FechtenFlavio Giannotte vor der Olympia-Qualifikation: „An einem Tag ist alles möglich“

Fechten / Flavio Giannotte vor der Olympia-Qualifikation: „An einem Tag ist alles möglich“
Flavio Giannotte hat bereits bewiesen, dass er mit den Weltbesten mithalten kann Foto: Editpress/Julien Garroy

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Am Wochenende wird in Madrid um Olympia-Tickets gefochten. Nur der Sieger darf nach Tokio reisen. Flavio Giannotte zählt nicht zu den Favoriten. Ganz chancenlos ist der 25-jährige Luxemburger allerdings nicht.

Das europäische Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele in Tokio findet am Wochenende in Madrid statt. Lediglich der Turniersieger erhält das begehrte Ticket. Das Turnier geht über einen Tag. Am Samstag findet das Turnier der Damen statt, am Sonntag sind die Herren dran. Teilnehmen darf jeweils ein Fechter aus den europäischen Ländern, die noch keinen qualifizierten Fechter für Tokio haben. Damit sind zwar nur wenige Konkurrenten am Start, das Leistungsniveau ist hingegen sehr hoch. 27 Fechter sind bei den Herren am Start, davon rund ein Dutzend aus den Top 100 der Weltrangliste. Zunächst wird in vier Gruppen zu jeweils sechs Mann gefochten. Um weiterzukommen, braucht man mindestens zwei Siege. Die drei Bestklassierten sind gleich für die Direktausscheidung qualifiziert. Danach muss man im Hauptfeld fünf Siege hintereinander einfahren, um das Turnier zu gewinnen und sich damit für Olympia zu qualifizieren.

Flavio Giannotte ist an Nummer zehn gesetzt, hat in der Vergangenheit aber mehrmals gezeigt, dass er durchaus mit der Weltspitze mithalten kann. Das Tageblatt hat sich im Vorfeld dieses speziellen Wettbewerbs mit dem 25-jährigen Degenspezialisten  über seine Vorbereitung in Coronazeiten, das Turnier selbst und seine allgemeine Gemütslage unterhalten.

Tageblatt: Wie stehen Ihre Chancen, das begehrte Ticket zu ergattern?

Flavio Giannotte: Der Bestklassierte des Turniers ist der Pole Radoslaw Zawrotniak, der im FIE-Ranking an Position 14 steht. Mit dabei ist auch der amtierende Europameister Yuval Freilich (FIE-19.) aus Israel. Als 69. der Weltrangliste bin ich die Nummer zehn und definitiv nicht der Favorit auf den Turniersieg. Ich stehe deshalb nicht unter allzu hohem Erwartungsdruck. Chancenlos bin ich aber keinesfalls.

Wie gehen Sie das Turnier an?

Ich versuche das Turnier ohne Druck anzugehen und sage mir, dass der Turniersieg einer Höchstleistung gleichkäme. An einem Tag ist alles möglich. Das habe ich schon mehrfach bewiesen, dass ich gegen jeden gewinnen kann. Die Schwierigkeit in Madrid liegt darin, über den Tag hinweg eine konstante Leistung zu bringen. Der Druck ist dennoch größer, als dies bei einem Weltcup der Fall ist. Ein Hochleistungssportler muss damit umgehen können. Mit meiner Psychologin habe ich viel daran gearbeitet.

Stehen Ihre Gruppengegner schon fest?

Offiziell ist die Gruppenaufteilung noch nicht. Ich habe mir diese jedoch schon ausgerechnet. Mein stärkster Gegner müsste der Österreicher Josef Mahringer (FIE-35.) sein. Weitere starke Gegner sind der Engländer Philip Marsh (FIE-121.) und der Weißrusse Dzianis Paulouski (FIE 284.). Interessant ist die Tatsache, dass mehr als drei Viertel der Teilnehmer Linkshänder sind.

Inwieweit beeinflusste die Pandemie Ihre Vorbereitung?

Durch die Pandemie war jeder ein Jahr zu Hause blockiert. Es gab keine Turniere, bei denen man sich messen konnte. Einige Fechter haben die Zeit genutzt, um an ihren Fehlern zu arbeiten, andere haben an ihren Stärken gefeilt. Dadurch ist es sehr schwierig, seine Gegner einzuschätzen. Das war vor der Pandemie möglich, jetzt fehlen die Anhaltspunkte. Deswegen werde ich mich beim Turnier auf meine Stärken konzentrieren.

Wie sah Ihre spezifische Vorbereitung aus?

Wie vor jedem großen Turnier bereite ich mich in Italien vor. Während zwei Wochen war ich dort im Lehrgang mit der italienischen Nationalmannschaft. Seit Langem hatte ich wieder die Gelegenheit, mich mit starken Gegnern zu messen. Am vorletzten Wochenende habe ich dort, nach einem Jahr, mein erstes Turnier bestritten. Bei der Meisterschaft des Piemont kam ich auf Platz zwei. Es hat gutgetan, dieses Turnier zu bestreiten, vor allem um die verschiedenen Automatismen wiederzufinden.

Vor kurzem haben Sie das Examen zum Sportlehrer absolviert. Wie ist es gelaufen?

Nicht gut. Ich hatte zwar den besten Jahresdurchschnitt aller Kandidaten, aber leider hat es im Fach Anatomie wegen eines Details nicht gereicht. Das ist ein sehr bitterer Rückschlag für mich. Den dualen Weg Sport plus Studium zu gehen ist nicht einfach und manchmal muss man Rückschläge verkraften, um seinen Weg danach gestärkt weiterzugehen.

Nicht unbedingt die beste Voraussetzung für das anstehende Turnier. Fühlen Sie sich optimal vorbereitet?

Für ein solches Turnier fühlt man sich nie optimal vorbereitet. Am Sonntag wird es auf jedes Detail ankommen. Neben der physischen und mentalen Vorbereitung braucht man sicherlich auch ein wenig Glück. In den letzten Tagen habe ich versucht, den Kopf frei zu kriegen und etwas Positivität ins Leben reinzubekommen. In der Pandemie waren wir in Luxemburg im Gegensatz zu den großen Fechtnationen im Nachteil. Wir hatten keine Trainingspartner und konnten auch keine Lehrgänge bestreiten. Das Fechten auf der Piste hat uns sehr gefehlt. Persönlich – und ich schäme mich nicht, dies zuzugeben – leide ich sehr unter der momentanen Situation. Es ist eine komplizierte Zeit, vor allem für die jungen Leute. Deine Ziele werden infrage gestellt, für mich gilt dies vor allem in sportlicher Hinsicht. Ich habe ein Leben um den Sport herum aufgebaut und von heute auf morgen wird dir das einfach weggenommen. Ich bin froh, dass ich mir parallel eine professionelle Karriere aufgebaut habe. Ich bin froh, einer Arbeit nachgehen zu können. Kürzlich wurden alle Fechtturniere bis Juni abgesagt, auch die Europameisterschaft, die in einem Monat stattfinden sollte. Irgendwann stellst du dir die Frage, worauf bereitest du dich eigentlich vor? Warum tue ich mir das jeden Tag an und leide im Training für ein Ziel, das immer wieder nach hinten verschoben wird? Es ist nicht einfach, im Leeren herumzuschweben.