auf Twitter, dass das Transportflugzeug abgehoben habe – Zielort unbekannt. Der Politiker verlinkte die flightradar24-Internetseite, mit der sich der Flug in Echtzeit nachverfolgen ließ.

Ein Militärflugzeug – aber wofür?

Anfangs habe Clement noch gehofft, dass das Flugzeug unterwegs nach Kabul sei, „um Menschen zu retten“. Wie sich herausstellte, machte sich der Airbus A400M allerdings in Richtung Frankreich auf. „Et degoûtéiert mech“, sagt Clement. „Wieso haben wir so ein Flugzeug, wenn es nicht für solch eine Sache in den Einsatz kommt? Das wäre der Moment gewesen, um die Mittel, über die wir verfügen, aufzuwenden.“

Wie ein Pressesprecher des Verteidigungsministeriums dem Tageblatt bestätigt, handelte es sich bei dem Flug am Montag tatsächlich nur um „einen Trainingsflug, der der Ausbildung dient. Es besteht kein direkter Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Afghanistan.“ Auf die Frage, ob Luxemburg plane, das Flugzeug in Afghanistan einzusetzen, entgegnete das Verteidigungsministerium Folgendes: „Zahlreiche Länder sind dabei, die Evakuierung ihrer Staatsbürger aus Afghanistan zu planen. Sollte eine Anfrage vonseiten eines unserer Partnerländer für einen Einsatz der A400M des Belux-Transportgeschwaders bei der Evakuierung aus Afghanistan kommen, würde sich Luxemburg dieser Anfrage natürlich nicht verschließen.“

Der Piraten-Abgeordnete Sven Clement spart nicht mit Kritik an Luxemburgs Regierung, die es bis Montagabend immer noch versäumt habe, offiziell Stellung zu den Vorkommnissen in Afghanistan zu nehmen und den Menschen entsprechend Hilfe zu entsenden: „Dafür gibt es ja das Gehalt, das wir kriegen. Das geht nicht, Urlaub während einer humanitären Krise zu machen.“

In puncto zukünftige Verhandlungen mit Afghanistan erklärt der Pirat, dass man nicht daran vorbeikomme, auch mit den Taliban zu sprechen: „Diplomatie bedeutet, auch mit Menschen zu reden, die man nicht ausstehen kann.“ Es sei wichtig, einen strukturierten Dialog mit den Taliban zu führen und einige Mindestgarantien wie zum Beispiel die Einhaltung allgemeiner Menschen- und Frauenrechte einzufordern. Erneut Truppen nach Afghanistan zu senden, also faktisch eine neue Invasion zu starten, einen neuen Krieg zu beginnen, sei laut Clement nicht der richtige Weg, um den Frieden wiederherzustellen. Clement fasst die Situation so zusammen: „Als Westen haben wir es verbockt.“

„Es wäre vermeidbar gewesen“

Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch der CSV-Politiker Claude Wiseler: „Das Ganze ist für mich eine Niederlage – sowohl moralisch als auch politisch. Es wäre vermeidbar gewesen.“ Den überstürzten, unerwarteten sowie unvorbereiteten Abzug der amerikanischen Truppen, der nicht mit den Partnern abgesprochen gewesen sei, sieht der Abgeordnete als eine klare Fehlentscheidung. Dass die USA wieder verstärkt Truppen nach Afghanistan schicken werden, stuft Wiseler als eher unwahrscheinlich ein. Die Staaten würden derzeit lediglich Soldaten entsenden, um einen sicheren Rückzug garantieren zu können.

Der CSV-Politiker setzt die Prioritäten ähnlich wie seine Kollegen Asselborn und Clement. Laut Wiseler sei es unabdingbar, dass nun „auf europäischer Ebene eine koordinierte Antwort folgt“. Am schlimmsten würde es kommen, wenn die einzelnen europäischen Staaten anfangen würden, ihre eigene Suppe zu kochen, und nur Entscheidungen für sich treffen würden. Darüber hinaus sei es wichtig, „die Menschen, die unseren Soldaten dort unten geholfen haben, in Sicherheit zu bringen“, sagt Wiseler im Tageblatt-Gespräch. „Man kann nicht Menschen, die einem vertraut haben, jetzt im Stich lassen.“ Der Politiker bezeichnet die Situation vor Ort als eine „große Katastrophe“, Menschen würden ihrer Menschenrechte beraubt werden.

Wiseler glaubt zudem, dass der Druck politischer Flüchtlinge zunächst stark auf die Nachbarländer Afghanistans zunehmen werde. Danach könnte dann auch Europa die Konsequenzen der Vorkommnisse im Orient zu spüren bekommen. Der Abgeordnete betont allerdings auch, dass sich die Situation in Afghanistan derzeit unheimlich schnell weiterentwickele. Er selbst verfüge über keine Daten, anhand derer er die aktuelle Lage realitätsgetreu kommentieren und bewerten könnte.

An einem Zeitungskiosk in Islamabad, Pakistan.
An einem Zeitungskiosk in Islamabad, Pakistan. AFP

d'MIM
18. August 2021 - 12.28

Eigentlich war die Machtübergabe in Kabul weniger dramatisch als in Amerika selbst!!

jeff
17. August 2021 - 9.13

Et kéint een sech fro stellen ob den Här Asselborn a Konsorten net all schäinhelleger ouni Réckgrat sinn. Wou waren se wéi Amerikaner gesot hunn dass se Land verloossen géifen? Wou waren Reaktiounen wou den Biden gesot huet dass déi "MISSIOUN" erleedegt wier? Just als Info, an der Resolutioun 1386 vum UN-Sécherheetsrot, Erweiderung vum Oktober 2006, heescht et dass et Ziel wier fir d'Aktivitéiten vun den Taliban anzedämmen, an den Afghanen Zäit ze ginn fir d'Kontroll iwwert Land ze iwwerhuelen. Et kann jo jiddwereen draus schlussfolgeren ob déi Missioun elo erfëllt ginn ass oder net. Mä se sollen ons net fir domm verkafen. Afghanistan ass en zweeten Vietnam ......... Traureg a LAMENTABEL wat déi Westlech Länner sech do erlaabt hunn. Krich ufänken goen, an dann wann et an den Ar... geet, den ganzen schä.... den Afghanen ze iwwerloossen. Fräi nom Motto - se sollen kucken dass se eens ginn 

Ënnert Ons
17. August 2021 - 8.53

Unter uns ,t-blatt und mir gesagt , Hier bei uns in Luxemburg gibt es anscheinend +- 48% Ausländer auf +- 2.560 Km2 bei +- 700.000 Einwohner. Mehr als 50% tagsüber ! Wenn man diese Zahlen mit denen der restlichen Länder auf unserem Planeten vergleicht , kommt bestimmt keinem von uns auch nur der geringste Gedanke , trotz blutendem Herzen , noch zusätzlich Afghanen oder andere aus aller Welt herbeiströmende Menschen als Mitbewohner unserer immer weniger und unbezahlbar werdenden Wohngelegenheiten einzuladen. Es sei denn ,man verbringe u.a. als ausgedienter Chefdiplomat den Grossteil seiner Zeit im Ausland, merde alors, um dort grossherzig wie die Alten eben sind , junge Männer in sein momentan leerstehendes Heim , natürlich nur bis zu seiner Rückkunft, einzuladen . Anscheinend sagt man heute, wenn man seinen Soll, oder mehr erfüllt hat, ...... doch, doch soll es anscheinend noch geben. ... , nicht mehr der Mo...sondern um nicht bestraft aber politisch korrekt bleiben . „ Der Blasse hat seine Schuldigkeit getan, der Blasse kann geh‘n oder ?“ Dies ist natürlich, wie bereits oben vorsichtig unter uns gesagt, kein Thema zum kommentieren , oder ?

Ba
17. August 2021 - 8.42

Was will LUxemburg denn jetzt noch viel tun....die Taliban haben das ganze Land doch jetzt wieder fest übernommen???

Wieder Mann
17. August 2021 - 8.20

Da hat vor Monaten der grüne Geschichtenerzähler aus 1001 Nacht und Waffenminister uns plausibel gemacht , das investierte Steuergeld in unseren Militärflieger würde auch humanitären Hilfszwecken dienen. Die Gelegenheit wäre jetzt gewesen , dies zu beweisen,ohne langes politisches Geplänkel diesen Flieger nach Kabul zu schicken und humanitäre Hilfe zu leisten,“ net muer, net iwwermuer, dann ass et ze spéit „.