Der WettlaufImpfkampagne versus Delta-Variante – ein Expertengespräch

Der Wettlauf / Impfkampagne versus Delta-Variante – ein Expertengespräch
Luxemburg-Stadt am Vorabend des Nationalfeiertags 2021 Foto: Editpress-Archiv/Lucie von Lucilin

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Impfen wir schnell genug? Oder wird die Delta-Variante in Luxemburg eine neue Welle lostreten? Fest steht: Das Infektionsgeschehen hat in den vergangenen Tagen wieder zugelegt. Luxemburger Forscher erklären, wie sich die Pandemie in Luxemburg in den kommenden Monaten entwickeln könnte – und was die Konsequenzen sein könnten. 

Es sah aus, als sei die Pandemie zumindest ein bisschen besiegt: Am 17. Mai sank der Sieben-Tage-Schnitt der Neuinfektionen in Luxemburg unter die 100er-Marke – zum ersten Mal seit Mitte Oktober 2020. Am 21. Juni wurde dann ein Tiefststand vermeldet, wie seit einem Jahr nicht mehr: Der Sieben-Tage-Schnitt lag bei gerade einmal zwölf.

Aber in den vergangenen Tagen scheint die Pandemie wieder an Fahrt aufzunehmen: 53 Neuinfektionen meldet die „Santé“ für den Montag, 92 für den Dienstag, 108 für den Mittwoch – und schließlich 136 für den Donnerstag. Gleichzeitig berichtet das Nationale Gesundheitslabor, dass die ansteckendere Delta-Variante inzwischen mit einem Anteil von 59,4 Prozent an den Neuinfektionen die dominante Virenvariante in Luxemburg ist. Stehen wir am Beginn einer neuerlichen Welle? 

„Meiner Meinung nach werden noch ein paar Tage mit hohen Fallzahlen kommen – und dann die Tendenz,  dass sich die Lage beruhigt“, sagt Jean-Claude Schmit, Direktor der Gesundheitsdirektion, am Freitag gegenüber dem Tageblatt. Auch für Schmit ist klar, dass die Delta-Variante jetzt „prädominant“ ist, diese  Entwicklung zeichne sich auch in anderen Ländern ab. Aber: „Ich glaube, wir bekommen das eingefangen.“ Schmit ist sich sicher, dass alles, was am Nationalfeiertag war, mit ins Infektionsgeschehen einspiele. „Wir haben die Informationen, wo die Menschen sich angesteckt haben“, sagt der „Santé“-Chef. Wahrscheinlich nicht nur am Nationalfeiertag selbst, sondern auch bei Feiern an den Tagen danach. 

Peak am Nationalfeiertag

Im vergangenen Jahr habe es ebenfalls einen kleinen Peak nach dem Nationalfeiertag gegeben – der sich danach aber „beruhigt“ habe. Um eine weitere Welle zu verhindern, gebe es zwei Konditionen: „Dass wir eine hohe Impfquote haben – und dass sich die Menschen an die Restriktionen halten, die es noch gibt.“ Es sei ja nicht so, als dass es keine Restriktionen mehr gebe, sagt Schmit. 

Wenn wir jeden Tag einen Nationalfeiertag machen, dann haben wir erst mal verloren

Alexander Skupin, Statistikexperte der Covid-19-Taskforce

Der Ball liegt also beim Bürger. „Je nachdem, wie wir uns verhalten, können wir glimpflich davonkommen“, sagt auch Alexander Skupin, Statistikexperte der Covid-19-Taskforce von Research Luxembourg. „Aber man sieht, dass wir mit der Pandemie noch nicht fertig sind.“ Wenn die Cluster isoliert und die Infektionsketten gebrochen werden, würden die Zahlen jedoch auch wieder sinken und es bestehe noch kein Handlungsbedarf. „Es hängt jetzt davon ab, wie wir uns als Bevölkerung weiter verhalten“, sagt Skupin. „Wenn wir jeden Tag einen Nationalfeiertag machen, dann haben wir erst mal verloren.“

Der Forscher hält in den kommenden Wochen zudem einen Urlaubseffekt für möglich. „Was positiv sein kann, ist, dass die Menschen den Sommerurlaub dazu verwenden, sich impfen zu lassen – und dann nicht mit einer neuen Infektion aus den Ferien zurückkommen.“ In der Ferienzeit könnte die Impfkampagne bei vier bis sechs Wochen geringer sozialer Interaktionen im Land weiter voranschreiten. Reiserückkehrer könnten dann auf eine zum größten Teil geimpfte Bevölkerung stoßen. Es sei schwierig abzuschätzen, wie viele Menschen in Urlaub fahren – und wohin. Aber es gebe die Chance, bis September in eine „Stabilisierung“ der Lage zu kommen. 

„Rebound“ im September?

Es ist aber auch ein anderes Szenario denkbar. In ihren Pandemie-Projektionen verrechnen Skupin und seine Kollegen Restriktionen, Übertragungsraten und Impfquote. Bei der Delta-Variante gehen sie von einer 50 Prozent höheren Infektiösität aus – 50 Prozent mehr als bei der ohnehin schon leichter übertragbaren britischen Variante B.1.1.7. Deshalb halten die Forscher auch einen „Rebound“ mit 350 Fällen täglich im September für möglich. 

„Die Delta-Variante ist unschön“, sagt Skupin. Sie sei nicht nur infektiöser, sondern könne zum Teil auch zu schwereren Krankheitsverläufen führen. „Da sind wir aber noch dabei, die Daten zu verstehen“, sagt der Wissenschaftler. Glücklicherweise sei die neue Variante keine „totale Escape-Variante“ – also eine Virenspielart, bei der Impfungen nicht mehr ausreichend wirkten. Denn auch wenn die vorhandenen Impfstoffe teilweise nicht so gut wie bei den anderen Varianten wirken, bieten sie dennoch Schutz. „Ich gehe davon aus, dass die Impfung allgemein das Infektionsrisiko heruntersetzt – und dass, falls es doch zu einer Infektion kommt, die Komplikationen verringert werden.“ Es könne zwar dennoch zu schweren Verläufen kommen. „Aber ohne Impfung wären die noch schwerer“, sagt Skupin. 

Aber: Noch sind eben bei weitem nicht alle Menschen in Luxemburg geimpft. Laut dem Gesundheitsministerium haben – Stand Freitag – 216.876 Menschen ihre zweite Impfdosis verabreicht bekommen. Bei der europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC waren bis Freitag 217.027 Menschen aus Luxemburg gemeldet, die entweder die zweite Impfdosis der Präparate von AstraZeneca, Biontech oder Moderna bekommen haben oder die Impfung durch das Janssen-Vakzin, bei der ein „Shot“ reicht. Für das ECDC, das die Einwohner über 18 in Luxemburg auf 506.569 beziffert, ist das ein Anteil von 42,8 Prozent. Sprich: Weit mehr als die Hälfte der Erwachsenen im Land genießt nicht den vollen Impfschutz. 

„Wir sind in einer anderen Situation“

In Panik verfallen Luxemburgs Forscher deshalb dennoch nicht. „Ich denke, dass wir jetzt trotz allem in einer anderen Situation sind“, sagt Claude Muller, Virologe am Luxembourg Institute of Health. „Und zwar deshalb, weil die Menschen, die potenziell im Krankenhaus oder auf der Intensivstation gelandet wären, jetzt geimpft sind – oder zumindest die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen.“ 

Die Verantwortung wechselt deshalb von einer gesellschaftlichen Dimension in eine persönliche. „Es ist nicht mehr so sehr eine Frage der öffentlichen Gesundheit, sondern es wird mehr und mehr eine der individuellen Gesundheit“, sagt Muller. Die Menschen könnten sich jetzt impfen lassen – und durch ihr Verhalten ihr individuelles Risiko steuern. „Jeder kann sein Risiko selbst managen“, sagt der Wissenschaftler. Leider sei der Impfstoff nicht in den wünschenswerten Mengen vorhanden, sodass nicht alle gleichzeitig geimpft werden konnten. Aber auch diejenigen, die noch nicht die Möglichkeit hatten, hätten es in der Hand, wie sehr sie sich durch „nicht-pharmakologische“ Maßnahmen selbst schützen. Vorher mussten Intensivstationen und Krankenhäuser geschützt werden. „Jetzt wird es immer mehr eine Frage der Verantwortung für die eigene Gesundheit, so wie das für jede andere Krankheit der Fall ist“, sagt Muller. 

Schutz gegen schwere Verläufe

„Das Entscheidende ist, dass die Impfstoffe allesamt im Durchschnitt sehr gut gegen schwere Verläufe schützen – und damit wird Corona mehr und mehr zu einer normalen Infektion“, sagt Muller. Das gelte auch für die Delta-Variante oder die südafrikanische Variante. „Es ist richtig, dass die Varianten 20, 40 oder sogar 50 Prozent weniger gut durch Antikörper neutralisiert werden – aber das bedeutet nicht, dass sie nicht gegen eine schwere Infektion schützen.“ Hinzu käme nämlich noch die zelluläre Immunität, die zusätzlichen Schutz biete.

Sollte der Staat also nicht noch einmal die Zügel anziehen? „Die Frage ist: Ist das schon angezeigt oder nicht?“, sagt Muller. „Wir haben die Zügel angezogen, als die Intensivstationen vollgelaufen sind – und das wird so schnell nicht wieder passieren.“ Man könne nach anderen Indikatoren schauen – zum Beispiel den Langzeitfolgen der Infektionen. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob sich die jungen Menschen bei meist leichten Verläufen davon überzeugen lassen“, sagt Muller. „Wir können jetzt sagen, wir wollen Long Covid möglichst verhindern – aber das erfordert dann eine andere Herangehensweise.“ 

Wer die Möglichkeit hatte, sich impfen zu lassen und es nicht getan hat, der hat sich für das Virus entschieden

Claude Muller, Virologe am Luxembourg Institute of Health

Auch Alexander Skupin sieht in den Langzeitfolgen eine Herausforderung. Die Langzeitwirkungen würden gerade bei den nicht schwereren Fällen auftreten, bei den milden oder sogar asymptomatischen Fällen. Zwei bis zehn Prozent der Menschen könnten Long-Covid-Symptome zeigen. Auch wenn die Gefahr für die Krankenhäuser geringer zu werden scheint: „Da es bei den Langzeitfolgen eine große Unbekannte gibt, sollten wir dennoch versuchen, die Kurve nach unten zu drücken“, sagt Skupin. 

Neue Impfstoffe statt alter Maßnahmen

Dass eine „Escape-Variante“ auftaucht – also eine Virenspielart, bei der Impfungen nicht mehr wirken – halten beide Luxemburger Wissenschaftler für nicht unwahrscheinlich. „Wenn der Impfstoff nicht mehr funktioniert, haben wir eine neue Pandemie – dann stellt sich die Frage, wie schnell es ein neues Vakzin gibt“, sagt Claude Muller. In dieser Hinsicht ist der Virologe aber vorsichtig optimistisch: „Das ist der entscheidende Unterschied: Wir werden dann innerhalb von drei Monaten einen neuen Impfstoff haben – und können mit den anderen Maßnahmen etwas weniger großzügig umgehen.“ Man könnte davon ausgehen, dass die jetzigen Impfstoffe besonders als Mischimpfung – „Prime-Boost-Impfung“ – schon relativ gut schützen. „Und eine dritte Dosis wird einen weiteren Schutz bieten.“

Nach wie vor ist der Schlüssel zur Lösung des Weltproblems Pandemie also der kleine Piks in den Oberarm. „Wer die Möglichkeit hatte, sich impfen zu lassen und es nicht getan hat, der hat sich für das Virus entschieden“, sagt Muller. „Es gibt nur die Impfung oder das Virus, es gibt nichts dazwischen. Außer etwas Zeit.“

Nomi
5. Juli 2021 - 10.01

""Impfen wir schnell genug? "" Daat ass net den Problem, mee Massenmenschenunsammlungen ass den gro'ussen Problem ! Mir waerten d'Resultat gesinn, no den Vakanzen, no der Football EM, no den Olympeschen Spiller, etc, etc, .

Ba
4. Juli 2021 - 18.08

Impfen dass wir schnell die Herdenimmunität erreichen das sollte das Ziel sein.....

Roberto
4. Juli 2021 - 15.41

@Clemi "das virus nicht kriegen. ich hatte es bisher nicht und habe nicht vor es zu bekommen. entweder hatte ich bisher sehr viel glück, oder war vorsichtig genug." Sie müssen jedes mal vorsichtig sein und Glück haben, das Virus braucht nur 1 Gelegenheit um sie umzubringen. 10% der Hospitalisierten sind 2 mal geimpft.

Clemi
3. Juli 2021 - 23.58

"Es gibt nur die Impfung oder das Virus, es gibt nichts dazwischen." - herr muller ist also der gleichen meinung wie herr drosten, beide erwähnen aber nicht die 3.möglichkeit die es m.M. nach gibt: das virus nicht kriegen. ich hatte es bisher nicht und habe nicht vor es zu bekommen. entweder hatte ich bisher sehr viel glück, oder war vorsichtig genug. bei der fussball-em, nationalfeiertag wie auf den bildern ersichtlich, aber auch z.bsp. dem gudde-wëllen-festival aber v.a. in diskos mit 300 leuten ohne maske drinnen - da braucht es in der tat wohl viel glück. denn vorsicht ist/war dort in grossen teilen nicht vorhanden, das ist auf jedem einzelnen bild das man von diesen orten gesehen hat sonnenklar ... (danke übrigens Tageblatt für die reportage am ersten covid-check-wochenende aus verschiedenen diskos, das war sehr aufschlussreich). womit wir mal wieder bei der desaströsen kommunikation wären: "„Wir haben die Informationen, wo die Menschen sich angesteckt haben“, sagt der „Santé“-Chef." - ja wo denn? dann sagen sie es doch bitte!?! cahen machte nie altenheim-cluster publik scheinbar um "druck" zu vermeiden, 2x aber wurden in wochen-rétrospectives lycée-schüler gebrandmarkt, 1x sogar mit nennung des lyzeums. und nun? wo wars denn? im melu, im m-club, im saumur, bei der schlägerei hinter dem palais, oder ... oder doch in einer schule wo noch maskenpflicht herrscht? ohne komplette und transparente info werden sich weiter menschen - zu recht - verarscht vorkommen.

Claudette
3. Juli 2021 - 19.12

Bah, Delta ist out, jetzt kommt Lambda aus Südamerika.

HTK
3. Juli 2021 - 18.27

@Leila, es gibt keine Todesfälle die auf die Impfung zurück zu führen sind. Das wissen wir seit der AZ-"Spekulation". 0,00007%? Auf eine Null kommt es nicht an,denn,der Nutzen ist größer als der Schaden. Es kommt darauf an zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.Wie so oft im Leben.Allerdings,wenn ich einen Impfstoff habe,bei dem keine Todesfälle zu bekunden sind,dann ist meine Entscheidung schnell gefallen. Nur weil meine Regierung schon für Millionen "Mist" eingekauft hat muss ich mir das Zeug noch lange nicht spritzen lassen." Wir werden das Zeug nicht vergammeln lassen.." AHA.

Leila
3. Juli 2021 - 18.02

Die Grafik veranschaulicht gut, was Sache ist, der Überblick ist bedeutend einfacher, als wenn man nur Zahlen vor sich hat - gut gemacht! „Wer die Möglichkeit hatte, sich impfen zu lassen und es nicht getan hat, der hat sich für das Virus entschieden“, sagt Muller. Kann ich nicht gutheißen, denn wie viele haben Astra abgelehnt obwohl sie durchaus zur Impfung bereit gewesen wären, was ihre Anwesenheit in den Impfzentren bewies! Aber das ändert sich ja ab Montag, dann schauen wir mal ob und wie schnell die Grafik sich verändert - ich bin gespannt! Werden eigentlich auch Todesfälle die auf die Impfung zurück zu führen sind, publik gemacht? Das zu verschweigen wäre unklug, das Land ist klein...

Jimbo
3. Juli 2021 - 17.19

Bis elo hun nach emmer mei Menschen de Corona iwwerlieft ewei der drun gestuerwe sinn. Politik huet souwisou keng kloer Richtung, sos waer de ganze Fussball Tralala net organiseiert ginn. Huet e ho op diverse Videoen gesinn, ewei haut an der Nuet gefeiert gouf. Wait a breet keng Police ze gesinn well se wessen dass se der Masse net meeschter ginn… Also, loosst et lafen!

Heiner August M. Von der Vogelweide
3. Juli 2021 - 17.18

@Dauernörgler/ 100% richtig. Aber aktuell gelten in Luxemburg 3 andere Hauptregeln. (Party, Party, Party) Ich hör schon wie der Teufel lacht u.s.w.

Dauernörgler
3. Juli 2021 - 15.02

Praktisch 50% NICHT geimpft und das im Juli. Herdenimmunität erst ab 80% Geimpften! Dann Party, Europameisterschaft mit Zuschauern ( Sardinenformat ) und Malle à gogo. Wen wird's wundern wenn wir das Rennen verlieren. Dagegen liest man in Fachblättern ,dass "wahrscheinlich" eine Vollimpfung mit Pfizer/Moderna eine große Immunität gegen die Delta-Variante hat. Aber egal welches Cocktail man uns verabreicht,es muss geimpft werden und die 3 Hauptregeln müssen BEIBEHALTEN werden. ( Maske,Abstand,Hygiene)

Laird Glenmore
3. Juli 2021 - 12.02

@ und was die Konsequenzen sein könnten. die Konsequenzen sind doch nur auf die Unvernunft der Menschen zurückzuführen weil sie einfach nicht den Respekt vor anderen haben und wie in alter Manier ohne Masken und ohne Abstand sich im freien bewegen und dicht beieinander auf den Terrassen sitzen, war vor einige Tagen im Supermarkt selbst da hat eine Kassiererin loses Gemüse ( Auberginen ) ohne Handschuhe an der Kasse abgewogen und dem Kunden ausgehändigt, wozu brauchen wir dann die ganzen Restriktionen wenn sich keiner daran hält ich denke wir werden diese Pandemie noch bis Ende 2022 haben und unter den jetzigen zuständen nicht in den Griffbekommen egal was die sogenannten Spezialisten von sich geben selbst unsere ach so herrliche Regierung ist komplett überfordert und wird nicht Herr der Lage. In diesem Sinne an sie vernünftigen bleibt gesund und schönes Wochenende. ?????