FußballF91-Kapitän Mehdi Kirch über den ungewöhnlichsten Rückrundenstart

Fußball / F91-Kapitän Mehdi Kirch über den ungewöhnlichsten Rückrundenstart
Linksverteidiger Mehdi Kirch wechselte im Sommer 2019 von der Escher Fola zum F91 Düdelingen Archivbild: Gerry Schmit

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Die Fans abklatschen: So etwas wird es in der BGL Ligue zunächst nicht mehr zu sehen geben. Trotzdem freut sich Mehdi Kirch, Kapitän des Tabellenführers F91 Düdelingen, endlich wieder Pflichtspiele bestreiten zu können. Welche Ziele die Mannschaft aus der „Forge du Sud“ verfolgt, warum auf eine bewährte Truppe vertraut wird und wer denn dieser Verrückte ist, erzählte er im Tageblatt-Interview. 

Tageblatt: Nach drei Monaten dürfte die Vorfreude auf den „Restart“ wohl riesengroß sein?

Mehdi Kirch: Es hat sich unwahrscheinlich lange hingezogen, vor allem weil man im Ausland sah, was dort alles organisiert worden war, um wieder Fußball spielen zu können. In Luxemburg war es kompliziert, denn es gab immer wieder Unterbrechungen. Dementsprechend tut es gut, jetzt wieder loslegen zu können. 

Sie haben die Sonderregelungen im Ausland bereits angesprochen: Inwiefern hat sich die Mannschaft mit der Einführung der Schnelltests befasst?

Ehrlich gesagt habe ich das ganze Thema bisher nur in der Presse verfolgt. Der Trainerstab hat uns zwar ebenfalls darüber in Kenntnis gesetzt, aber ich denke, dass er auch nicht viel mehr Informationen hat als wir Spieler. Ich hätte eher gedacht, dass jemand vom Gesundheitsministerium oder eine Person aus dem Gesundheitswesen diese Tests in den Vereinen durchführen wird. Da sie allerdings auf freiwilliger Basis gemacht werden … Warum sollte man ein Risiko eingehen? Niemand nimmt das Virus auf die leichte Schulter, allerdings müssen Begegnungen ausgetragen werden, wenn wir die Saison zu Ende bringen wollen. 

Welche Nachteile bringt der „couvre feu“ in Frankreich für Sie mit sich?

Mittlerweile ist der „couvre feu“ ja bereits auf 18 Uhr vorverlegt worden. Aber weder morgens noch abends bin ich bislang kontrolliert worden. Der Verein hat mir eine Genehmigung inklusive Trainingszeiten ausgestellt. Ich denke mal, dass das reichen sollte.

Wie ungewöhnlich verlief die Vorbereitung in diesem Winter?

Es musste plötzlich alles sehr schnell gehen, denn als wir erfahren haben, dass die Saison am 7. Februar fortgesetzt werden würde, durfte ja noch kein normales Mannschaftstraining stattfinden. Der Trainerstab hat uns mit GPS ausgestattet, damit jeder seine Einheiten in Bezug auf Grundlagen und Fitness alleine ausführen konnte. Das Material war hervorragend, sodass auch niemand schummeln konnte (lacht). Wir mussten uns bei den Aufgaben mit dem Ball filmen und die Videos an den Fitnesscoach schicken. Die gesamten Daten wurden täglich übermittelt. Wer das nicht ordentlich gemacht hat, musste eine Strafe zahlen und bestrafte sich ja auch selbst. 

Die Ausgangslage ist für alle 16 Teams die gleiche, da jeder nur vier Wochen Kollektivtraining absolvieren konnte. Spürt man trotzdem einen gewissen Rückstand gegenüber der vergangenen Jahre?

In der Regel hatten wir üblicherweise sechs bis sieben Wochen, um uns vorzubereiten, diesmal waren es vier. Wir waren aber von Beginn an voll fokussiert. Die GPS-Daten haben dazu beigetragen, dass jeder das Ganze über den kompletten Zeitraum mit der richtigen Seriosität angegangen ist. Vom physischen Standpunkt ist es also so, als wäre die Vorbereitung normal abgelaufen. Als wir auf auf den Platz zurück durften, konnten wir sofort damit beginnen, unser System wieder einzustudieren. 

Welche Lehren haben Sie aus den fünf Testspielen gezogen?

Wir wissen jetzt, dass jeder auf uns wartet und gegen Düdelingen gewinnen will. Niemand wird uns unterschätzen, wie es möglicherweise zu Beginn der Saison der Fall war. Man hatte uns bereits begraben, doch wir haben gezeigt, dass mit uns zu rechnen ist. In den letzten Testspielen hat man gemerkt, das es sich nicht um Freundschaftsspiele handelt. Alle wollen sich gegen uns beweisen. Das ist ihr gutes Recht und es motiviert uns, noch härter zu arbeiten. Bevor die Saison im November abgebrochen wurde, hatten wir inklusive der Testspiele während der Sommer-Vorbereitung in 20 Begegnungen nur zwei Niederlagen kassiert (ein Testspiel gegen Wiltz und eine 1:2-Niederlage gegen Hostert in der BGL Ligue). Es gab während dieser Vorbereitung zwei weitere Niederlagen (gegen Swift und Racing), bei denen wir viel rotiert, aber ebenfalls gute Ansätze gezeigt haben. 

Wie hat sich Neuzugang Miguel Palha eingelebt?

Wir haben bewusst nur einen Transfer gemacht. Der Coach ist sehr zufrieden mit dem Team. Er ist ein Mensch, der keine Geheimnisse vor uns hat. Er spielte stets mit offenen Karten und hat klargemacht: ‚Wenn etwas nicht klappt, dann werde ich neues Blut in die Mannschaft reinbringen. Aber im Moment wüsste ich nicht, auf welcher Position wir uns irgendwie verstärken könnten.‘ Bei den Torhütern gab es allerdings das Problem, dass die Nummer zwei und drei (Enzo Esposito und Tony Conti) vom Verletzungspech geplagt waren. Das ist kein Vorwurf, sie können nichts dafür. Beim Training fehlte eben jedes Mal ein Torhüter. Deshalb hat er jemanden geholt, den er kannte. 

Sie haben es bereits angesprochen: Als alle mit dem Swift gerechnet haben, gelang dem F91 der Durchmarsch. Wie werden Sie jetzt mit diesem Druck des Gejadgten umgehen müssen?

Es ist klar, dass die Qualität der Mannschaft nicht mehr die gleiche ist als noch in der Vergangenheit. Allerdings hat unser Trainer es geschafft, eine richtige Einheit, eine Familie zu formen. Auf dieser Ebene sind wir hundertmal stärker als im letzten Jahr. Beim Blick auf unser Programm – als wir gleich auf vier Favoriten getroffen sind – habe ich als erfahrener Spieler eher an ein paar Punkte und Schadensbegrenzung gedacht. Der Coach dagegen war überzeugt, dass wir alles gewinnen würden. Wir haben ihn für verrückt gehalten (lacht). Er ist ehrgeizig und hat aus dem F91 eine Familie gemacht. Ich habe selten so einen Zusammenhalt erlebt. Es gibt keinen Neid zwischen Ersatz- und Stammspielern. Ich war mir nie bewusst, wie wichtig so etwas sein kann. 

Düdelingen steht gleich eine englische Woche bevor. Sind Rodange und RM Hamm Benfica eine Art Vorbereitung auf das Duell gegen den aktuellen Tabellendritten Déifferdeng 03?

Möglicherweise meinen Spieler, die aus dem Ausland dazustoßen, dass man nur Swift Hesperingen, Düdelingen, Fola, Petingen oder Niederkorn kennt. Aber diesen Leuten sage ich immer, dass die Gefahr von den Vereinen ausgeht, die jedes Wochenende um ihr Leben in der Liga kämpfen. Diese Spiele sind komplizierter, auf schweren Plätzen, gegen Gegner, die gut verteidigen. So wird es auch am Sonntag in Rodange sein. Sie werden uns den Ball überlassen, was auch ohnehin eher unsere Philosophie ist. Aber wir müssen uns vor Konter in Acht nehmen, sie haben drei schnelle Angreifer und mit Momar N’Diaye auch einen sehr erfahrenen Mann in ihren Reihen. Unsere einzige Saisonniederlage kassierten wir in Hostert, wo wir nie hätten verlieren dürfen. Ob Rodange oder Hamm, ich werde dieses Spiel angehen wie gegen eine Mannschaft, die oben in der Tabelle steht. 

Bleibt es weiterhin bei der offiziellen Zielsetzung, am Ende auf einem der ersten vier Plätze in der Tabelle zu stehen?

Natürlich ist es angenehm, auf Platz eins zu stehen. Aber das Ziel lautet nach wie vor, die Qualifikation für einen Europapokal-Platz zu schaffen. Selbstverständlich wird aber innerhalb der Mannschaft immer mal wieder davon gesprochen, schließlich will jeder Titel gewinnen. 

Allerdings werden die Fans zunächst live nicht viel mitbekommen. 

Das finde ich etwas schade, denn es ist ja nicht so, als würden wir regelmäßig vor Tausenden von Menschen spielen. Wir hatten es aufgrund der Leistungen der ersten Spiele gerade geschafft, wieder ein paar Menschen zu mobilisieren. Mit Zuschauern wäre es sicherlich besser, allerdings ist sich jeder bewusst, dass sich die Lage wieder rapide ändern kann und beispielsweise eine weitere Unterbrechung kommt. Deshalb wollen wir jedes Spiel angehen, als wäre es das letzte.