In eigener SacheDie neue Editpress-Generaldirektorin Michelle Cloos im Gespräch: „Eine Meinung haben und diese auch sagen“

 In eigener Sache / Die neue Editpress-Generaldirektorin Michelle Cloos im Gespräch: „Eine Meinung haben und diese auch sagen“
Mit schöner Aussicht und reichlich Zuversicht: Michelle Cloos im Editpress-Büro vor der Belvaler Hochofen-Kulisse Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Seit dem 1. Mai ist Michelle Cloos Generaldirektorin der Editpress-Gruppe. Die ehemalige Tageblatt-Journalistin kehrt somit nach zehn Jahren Gewerkschaftsarbeit beim OGBL in die Welt der Zeitungen und der Medien zurück. Was sind ihre jüngsten Eindrücke an früherer Wirkungsstätte? Wie geht es weiter beim Tageblatt und bei Editpress? Ein Gespräch zwischen Michelle Cloos und den beiden Tageblatt-Chefredakteuren Chris Schleimer und Armand Back.

Armand Back: Michelle, du kennst das Tageblatt, Editpress und die Medienlandschaft in Luxemburg. Jetzt bist du seit kurzem zurück. Was sind deine ersten Eindrücke, was hat sich verändert, was ist geblieben?

Michelle Cloos: Viel hat sich verändert. In den Medien und in der Gesellschaft allgemein. Das Tageblatt und das ganze Unternehmen Editpress SA müssen heute anders funktionieren. Aber in der Essenz ist das Tageblatt dasselbe geblieben: eine identitätsstarke Zeitung, die mit der Zeit geht. Andernfalls würde es das Tageblatt auch nicht mehr geben. Wichtig bleibt: zur eigenen Identität stehen, aber die Entwicklungen nicht verpassen.

Chris Schleimer: Identität stellt sich heute anders dar als noch vor Jahren, als man als Zeitung eine große Nähe hatte zu Akteuren aus der Zivilgesellschaft und der Politik. Unsere Identität ergibt sich aus unserer Themensetzung. Daraus, wie unsere Journalisten zusammen mit der Chefredaktion die Wirklichkeit abbilden, wie und was wir schreiben.

Michelle Cloos: Wer versucht, eine Zeitung für alle zu machen, macht nachher unter dem Strich eine Zeitung für niemanden. Dann gäbe es keinen Grund mehr, das Tageblatt zu lesen. Dann könnte ich jede andere Zeitung lesen. Insbesondere Tageblatt-Leserinnen und -Leser haben eine Erwartung: dass wir eine Zeitung sind, die eine Meinung hat und diese auch sagt. Das ist, in der Luxemburger Presse- und Medienlandschaft, unser Alleinstellungsmerkmal.

Chris Schleimer: Was hat dich denn in deiner kurzen Zeit, in der du wieder da bist, am positivsten überrascht?

Michelle Cloos: Ich bin noch nicht lange zurück. Aber es ist schön, dass ich oft angesprochen werde, wie interessant das sein muss, bei Editpress zu arbeiten und ob wir offene Stellen hätten. Das gilt für alle Bereiche des Unternehmens. Das zeigt das positive Image, das diese Zeitung und die ganze Zeitungsgruppe haben. Die Leute wollen zu uns kommen. Was gibt es Schöneres! 

Armand Back: Ich kann nur für die Redaktion sprechen, aber das Tageblatt hat lange Jahre gute Journalisten und Journalistinnen verloren. Diesen Trend haben wir umgekehrt. Das ist eine Entwicklung, die uns alle sehr freut.

Chris Schleimer: Aber unser Metier begleiten auch schwierige Trends. Michelle, wie geht es in deinen Augen weiter mit dem Print?

Michelle Cloos: Ich glaube an die gedruckte Zeitung. Ein Teil vom Print wird bleiben. Zum Produkt „Zeitung“ haben Menschen eine Art emotionale Bindung. Für mich ist es nicht dasselbe, ob ich eine Zeitung auf Papier lese oder online. Sich hinzusetzen und die Zeitung zu lesen, bietet einen Moment der Ruhe. Ich lese dann anders. Online suche ich spezifisch nach meinen Interessen und bleibe in meiner Ecke. Die Printzeitung blättere ich durch und habe immer wieder diesen Moment, wo ich mir sage: „Ah tiens“, und dann lese ich das und erfahre Neues. Das ist für mich der große Mehrwert bei der gedruckten Zeitung: Sie öffnet den persönlichen Blickwinkel und stößt dich auf Sachen drauf – das Gegenteil von dem, was soziale Netzwerke machen: Die zwängen dich in eine Bubble, wir holen dich da raus.

Armand Back: Unsere Zeitung ist kein nebensächliches Produkt. Dass wir sechs Grafikerinnen und Grafiker beschäftigen, ist eine bewusste Entscheidung. Wir legen Wert auf das Layout und auf die Präsentation, machen unseren Print mit Anspruch.

Michelle Cloos zusammen mit den Tageblatt-Chefredakteuren Chris Schleimer (l.) und Armand Back (r.)
Michelle Cloos zusammen mit den Tageblatt-Chefredakteuren Chris Schleimer (l.) und Armand Back (r.) Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Chris Schleimer: Für eine Printausgabe muss sich der Leser Zeit nehmen – also muss ihm auch etwas geboten werden, sonst verliert er die Lust. Wer aber eine Überlebenschance haben will, muss sie digital suchen. Die Entwicklungen bei der Künstlichen Intelligenz erweitern nun das Spektrum. Aber das ist das Schöne am Digitalen, der Spielraum ist viel größer als beim Print.

Armand Back: Was wir bereits umgesetzt haben, ist die Umstellung unserer Paywall. Seit kurzem steht jeder Artikel, der online gestellt wird, allen Interessierten für 24 Stunden gratis zur Verfügung. Danach wird er automatisch hinter unsere Paywall geschoben und ist dann noch für Abonnenten zugänglich oder kann einzeln zu einem Preis von 59 Cent gekauft werden. Wir sind der Meinung, dass Information zugänglich sein sollte, auch für Menschen, die sich ein oder gar mehrere Zeitungsabos nicht leisten können oder wollen. Die Menschen können uns erst einmal in Ruhe kennenlernen. Und wir sind überzeugt davon, dass sie uns dann auch schätzen lernen.

Chris Schleimer: Wir werden in naher Zukunft online noch einmal richtig durchstarten und die Möglichkeiten ausschöpfen, die uns das Digitale anbietet. Mit neuen digitalen Formaten, sei es Newsletter, Podcasts oder andere, können wir nicht nur neue Zielgruppen erreichen, wir können auch neues Vertrauen in den Journalismus aufbauen. Das ist in der heutigen Zeit von großer Bedeutung. Unsere Redaktion hat sich verjüngt, ist viel internetaffiner als noch vor kurzer Zeit, da wird noch einiges kommen. 

Michelle Cloos: Aber selbstverständlich müssen wir auch Geld verdienen. Das ist der Spagat, dessen wir uns alle bewusst sind. Den informativen und analytischen Idealismus muss man in der Zeitungsbranche haben. Aber es braucht ein funktionierendes Wirtschaftsmodell. Das wird meine Aufgabe sein. Wichtig ist, beide Aspekte im Kopf zu behalten. Das Gute bei uns ist: Wir müssen uns wirtschaftlich tragen, sind aber nicht auf Dividenden getrimmt. Wir wollen das Geld verdienen, das wir brauchen, um unsere Arbeit zu machen. Wir glauben an unser Metier, das Zeitungmachen. Das gilt umso mehr in einem Unternehmen wie Editpress, das mehr als 100 Beschäftigte zählt. Ohne die Filialen wie Revue oder die Beteiligungen an Le Quotidien oder L’essentiel. Das ist eine Struktur, die Beschäftigung schafft, die Arbeitsplätze schafft. Die ganze Gruppe umfasst fast 400 Leute. Das ist sowohl eine Herausforderung als auch eine Verantwortung.

Wir drei haben bereits zusammengearbeitet, lernen uns nicht jetzt erst kennen – wir wissen, dass wir in dieselbe Richtung denken

Michelle Cloos

Chris Schleimer: Michelle, du bist jetzt in neuer Funktion unterwegs. Wie viel Journalistin steckt noch in dir?

Michelle Cloos: Ich werde immer Zeitung lesen und eine Meinung haben. Aber ich werde nicht die Zeitung machen. Ich bin weder in Redaktionskonferenzen dabei, noch schaue ich abends über die Zeitung und verändere hier oder dort etwas. Die Herausforderungen sind heute so groß, dass sowohl Chefredakteursposten wie Direktionsposten Vollzeitjobs sind, alle einzeln und auf ihre Art und Weise zu erledigen. Jeder soll seine Rolle erfüllen. Voraussetzung ist, dass die Chefredakteure und die Direktionen sich verstehen. Aber wir drei haben bereits zusammengearbeitet, wir lernen uns nicht jetzt erst kennen. Wir wissen, dass wir in dieselbe Richtung denken.

Chris Schleimer: Eine Redaktion ist etwas sehr Komplexes und von außen oft schwer zu durchblicken. Für uns in der Chefredaktion ist es auf jeden Fall von Vorteil, eine Generaldirektorin zu haben, die versteht, wovon wir reden. Eine Redaktion funktioniert und arbeitet besser, wenn die Direktion und das ganze Unternehmen sie wertschätzen. Einfach, weil es einen gewissen Mut und ein breites Kreuz braucht, um diesen Job gut zu machen.

Michelle Cloos: Ähnliches lässt sich von unserer Druckerei auf Sommet sagen. Genau wie Journalisten sind das Menschen, die passioniert sind von ihrem Metier, denen viel an der Qualität des Produkts liegt. Eine Zeitung braucht Journalisten, das ist klar. Aber es geht nicht ausschließlich mit Journalisten. Man braucht alle zusammen.

Armand Back: Druckerei wie Redaktion sind spannende Welten. Wer sich das einmal anschauen möchte mit dem Verein oder Freundinnen und Freunden, kann gerne beim Marketing nachfragen, um gemeinsam nach einem Termin zu schauen.

Chris Schleimer: Genau, wir sind ein offenes Haus. Es ist uns ein Anliegen, noch mehr Transparenz zu schaffen und unseren Journalismus zu erklären.

Michelle Cloos: Gerade nach den Erfahrungen in der Pandemie ist es wichtig, die Menschen wieder zusammenzubringen und eine neue Bindung aufzubauen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl bei Editpress und beim Tageblatt hat mich früh geprägt. Das war immer etwas Spezielles, dieses Gefühl, nein, vielmehr diese Gewissheit, dass es gemeinsam besser geht, dass man stärker ist, wenn man zusammenhält und sich solidarisch zeigt. Das gilt für das Unternehmen Editpress und für das Tageblatt – das gilt aber auch für die Gesellschaft an sich.