Beitrittskandidat / EU-Langmut gegenüber Serbiens autoritärem Präsidenten Vucic ist erschöpft
Die Geduld Brüssels mit Serbien scheint angesichts der autoritären Tendenzen zunehmend erschöpft. Nicht nur der Serbien-Bericht des Europaparlaments nimmt kein diplomatisches Blatt mehr vor den Mund: Statt sich der EU anzunähern, droht sich der Beitrittskandidat immer weiter von ihr zu entfernen.
Diplomatische Zurückhaltung gegenüber ihrem Gastland legten sich die in Serbien akkreditierten Diplomaten bei ihrer konzertierten Aktion keine mehr auf. Ungewohnt deutlich nahmen die Botschafter von sechs EU-Staaten sowie der USA und Großbritanniens vergangene Woche die von Regierungspolitikern und ihnen nahestehenden Boulevardblättern orchestrierte Hetzkampagne gegen das investigative Webportal Krik aufs Korn.
Die „Versuche der Einschüchterung“ der Krik-Journalisten bedrohten nicht nur deren Sicherheit, sondern stünden im Gegensatz zu den Anstrengungen, den Rechtsstaat zu stärken, mahnte die deutsche Botschaft besorgt per Facebook. Journalisten seien „Teil einer funktionierenden Demokratie“, so die niederländische Botschaft per Twitter: Die von „bestimmten Parlamentsabgeordneten“ unterstützte Kampagne gegen Krik „muss enden“.
Die lästigen Krik-Berichte über Korruption und auffällige Bande der Regierungspartei SNS mit der organisierten Kriminalität sind Belgrad schon lange ein Dorn im Auge. Mit den „verbreiteten Lügen“ wollten die Krik-Journalisten nur ihren „eigenen Reichtum“ verdecken, warf SNS-Fraktionschef Aleksandar Martinovic im Parlament ihnen gar „Geldwäsche“ vor.
Miserables Zeugnis wegen Missständen
Neu sind von der SNS inszenierte Kampagnen gegen als „Auslandssöldner“ oder „Verräter“ verunglimpfte Journalisten, Bürgerrechtler oder Oppositionelle bei dem von Präsident Aleksandar Vucic mit eiserner Hand geführten EU-Anwärter zwar keineswegs. Auffällig ist jedoch, dass die Langmut der EU-Partner gegenüber Politchamäleon Vucic zunehmend erschöpft scheint.
„Vucic liefert“, war nach dem Machtwechsel von 2012 lange das geflügelte Diplomatenwort in Belgrad. Doch das Versprechen des vom Westen erhofften Ausgleichs mit Kosovo hat der von EU-Politikern lange als „Reformator“ gepriesene SNS-Chef bis heute nicht wahr gemacht. Stattdessen scheint sich der frühere Informationsminister beim Umbau seines Landes in einen autoritären Einparteienstaat vor allem am Vorbild Chinas, Russlands, der Türkei oder Ungarns statt an den europäischen Werten zu orientieren.
Seinen einstigen Kredit hat Vucic im Westen weitgehend verspielt. Erstmals seit Beginn von Serbiens Beitrittsverhandlungen 2014 hat Brüssel im letzten Jahr wegen ausbleibender Fortschritte kein neues Verhandlungskapitel eröffnet. Ungewohnt scharf nimmt auch der am Donnerstag debattierte Serbien-Bericht des Europaparlaments die Missstände beim Beitrittskandidat aufs Korn. Ein miserableres Zeugnis ist kaum noch möglich: 22 Seiten stark ist das Dokument, das von Belgrad als schallende Ohrfeige empfunden werden muss.
Verquickung von Politik und Mafia
Ob in Sachen Pressefreiheit oder Rechtsstaat: Auffällig genug ist nicht nur von ausbleibenden Fortschritten, sondern selbst von „signifikanten“ Rückschritten die Rede. Offen geißelt der Bericht „Druck auf die Wähler“, „staatlich gesponserte Desinformationskampagnen“, die Knebelung der Pressefreiheit, die zunehmende Zahl von Eilverordnungen, den wachsenden Einfluss Chinas, die Unterstützung der russischen Annektion der Krim sowie die „Verbreitung von Hassreden“ – auch gegen missliebige Europaabgeordnete.
Nicht nur in der internationalen Presse mehren sich die beunruhigenden Berichte über die enge Verquickung von Macht und Mafia in Serbien. Auch das Europaparlament sieht Nachholbedarf bei öffentlichen Ausschreibungen, dem nachlässigen Kampf gegen Korruption und das organisierte Verbrechen sowie der Unabhängigkeit von Aufsichtsorganen.
Gleichzeitig fordert die Berichtsvorlage die Klärung von mehreren Skandalen, in denen SNS-Politiker verwickelt sind – wie den illegalen Abriss einer Belgrader Straßenzeile durch einen maskierten Bautrupp ohne Einschreiten der Polizei; den Waffenhandelskandal bei der staatlichen Rüstungsschmiede Krusik; den Versuch, mit Hilfe der Telekom lästigen TV-Kabelsendern das Wasser abzugraben; oder den SNS-Kontakten des Besitzers einer aufgeflogenen Marihuana-Plantage. Das Portal nova.rs sieht für Vucic gar das „Ende der Flitterwochen mit der EU“ herandämmern: „Die Zeit der Toleranz ist beendet.“
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