LuxemburgZwischen den Gewalten – Dieschbourgs Rücktritt und die Akte der Justiz

Luxemburg / Zwischen den Gewalten – Dieschbourgs Rücktritt und die Akte der Justiz
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“: Carole Dieschbourg auf der Pressekonferenz am Freitagvormittag Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Schock am Freitagvormittag: Luxemburgs Umweltministerin Carole Dieschbourg („déi gréng“) legt ihr politisches Amt nieder. Hintergrund sind die „Gaardenhaischen“-Affäre – und ein Ermittlungsdossier darüber, das die Staatsanwaltschaft am Donnerstag dem Parlament übermittelt hat. Das spielt jetzt – aufgrund eines mehr als 100 Jahre alten Verfassungsartikels – die entscheidende Rolle. 

Nach zweieinhalb Jahren, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg hatten es einige wohl nicht mehr auf dem Radar: Roberto Traversinis „Gaardenhaischen“. Die Staatsanwaltschaft hat seit dem Bekanntwerden der Affäre im September 2019 aber weiter ermittelt. Deshalb kam der Brief von der Justiz, der am Donnerstag der Chamber zugestellt wurde, für einige zwar überraschend, war aber doch nicht gänzlich erwartbar. 

„Die Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft Luxemburg teilen mit, dass die Akte im Zusammenhang mit der sogenannten ‚Gaardenhaischen’-Affäre am 21. April 2022 an den Präsidenten der Abgeordnetenkammer weitergeleitet wurde“, schrieb das „Parquet“ in einer Pressemitteilung am Freitagmorgen um 8 Uhr. Dreieinhalb Stunden später verkündete die grüne Umweltministerin Carole Dieschbourg ihren Rücktritt. 

Dieschbourg, bei der Pressekonferenz ganz in Schwarz gekleidet, sagte: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Sie begründete ihren Rücktritt damit, dass sie nicht wolle, dass die Debatte zur Traversini-Affäre weiter hinausgezögert werde, da sie als Ministerin in dem Fall nicht gehört werden dürfe: „Ich finde es nicht verantwortungsvoll, dass durch diese Affäre wieder Zeit in der Chamber verloren geht“, sagte die 44-Jährige. Die Chamber stehe zurzeit vor großen Herausforderungen, müsse Krisen bewältigen und habe „eigentlich keine Zeit, das Ganze noch einmal“ aufzubereiten.

„Von Anfang an volle Transparenz“

„Ich erinnere daran, dass ich in diesem Dossier von Anfang an volle Transparenz gezeigt habe. Ich habe der Chamber, der Presse Rede und Antwort gestanden“, sagte Dieschbourg. Darüber hinaus sei die Genehmigung zur Renovierung des besagten „Gaardenhaischen“ inzwischen bestätigt worden. Durch ihren Rücktritt mache sie den Weg frei, um Aussagen in der Sache Traversini machen zu können.

Ob dieser Plan aufgeht, ist fraglich. Fest steht: Bei der „Akte“, die die Staatsanwaltschaft an die Chamber übermittelt hat, handelt es sich um Ergebnisse, die Ermittler in den vergangenen zwei Jahren zusammengetragen haben. Aber: Die Justiz selbst kann ein Regierungsmitglied in diesem Fall weder befragen noch anklagen. „Die Verfassung sieht das vor“, erklärt ein Justiz-Sprecher am Freitagnachmittag gegenüber dem Tageblatt. Nicht die Staatsanwaltschaft könne in so einem Fall Anklage führen – nur das Parlament. „An sich übernimmt das Parlament in solchen Fällen die Rolle der Staatsanwaltschaft“, sagt der Sprecher. Tatsächlich sieht die Verfassung in den Artikeln 82 und 116 vor: Nur das Parlament hat in Luxemburg das Recht, ein Mitglied der Regierung „anzuklagen“. 

Die Artikel sind nicht gerade neu. Artikel 82 gibt es in abgewandelter Form seit 1848. Artikel 116, der unter anderem vorsieht, dass diese Vorschrift gilt, „bis sie durch ein Gesetz geregelt wird“, ist seit 1868 in der Verfassung. Änderungen an der Vorgehensweise wurden in der Vergangenheit schon gefordert. Zuletzt 2012, als bei der Chamber ebenfalls ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft herein flatterte – damals hatte das Dossier das Verhalten des damaligen Wirtschaftsministers Jeannot Krecké zum Thema. 

Die Verfassungsartikel, auf die sich die Staatsanwaltschaft beruft
Die Verfassungsartikel, auf die sich die Staatsanwaltschaft beruft

Übernimmt die Chamber den „Fall“, gibt es mehrere Möglichkeiten. Das Parlament kann die Akte einsehen und – wie im Fall Krecké – per Mehrheitsentscheid befinden, dass eine Anklage nicht nötig ist – oder eben Anklage erheben. Sie könnte den Ball aber auch zurückspielen und befinden, dass die Staatsanwaltschaft der Ministerin in diesem Fall Fragen stellen darf. Dann geht die fragliche Akte wieder zurück zur Justiz und landet nach dieser Befragung möglicherweise wieder in der Chamber. Spätestens dann muss das Parlament entscheiden, ob es Anklage erheben möchte. Falls ja, muss die Chamber eine Anklageschrift verfassen, sagt der Justiz-Sprecher. Die würde dem Obersten Gerichtshof übermittelt – wo es dann zu einer Verhandlung kommt. „Soweit ich mich erinnern kann, ist das noch nie passiert“, sagt der Sprecher. 

Ja, es gab Anhaltspunkte, Elemente, die die Staatsanwaltschaft dazu bewogen haben, die Akte an das Parlament weiterzugeben

Sprecher, Staatsanwaltschaft Luxemburg

Zur Akte Dieschbourg will der Sprecher „zu diesem Zeitpunkt“ keine Angaben machen. Er sagt aber: „Es hat eine Voruntersuchung stattgefunden. Und ja: Es gab verschiedene Anhaltspunkte, Elemente, die die Staatsanwaltschaft dazu bewogen haben, die Akte an das Parlament weiterzugeben.“ Das bedeute aber nicht, dass der Inhalt der Akte für eine Anklage oder gar einen Schuldspruch ausreiche. Der Fall Traversini sei eine separate Akte, „das hat nur beiläufig damit zu tun“, sagt der Sprecher. Dort seien die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. 

Wie sich die Tatsache, dass Dieschbourgs vor weiteren Schritten der Chamber zurückgetreten ist, auf das Prozedere auswirkt, ist nicht klar. Die Immunität sei für die Staatsanwaltschaft nicht die Frage, sagt der Sprecher. „Es hängt davon ab, was das Parlament entscheidet.“ Allerdings müsste diese juristische Frage geklärt werden. Chamber-Präsident Fernand Etgen (DP) erklärte am Freitag dem Tageblatt: „Wir müssen analysieren, inwieweit die Kammer jetzt noch eine Entscheidung treffen muss.“ Beim juristischen Dienst des Parlaments sei deshalb eine Analyse beauftragt worden, deren Ergebnis am Montag vorliegen soll. „So komplex ist das nicht, aber wir wollen keinen Fehler machen“, sagt Etgen. „Die Ereignisse haben sich heute überstürzt.“ 

Für die Chamber ist dieser Prozess äußerst sensibel

Luc Heuschling, Politologe

Der Politologe Luc Heuschling sagt, dass die Luxemburger Regelung „absolut außergewöhnlich“ sei, weil Politiker darüber entscheiden würden, ob ein anderer Politiker vor Gericht muss. Man könnte darüber diskutieren, ob diese Prozedur wirklich notwendig ist und ob solch ein Vorfall in einem modernen Rechtsstaat so gehandhabt werden muss. Zudem müsste man hinterfragen, ob diese „spezielle Prozedur“ überhaupt noch an die heutige Zeit und Bedürfnisse angepasst ist und ob man sie nicht überdenken sollte.

„Für die Chamber ist dieser Prozess äußerst sensibel“, sagt Heuschling. Wenn es in der Chamber nur ein Anzeichen dafür geben würde, dass etwas unterschlagen oder unterbrochen wird, dann hätte das „einen furchtbar negativen Impakt auf die Politik“.

Grober J-P.
25. April 2022 - 9.35

Zu spät, wenn ich richtig verstanden habe, darf das Parlament jetzt keine Anklage erheben, oder? Jetzt nur noch ausserparlamentarisch. Kluges Mädchen.

Robert Hottua
23. April 2022 - 17.29

[gelöscht] ------------------ Lieber Robert, bitte kommentieren Sie zum Thema. Anmerkungen zur Zeitgeschichte können Sie uns auch gerne als Leserbrief schicken. Beste Grüße aus der Redaktion