Kammerpräsident Etgen„Progressive Aufhebung der Ausgangssperre muss von einer Exit-Strategie aus dem Krisenzustand begleitet werden“

Kammerpräsident Etgen / „Progressive Aufhebung der Ausgangssperre muss von einer Exit-Strategie aus dem Krisenzustand begleitet werden“
„Man muss die Regierung fast schon loben für den ausgezeichneten Sinn für Demokratie, den sie an den Tag legt“, urteilt Kammerpräsident Fernand Etgen (DP) Foto: Editpress/Alain Rischard

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Die Zahl der Neuinfektionen mit dem neuartigen Coronavirus war zuletzt rückläufig. Heute will die Regierung ihre Strategie für eine progressive Aufhebung der Ausgangssperre vorstellen. Die Abgeordnetenkammer, die in den letzten Wochen eher im Hintergrund operierte, müsse ihre Verantwortung bei der „legislativen Exit-Strategie“ aus dem vor vier Wochen verhängten Krisenzustand übernehmen, sagt Kammerpräsident Fernand Etgen im Interview. Es gehe nun vor allem darum, die durch Reglemente von der Regierung getroffenen Maßnahmen gesetzlich zu legitimieren, damit die Bürger sie auch weiterhin akzeptieren.

„Ich bin gerade erst aus dem Ösling heruntergekommen. Es geht so schnell, es ist ein Genuss. Ich habe die Strecke in 30 Minuten geschafft, normalerweise brauche ich morgens eine Stunde“, erzählt Kammerpräsident Fernand Etgen vor dem Interview. Der 63-jährige DP-Politiker und langjährige Feulener Bürgermeister ist seit Dezember 2018 der „Erste Bürger des Landes“. In der Legislaturperiode davor war Etgen Minister für Landwirtschaft, Weinbau und Verbraucherschutz. Unter seiner Präsidentschaft hat die Abgeordnetenkammer am 21. März der dreimonatigen Verlängerung des seit 2004 verfassungsmässig verankerten Krisenzustands zugestimmt, den Premierminister Xavier Bettel (DP) drei Tage zuvor erstmals ausgerufen hatte. 

Tageblatt: Luxemburg ist seit vier Wochen im Krisenzustand, die Regierung hat quasi uneingeschränkte Befugnisse. Was macht die Abgeordnetenkammer eigentlich zurzeit?

Fernand Etgen: Obwohl gerade Osterferien sind, ist die Kammer voll funktionsfähig. Von den rund 100 Mitarbeitern in der Verwaltung sind 90 bis 95 im Home-Office tätig. Die Abgeordneten halten die Ausschusssitzungen über Videokonferenz ab, um die Gesetzesprojekte auszuarbeiten, die mit dem Krisenzustand zusammenhängen. Wir wollen versuchen, diese Gesetze so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen. Am kommenden Freitag werden wir zwei Projekte über Garantien für die Wirtschaft und temporäre Maßnahmen im Energiesektor verabschieden.

Seit dem 18. März haben nur drei öffentliche Sitzungen stattgefunden, die meisten Ausschusssitzungen wurden annulliert oder verschoben. Liegt der legislative Prozess auf Eis?

Nein, in Zeiten der Unsicherheit ist es wichtig, stabile und zuverlässige demokratische Strukturen zu haben. Die Kammer muss ihren legislativen und kontrollierenden Aufgaben gerecht werden. Die Regierung hat uns jedes Mal informiert, bevor sie Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie getroffen hat. Die „Conférence des Présidents“ und das Büro des Parlaments treffen sich mindestens einmal pro Woche mit Vertretern der Regierung, um auf dem Laufenden zu bleiben. Man muss die Regierung fast schon loben für den ausgezeichneten Sinn für Demokratie, den sie an den Tag legt. Auch in den Kommissionssitzungen sind regelmäßig die zuständigen Minister zugeschaltet, um den Abgeordneten Auskunft zu geben. Das zeigt, dass die Kammer sich nicht versteckt und voll funktionsfähig ist.

Themen, die nichts mit der Corona-Krise zu tun haben, finden kaum noch statt.

Vieles ist in den Hintergrund gerückt. Die außenpolitische Deklaration von Minister Jean Asselborn wurde beispielsweise zurückgestellt. Die Corona-Krise hat absolute Priorität.

Am 21. März hat das Parlament ohne großen Widerspruch die Verlängerung des Krisenzustands um die maximale Dauer von drei Monaten hingenommen. Hat diese Einstimmigkeit Sie überrascht?

Nein, in Luxemburg haben wir immer zusammengestanden, wenn es nötig war. Es gab keinen anderen Weg und es war absolut richtig, der Regierung die notwendigen Mittel zu geben, um schnell reagieren zu können.

In derselben Sitzung haben Sie betont, dass rechtsstaatliche Prinzipien in Krisenzeiten wichtiger denn je seien. Werden diese rechtsstaatlichen Prinzipien eingehalten?

Gerade in Krisenzeiten ist es fundamental, dass das Parlament seine Debatten weiterführt und die Demokratie sich voll und ganz entfalten kann. Es ist wichtig, dass das Volk erkennt, dass die Entscheidungen in einem demokratischen Prozess zustande kommen und die getroffenen Maßnahmen auf große Akzeptanz stoßen. Die Kammer hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass die Bürger die Einschränkung ihrer bürgerlichen Freiheiten akzeptieren und eine große Disziplin bei der Einhaltung der Maßnahmen an den Tag legen.

Wie achtet das Parlament denn konkret auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien?

Die Kammer achtet darauf, dass die Verhältnismäßigkeit und die Dauer der Maßnahmen eingehalten werden. In Ungarn hat Ministerpräsident Viktor Orbán sich zeitlich unbegrenzte Vollmachten vom Parlament geben lassen. In Luxemburg ist die Dauer gesetzmäßig auf drei Monate begrenzt. Durch die vielen Versammlungen mit der Regierung bleibt die Kammer auch in den Entscheidungsprozess eingebunden. Nicht zuletzt muss eine gewisse Transparenz gewährleistet bleiben, damit die Presse kritisch berichten kann.

Die Polizei verfügt zurzeit über große Machtbefugnisse, insbesondere was Personenkontrollen und das Eindringen in die Privatsphäre der Bürger anbelangt. Verfolgt die Abgeordnetenkammer diese Entwicklung?

Als einfacher Bürger stelle ich fest, dass die öffentlichen Sicherheitskräfte mit dem nötigen Fingerspitzengefühl vorgehen und von ihrem Auftreten her die Verhältnismäßigkeit respektieren. Als Liberaler bin ich von meinen Grundprinzipien her fast dazu verpflichtet, zu gewährleisten, dass die Kammer als Haus der Demokratie diese Entwicklung im Auge behält.

Die Zahl der Neuinfektionen geht inzwischen zurück, die Regierung will noch in dieser Woche eine Exit-Strategie vorstellen. Ist das Parlament an der Ausarbeitung dieser Strategie beteiligt?

Das Parlament muss vor allem beim Exit aus dem Krisenzustand seine Rolle wahrnehmen. Wir werden jetzt prüfen, welche Reglemente, die die Regierung erlassen hat, noch über den Krisenzustand hinaus Bestand haben müssen. In diesem Sinn gibt es Bestrebungen, dass die Kammer Teil der legislativen Exit-Strategie sein soll, indem sie eine Reihe von großherzoglichen Reglementen in Gesetze umwandelt, die dabei helfen sollen, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und individuellen Probleme der Corona-Krise zu lösen.

Der Krisenzustand läuft erst Mitte Juni aus, kann aber schon früher beendet werden. Wie lange wird er tatsächlich noch gebraucht?

Nichts hindert die Regierung daran, den Krisenzustand vor dem Ablauf der Dreimonatsfrist aufzuheben. Es würde ihr gut zu Gesicht stehen.

Wann könnte das sein?

Die Regierung will ja in dieser Woche ihre Exit-Strategie aus der wirtschaftlichen Krise vorstellen. Diese Phase der progressiven Aufhebung der Ausgangssperre muss von einer Exit-Strategie aus dem Krisenzustand begleitet werden.

Das heißt, die Regierung entscheidet, wann der Krisenzustand zu Ende geht?

Wir werden das zusammen diskutieren.

Rolle des Parlaments ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass der Bürger das Vertrauen in die Maßnahmen in den nächsten Wochen und Monaten behält. Auch wenn der Krisenzustand aufgehoben wird, bleiben viele Maßnahmen in Kraft, die aber dann über den demokratischen Prozess eine andere Legitimierung erhalten.

Fernand Etgen, Kammerpräsident

Laut Experten könnte die Rückkehr zur Normalität erst Ende des Jahres erfolgen. Die Folgen der Corona-Krise sind aber immer noch nicht abschätzbar. Müsste der Krisenzustand im Falle eines Worst-Case-Szenarios nicht eher noch verlängert werden?

Der Krisenzustand kann nicht verlängert werden. Nach Ablauf der dreimonatigen Frist muss er neu ausgerufen werden, dann aber mit einer anderen Begründung. Rolle des Parlaments ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass der Bürger das Vertrauen in die Maßnahmen in den nächsten Wochen und Monaten behält. Auch wenn der Krisenzustand aufgehoben wird, bleiben viele Maßnahmen in Kraft, die aber dann über den demokratischen Prozess eine andere Legitimierung erhalten.

Der legislative Prozess ist in der Krise nicht schneller geworden. Die Umwandlung von Reglementen in Gesetze wird Zeit in Anspruch nehmen.

Wenn der Krisenzustand aufgehoben wird, werden die großherzoglichen Reglemente, die während der Krise erlassen wurden, hinfällig. Verschiedene Dispositionen wurden bereits in Gesetzen festgeschrieben, andere werden noch folgen. Wir müssen aber gleichzeitig darauf achten, dass bestimmte Regelungen, die während des Krisenzustands getroffen wurden, ab einem gewissen Moment ganz auslaufen. Doch an diesem Punkt sind wir noch nicht angelangt.

Wenn Regelungen bis in Gesetze eingeflossen sind, erhalten sie eine längere Haltbarkeit. Sehen Sie darin eine Gefahr?

Wir müssen die Entwicklung im Auge behalten, um bestimmte Gesetze zu gegebenem Zeitpunkt zu durchforsten und entsprechende Regelungen wieder zu entfernen. Oder wir müssen sie von vornherein zeitlich limitieren.

In normalen Zeiten kommen die meisten Gesetzesprojekte von der Regierung. Die Abgeordneten ergreifen relativ wenig Eigeninitiative. Wie sieht es in der Krisenzeit aus?

Die Oppositionsparteien haben zuletzt sechs oder sieben Projekte zur Corona-Krise eingereicht.

Das Parlament wird seine Plenarsitzungen ins „Cercle Cité“ verlegen. Wieso?

Dort ist genug Platz, damit wir den Sicherheitsabstand einhalten können. Zudem sitzen wir alle in einem Saal, sodass alle Abgeordneten wieder an den Diskussionen teilnehmen können, was zuletzt nicht der Fall war. In einer Demokratie ist es wichtig, dass alle gewählten Volksvertreter gleich behandelt werden.

Wie lange soll dieser Platzwechsel aufrechterhalten werden?

Das werden wir sehen. Bis Mitte Juli sind keine Veranstaltungen im „Cercle Cité“ geplant. Wenn bestimmte Einschränkungen länger aufrechterhalten werden, wird die Stadt Luxemburg den Saal auch über diesen Zeitraum hinaus nicht brauchen.

Jangeli
16. April 2020 - 13.50

Onkompetenz op allem Gebiet. Den Mond nëtt ësou voll huelen an ëppes seriöses décidéieren wär méi noutwendeg. Kapprësselen ???