NahostkonfliktDer Krieg der Schlagworte um Gaza und Israel

Nahostkonflikt / Der Krieg der Schlagworte um Gaza und Israel
Jake Wallis Simons, Autor des Buches „Israelphobie“ und Herausgeber der „Jewish Chonicle“ Foto: JN Visuals

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Pro-palästinensische Demonstrationen und Universitätsbesetzungen in Europa und den USA, Boykott-Aufrufe bei der Biennale von Venedig und beim Eurovision Song Contest in Malmö. Die Stimmung in der Welt hat sich immer mehr gegen Israel gerichtet.

Als Südafrika Ende Dezember vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zog und Klage gegen Israel einreichte, begründete die südafrikanische Regierung dies mit angeblich im Gaza-Krieg begangenen Verstößen gegen die Völkermordkonvention. Unter anderem zog sie Diplomaten aus Israel ab. Etliche Südafrikaner fühlten sich zudem an die Vergangenheit ihres eigenen Landes erinnert: Israel sei ein „Apartheidstaat“, der wie das Burenregime einst die nicht-weißen Menschen am Kap unterdrückt hatte.

Schnell waren die gängigen Schlagworte im Umlauf, die spätestens seit dem 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff der radikalen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel, in einem Krieg der Worte abgefeuert werden. Im Streit zwischen Israel und Südafrika spielen ebenso die seit vielen Jahren engen Beziehungen zwischen der südafrikanischen Regierungspartei African National Congress (ANC) und palästinensischen Organisationen eine Rolle. Als Anführer der einstigen Befreiungsbewegung hatte sich Nelson Mandela 1990 gleich nach seiner Freilassung aus der 27-jährigen Haft mit Jassir Arafat, dem damaligen Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), getroffen. Und als Südafrikas Präsident – er trat sein Amt am 10. Mai 1994 an – sagte Mandela 1997: „Wir wissen nur zu gut, dass unsere Freiheit unvollständig ist ohne die Freiheit der Palästinenser.“

„Shabbat against Genocide“

Der Gang vor den Internationalen Gerichtshof wurde von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt. Die Dachorganisation Jewish Board of Deputies stellte jedoch fest, dass sich die Situation der jüdischen Minderheit in Südafrika verschlechtert und es Übergriffe auf Juden gegeben habe. Schon vor dem Gaza-Krieg hatten Pro-Palästinenser zum Boykott von israelischen Produkten aufgerufen. Nun zeigte sich Präsident Cyril Ramaphosa wie einst Mandela mit einem Palästinensertuch. Und im Februar wurde bei der Nelson Mandela Foundation sogar ein „Shabbat against Genocide“ begangen.

Es dauerte nicht lange, bis der Angriff der israelischen Armee auf Gaza, eine Reaktion auf das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023, als Genozid bezeichnet wurde. Der Krieg der Worte mit Begriffen wie „Apartheid“ und „Völkermord“ hatte jedoch schon vorher begonnen. So etwa, als der Historiker, Politologe und postkoloniale Theoretiker Achille Mbembe 2015 im Vorwort des Buches „Apartheid Israel“ behauptete, die Besetzung Palästinas sei „der größte moralische Skandal unserer Zeit“, die israelische „Apartheid“ schlimmer und tödlicher als jene des rassistischen Regimes in Südafrika. Israel betreibe eine „schrittweise Vernichtung“ der Palästinenser.

Damit habe der in Johannesburg lehrende Starautor von „Kritik der schwarzen Vernunft“ den Holocaust verharmlost, warf ihm etwa Felix Klein vor, der Antisemitismus-Beauftragte der deutschen Bundesregierung. Zudem habe Mbembe den Hass auf den jüdischen Staat befeuert. Kritik hatte der Kameruner bereits für das Unterzeichnen einer Petition der als antisemitisch eingestuften Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) einstecken müssen. Die Fürsprecher der Palästinenser sehen Israel als Kolonialmacht und blenden dabei den antikolonialen Charakter des Zionismus aus. Dabei hatten sich einige linkszionistischen Theoretiker in den 60er Jahren auf den französischen Vordenker der Entkolonialisierung berufen: Frantz Fanon.

Lula als „Persona non grata“

Eine diplomatische Krise hatte der brasilianische Präsident Luiz „Lula“ da Silva ausgelöst, als er am Rande eines Treffens der Afrikanischen Union erklärte: „Was im Gaza-Streifen mit dem palästinensischen Volk passiert, hat es bisher zu keinem Moment in der Geschichte gegeben. Außer als sich Hitler entschloss, die Juden zu töten.“ Lula wurde in Israel zur unerwünschten Person erklärt. Die neue Welle des Antisemitismus erreichte die Straßen vieler Länder weltweit. Sie schwappte zuletzt bis nach Malmö, wo dieses Jahr der Eurovision Song Contest stattfindet. Für kurze Zeit wurde die südschwedische Hafenstadt ein Hotspot der Proteste, die sich gegen die israelische Sängerin Eden Golan. Aus einigen Ländern gab es Aufrufe, sie wegen des Krieges von dem Wettbewerb auszuschließen.

Vom Krieg der Worte zu Gewalttaten ist es nicht weit. An mehreren US-Universitäten, wo für ein Ende der israelischen Militäraktionen im Gazastreifen demonstriert wurde und immer wieder Studenten mit Palästinensertüchern zu sehen waren, eskalierten die Proteste. An der Columbia University in New York setzte die Polizei Tränengas ein, nachdem sich Studenten gewaltsam Zutritt zu einem Gebäude verschafft hatten.

US-Präsident Joe Biden meldete sich zu Wort: „Meinungsverschiedenheit ist ein maßgeblicher Bestandteil von Demokratie“, sagte er. „Aber es gibt keinen Platz für Hassrede oder Gewalt jeglicher Art.“ Im Vorfeld von Bidens Rede zum Gedenken an den Holocaust forderte Kenneth Roth, der frühere Executive Director von Human Rights Watch, Biden solle den „echten“ Antisemitismus verurteilen, doch müsse er auch dessen Instrumentalisierung zur Unterdrückung berechtigter Kritik an Israel kritisieren. Biden sagte, der Judenhass habe nicht mit dem Holocaust des Nazi-Regimes begonnen und auch nicht geendet. „Dieser Hass wurde am 7. Oktober 2023 zum Leben erweckt“, so der US-Präsident, „als die Hamas den blutigsten Tag seit dem Holocaust über das jüdische Volk brachte.“

Wo beginnt Antisemitismus?

Der Hass auf das Judentum und die Ausgrenzung der Juden aus dem sozialen Leben war lange Zeit religiös geprägt und im 19. Jahrhundert zunehmend rassistisch konnotiert. Die Juden wurden als „Parasiten des Kapitalismus“ bezeichnet und der Weltverschwörung bezichtigt, wie es der Marbacher Historiker Sebastian Voigt in seinem jüngst erschienen Buch „Der Judenhass: Eine Geschichte ohne Ende?“ schildert. Voigt analysiert den Antisemitismus von rechts wie von links, ebenso den muslimischen.

Doch wo endet Kritik an Israel – und wo ist sie Antisemitismus? Die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) von 2016 lautet wie folgt: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Die deutsche Bundesregierung fügte noch eine Erweiterung hinzu: „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“ Gegen diese Definition richtet sich die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus von 2021: Die Definition der IHRA sei „weder klar noch kohärent“ und verwische den Unterschied zwischen antisemitischer Rede und legitimer Kritik an Israel und am Zionismus. Sie delegitimiere israelkritische Stimmen.

„Israelphobie“

„Juden wurden schon immer anders behandelt“, so der britische Journalist Jake Wallis Simons in seinem Buch „Israelphobie“. Diese bezeichnet er als „die neueste Version des ältesten Hasses“. Dem israelisch-palästinensischen Konflikt werde unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der alte Antisemitismus sei eine „bekannte Größe“ gewesen, voller Stereotypen und Vorurteile. Die Abneigung gegen Israel sei zu einem Kennzeichen progressiver Leute geworden, die sich wie „Scharen von nützlichen Idioten“ anschlossen, um etwa an Universitäten gegen den angeblichen Apartheid-Staat Israel anzuschreien, „obwohl Israel die einzige liberale Demokratie im Nahen Osten ist, in der Homosexuelle, Frauen und Minderheiten so frei leben wie nirgendwo sonst in der Region“. Über die Frage, ob sich der Vorwurf der Apartheid auf Israel anwenden lasse, scheiden sich in der Tat die Geister. Amnesty International zum Beispiel präsentierte am 1. Februar 2022 einen Bericht, in dem es Israel vorwarf, gegen die Palästinenser eine Politik der Apartheid zu betreiben und damit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.

Unterdessen rücken die Taten der Hamas, die etwa 1.140 Toten des Massakers vom 7. Oktober und die 240 nach Gaza verschleppten Geiseln, immer mehr in den Hintergrund. Bezeichnend dafür war, dass die amerikanische Philosophin, Gendertheoretikerin und selbsterklärte Anti-Zionistin Judith Butler bei einer Podiumsdiskussion behauptete, das Massaker der Hamas sei kein Terrorismus gewesen, sondern „bewaffneter Widerstand“ gegen einen „gewalttätigen Staatsapparat“, Hamas und Hisbollah seien keine Terrororganisationen, sondern „soziale Bewegungen“. Über die Frage, ob Israel einen Völkermord begehe, wird weiter gestritten. Nach der Klage Südafrikas entschied das Gericht in Den Haag, dass Israel Schutzmaßnahmen für die palästinensische Zivilbevölkerung ergreifen und forderte die Benjamin Netanjahus Regierung auf, alles zu tun, um einen Genozid zu verhindern. Außerdem müsse dafür gesorgt werden, dass die humanitäre Hilfe die Zivilisten erreiche. Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor gab sich damit nicht zufrieden. Sie warf Israel vor, das Urteil des Gerichts zu ignorieren. Der Krieg der Worte geht weiter.