SportpolitikDie strukturellen und systemischen Probleme des Sports

Sportpolitik / Die strukturellen und systemischen Probleme des Sports
Anne Brasseur  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Sportlich hat 2020 nicht das gehalten, was es versprochen hatte. Sportpolitisch war international aber wieder einiges los. Die frühere Sportministerin und Expertin für die „Bonne gouvernance“ in großen Sportverbänden, Anne Brasseur, blickt auf einige Ereignisse zurück, die die strukturellen Probleme des Sports ersichtlich machen.

Aus bekannten Gründen war 2020 nicht gerade das ereignisreichste Jahr auf sportlicher Ebene. Keine Fußball-EM, keine Olympischen Spiele und Sportveranstaltungen ohne Zuschauer waren nicht unbedingt das, was sich Sportfans von den vergangenen Monaten erwartet hatten. Wenn 2020 sportlich nicht das hielt, was es versprochen hatte, so war es sportpolitisch doch ein äußerst ereignisreiches Jahr. Dopingskandale, Korruption oder Machtmissbrauch, die großen Probleme des Sports zeigten sich auch im Jahr 2020. Die frühere Sportministerin Anne Brasseur (DP) verfolgt das sportpolitische Geschehen auch in ihrem politischen Ruhestand noch sehr genau. Dass die Autonomie des Sports durchaus problematisch sein kann und die Kontrollmechanismen des Sports nicht so funktionieren, wie sie sollen, hat sie in ihrer Karriere oft genug beobachten können.

„Es sind strukturelle Probleme, die der Sport hat“, sagt Brasseur. „Sportler, Sponsoren, Funktionäre, Politiker und auch die Medien sind zu sehr abhängig voneinander. Es hat niemand wirklich ein Interesse daran, etwas am System zu ändern, solange jeder davon profitiert.“ Allerdings würde mittlerweile etwas mehr über die Missstände berichtet werden, was Brasseur ausdrücklich begrüßt.

Das liebe Geld

Die ehemalige Ministerin weiß, wovon sie spricht. Als Abgeordnete des Europarats hatte sie Ende 2017 einen Bericht über verantwortungsbewusste Führung im Fußball verfasst und dort den Führungsstil der aktuellen FIFA-Spitze um Präsident Gianni Infantino kritisiert. Dieser Infantino stand im Sommer 2020 wieder im Fokus, als ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, wegen geheimer Treffen mit dem Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber, der anschließend von seinem Posten zurücktreten musste. Für Brasseur sind diese Vorgänge nicht weiter verwunderlich. Als Präsident des Fußball-Weltverbandes habe man sehr viel Macht und werde von Staatschefs und anderen mächtigen Leuten hofiert. „Auf einmal leben diese Menschen in einer anderen Welt. Es entsteht ein wahrer Personenkult. Das Amt des FIFA-Präsidenten ist auf einmal nicht mehr von der Person zu trennen, das war schon bei Blatter so.“

Die FIFA habe ein systemisches Problem. Mitglieder des FIFA-Rats, des obersten Gremiums, würden 350.000 Dollar im Jahr plus Spesen verdienen. Außerdem würden die nationalen Verbände vom Geld der FIFA abhängen und sich somit nicht gegen sie wehren. „In der FIFA, wie in anderen Organisation des Sports, geht es um sehr viel Geld. Es sind richtige Unternehmen, aber sie werden behandelt wie Vereine. Das ist ja auch der Grund, wieso die meisten ihren Sitz in der Schweiz haben“, so Brasseur.

Sie selbst hatte auch das Vergnügen, den FIFA-Präsidenten im Rahmen ihres Berichtes für den Europarat kennenzulernen. Erst tat die FIFA die Schlussfolgerungen des Berichts als falsch ab, anschließend schickte der Weltverband noch zwei Lobbyisten nach Straßburg, damit der Bericht vom Europarat nicht angenommen werden würde. Allerdings ohne Erfolg.

Geschlossene Gesellschaft

Es spricht für das Selbstverständnis einiger Sportverbände, die den Sport immer noch als geschlossenes System sehen und die Probleme am liebsten unter sich regeln. Das ist ein falsches Verständnis der Autonomie des Sports. Laut Brasseur müssten die kommerziellen und sporttechnischen Bereiche klar getrennt werden. „Sobald es ums Geschäft geht, muss der ’droit commun’ gelten.“

Dass Sportverbände Probleme mit ihrer Führungsstruktur haben, zeigt ein weiteres Beispiel. Der ehemalige Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, Lamine Diack, wurde im September wegen Korruption von einem Pariser Gericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Diack hatte Geld angenommen, um positive Dopingproben zu vertuschen.

Der Kampf gegen Doping war zuletzt auch wieder vermehrt in den Fokus gerückt. Nicht nur wegen des Urteils des Internationalen Sportgerichtshofes CAS im Falle Russland. Die ganze Affäre um das russische Staatsdoping „geht auf keine Kuhhaut“, sagt Brasseur, die von 1999 bis 2004 Sportministerin war, also in den Jahren, als die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) gegründet wurde. 1999 hatten der Sport und die Regierungen beschlossen, die WADA zu gründen. „Das war alles andere als einfach“, erinnert sich Brasseur. Sportverbände und Regierungen haben halt nicht immer die gleichen Interessen.

Weltpolizei

Deshalb haben die USA beschlossen, ein Gesetz zu stimmen, das es ihnen erlaubt, weltweit bei internationalen Wettkämpfen zu ermitteln, sobald es zu Dopingverstößen kommt. Hierfür muss lediglich ein US-Athlet am Wettkampf teilnehmen, eine US-Firma Sponsor sein oder TV-Rechte in die USA verkauft worden sein. Laut Brasseur versuchen die USA hier, Weltpolizei zu spielen. Vor einigen Jahren hatten sie zwar mit ihren Ermittlungen gegen FIFA-Funktionäre Erfolg, allerdings war das nicht vergleichbar. „Zum einen haben die USA damals mit den Schweizer Behörden zusammengearbeitet, zum anderen wurde wegen möglicher Straftaten ermittelt, die in den USA begangen wurden.“

Dennoch ist Brasseur davon überzeugt, dass die Dopingbekämpfung eine gesetzliche Grundlage braucht. „Allerdings keine nationalen Alleingänge. Idealerweise würde man sich weltweit auf eine einheitliche rechtliche Grundlage einigen. Das scheint mir allerdings utopisch. Es wäre schon ein Erfolg, wenn man sich zu einer europäischen Direktive durchringe, die dann in nationales Recht umgewandelt werden könnte.“
Der Sport wird seine großen strukturellen Probleme wohl auch 2021 nicht gelöst bekommen. Damit sich etwas ändern kann, müssen weiterhin Missstände konsequent aufgedeckt werden. Brasseur hat trotz allem den Spaß am Spitzensport nicht verloren. „Ich schaue immer noch unheimlich gern Sport. Das war der Grund, wieso ich mir bereits als Studentin ein für damalige Verhältnisse teures Fernsehgerät gekauft haben. An dieser Leidenschaft hat sich eigentlich nichts geändert.“ Vielleicht gibt es 2021 ja wieder ein paar mehr Großereignisse, die man als Zuschauer verfolgen kann. Auch wenn Großereignisse oftmals die Schattenseiten des Sports wieder zum Vorschein bringen.

de Schmatt
29. Dezember 2020 - 10.15

Wie die Gesellschaft, so der Sport. Geld regiert die Welt. Und wo Geld mit im Spiel ist-und wo ist das nicht der Fall- gibt es Korruption und Betrug. Nirgendwo werden die Schattenseiten unserer Gesellschaft sichtbarer als im Hochleistungssport und dessen Gremien, UEFA, FIFA, IOC usw usf. Da sind alle Mittel recht die zum Sieg führen, ohne Rücksicht auf Verluste sogar auf die eigene Gesundheit. So wenig wir die Kriminalität in den Griff bekommen, so hoffnungslos ist der Kampf gegen das Doping. Verbote und Gesetze sind ja scheinbar da, um übertreten zu werden . Dabei ist das 11. Gebot das wichtigste:" Lass dich nicht erwischen ". Die Hunde bellen und die Karawnae zieht weiter.