EditorialViktors Angst vor Harrys Zauber: Orbans Hokuspokus-Politik ist lächerlich und gefährlich zugleich

Editorial / Viktors Angst vor Harrys Zauber: Orbans Hokuspokus-Politik ist lächerlich und gefährlich zugleich
Orbans Fidesz beschließt seit mehr als zehn Jahren Gesetze oder Initiativen gegen Migranten, NGOs, Universitäten, Medien – und das meistens recht ungestört: Die Diskriminierung Homosexueller brachte das Fass nun zum Überlaufen Foto: AFP/Sascha Schürmann

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Ist der ehemalige Delegationsleiter von Viktor Orbans Fidesz im EU-Parlament Harry-Potter-Fan? Falls ja, muss Jozsef Szajer, der sich im vergangenen Dezember in Brüssel von einer wegen des Lockdowns verbotenen Sexparty über einer Schwulenbar die Regenrinne hinunter vor der heranstürmenden Polizei retten wollte, in Zukunft bis Mitternacht wach bleiben. Zumindest dann, wenn er im ungarischen TV „Den Stein der Weisen“ oder gar den „Halbblutprinz“ schauen will.

Die Freigabe ab 18 und die damit einhergehende TV-Ausspielzeit haben die Filme aus der Buchserie von J. K. Rowling einer neuen ungarischen Gesetzgebung zu verdanken. Premier Orban und seine Fidesz-Partei haben offenbar Angst, Harry könnte ihre Jugend schwul zaubern. Ihre Lösung ist ein Gesetz, womit sich alles in Medien, Erziehung und Werbung wegsperren lässt, was auch nur den kleinsten Homo-Touch hat. Die Rechnung dabei? Statt gleichgeschlechtlicher Liebe und Zuneigung und Lust gibt es nur noch patriotischen Zeugungsdrang. Migranten will man schließlich auch keine, und irgendwo müssen die Kinder ja herkommen. Hokuspokus-Politik nach Orban-Art, mitten in der EU in diesem Frühsommer 2021. Zum einen lächerlich, weil niemand schwul wird, sondern es ist oder eben nicht, zum anderen gefährlich: Eine solche Stigmatisierung kann junge Menschen in den Suizid treiben.

Nun muss man wissen, dass Orban sein Land seit mehr als zehn Jahren Richtung Autokratie zurechtfaltet und der Fidesz die Gesetze oder Initiativen gegen Migranten, NGOs, Universitäten, Medien nur so aus der Hüfte schießt – und das meistens recht ungestört. Doch jetzt hatte sich, in diesem seltenen Zusammenkommen aus Momentum, ehrlicher Empörung und offenen Rechnungen, der perfekte Sturm gebildet über Orbanistan. LGBTI-feindliche, diskriminierende Gesetze (die englische Abkürzung steht kurz für „lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und intergeschlechtlich“) mitten im „Pride Month“ beschließen, während einer wie nie zuvor politisierten Fußballeuropameisterschaft, und das, nachdem der Fidesz vor wenigen Monaten die Unterstützung der Europäischen Volkspartei verloren hatte – das konservative Fangnetz der vergangenen Jahre ist weg, die jüngste Brüskierung mit dem Boykott einer gemeinsamen EU-Erklärung gegen das Vorgehen Chinas in Hongkong noch sehr wach: Auch die europapolitische Entrüstung hätte kaum größer sein können.

Belgien, die Niederlande und Luxemburg forderten die EU-Kommission Anfang der Woche zum Einschreiten auf. Am Ende unterzeichneten 16 EU-Staaten die Erklärung. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezog klar Stellung. Beim EU-Gipfel am Donnerstagabend gingen fast alle Staats- und Regierungschefs den ungarischen Ministerpräsidenten scharf an. Luxemburgs Premier Xavier Bettel stellte klar, dass niemand von einer Werbung schwul wird. Bereits vor dem Gipfel sah der niederländische Premier Mark Rutte keinen Platz mehr für Ungarn in der EU. Wenn die Regierung in Budapest so weitermache, hätten sie „in der Europäischen Union nichts mehr zu suchen“. Plötzlich schienen alle zu Jean Asselborns geworden zu sein; Luxemburgs Außenminister kann für sich verbuchen, diesen Standpunkt seit fünf Jahren laut zu vertreten.

Orbans Reaktion? Eine nationale Angelegenheit, nationale Politik, geht euch nichts an. Eben doch, es geht uns was an. Der Grund ist ein ganz einfacher: Weil wir in der EU sind und weil das was heißt. Zum Beispiel, dass eine solche Diskriminierung nicht geht. Dass den Staats- und Regierungschefs der EU der Geduldsfaden nach Budapest gerissen ist, war höchste Zeit. Eine Schande, dass er überhaupt so lange gehalten hat. Wer die Werte der EU wie Orban verachtet, verdient nichts anderes als unsere Verachtung. Und als Ministerpräsident eines EU-Mitglieds soll er die von seinen EU-Kollegen zu spüren bekommen. Ab jetzt bitte immer.

verviers
28. Juni 2021 - 13.58

Mehrere christliche Kirchen haben auch Harry Potter auf die Bann-Liste gesetzt wegen Zauberei. Währenddessen fand man heraus, das die Katholiken in Kanada hunderte Kinder und in Irland 9000 umgebracht haben. Von den zehntausend vergewaltigten Kindern mal nicht zu reden. Und den Club gibt's immer noch.

LPM
26. Juni 2021 - 11.31

rauswerfen geht nicht, man kann nur gehen bestenfalls gegangen werden. die EU-verfassung ist halt das was sie ist ... deshalb keine angst.

Sein Name ist nicht Hase
26. Juni 2021 - 9.05

Angst vor einem Haufen zusammengewürfelter irrer Angsthasen kennt der Patriot Victor nicht. Umgekehrt jedoch ist auch gefahren, oder ?

luc jung
25. Juni 2021 - 21.29

Werft die Ungarn aus Europa raus. Vielleicht ohne solche Regierungen wird Europa wieder funktionieren. Dieses Ungarn wird in einem funktionierenden Europa nicht gebraucht.

Ras le bol
25. Juni 2021 - 17.32

Wie der Autor so schön schreibt „ …Nationale Politik ….Eben doch ….weil wir in der EU sind….“ Hoffentlich beherzigen wir uns diesen Spruch in der Zukunft und halten uns aus der Politik , der Kultur, den Sitten der Nicht -EU -Länder von der Krim über Teheran bis Gaza und Peking raus .