Gesellschaft Luxemburg: Menschenrechte durch Lieferkettengesetz garantieren

Gesellschaft  / Luxemburg: Menschenrechte durch Lieferkettengesetz garantieren
Viele Kleider großer Textilmarken werden in China oder Bangladesch gefertigt. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal. Das Foto entstand bei einer Sensibilisierungskampagne auf der place d’Armes 2018.  Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Die Shoppingtour durch die Hauptstadt und eine Näherin in Bangladesch haben eines gemeinsam: Sie stehen für den Weg, den die Textilien von der ersten Naht bis zum Kleiderbügel im Geschäft nehmen. Über die Arbeitsbedingungen der Näherin tausende von Kilometern entfernt machen sich die wenigsten Gedanken. Das soll sich mit einem nationalen Lieferkettengesetz ändern.

Über die Auslagen in den Geschäften geraten die Bedingungen, unter denen die Textilien produziert werden, aus den Augen. Dort, wo die schicken Jacken, Mäntel oder Blusen zusammengenäht werden, gehören Kinderarbeit, abbruchreife Fabriken, mangelnde Sicherheits- und soziale Standards oder Arbeitnehmerrechte zum Arbeitsalltag. Das sind Verletzungen der Menschenrechte. Nach China ist Bangladesch mit rund 5.000 Textilfabriken der zweitwichtigste Produzent von Kleidung weltweit.

H&M und Kik oder C&A, Mango und Carrefour produzieren ihre Kollektionen in dem Land, wo in den letzten Jahren die meisten Unfälle passiert sind. Der letzte und schwerste war der Einsturz der Textilfabrik im Rana Plaza im April 2013 in einem Vorort von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Das Gebäude war baufällig, trotzdem wurde weitergearbeitet. Mehr als tausend Tote und 2.000 Verletzte forderte das Unglück. Damit kommt die Geschichte in Europa an. Und in Luxemburg.

Die „Initiative pour un devoir de vigilance au Luxembourg“ fordert die gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen, auf die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Wertschöpfungsprozess zu achten. Kurz gesagt: Die Nichtregierungsorganisation fordert ein Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene für alle Sektoren der Wirtschaft.

Freiwilligkeit reicht nicht 

„Es reicht einfach nicht, von den Unternehmen zu erwarten, dass sie sich freiwillig dafür einsetzen“, sagt Antoniya Argirova (37), Koordinatorin bei der „Initiative“. „Der Staat muss bei den Unternehmen, die heute überwiegend weltweit operieren, sicherstellen, dass sie auf die Einhaltung von Menschenrechten achten, wo sie tätig sind.“

Die Politikwissenschaftlerin mit einem Master der „Université de Nancy“ ist für die politische Arbeit bei der „Action Solidarité Tiers Monde“ (ASTM) verantwortlich, wo die „Initiative“ ihren Ursprung hat. 17 NGOs und zwei Gewerkschaften, OGBL und FNCTTFEL, haben sich 2018 zusammengeschlossen, um ein Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene in Luxemburg auf den Weg zu bringen.

Wie wichtig dieses politische Anliegen ist, zeigt eine im August 2019 veröffentlichte Studie, die von der Volkswagenstiftung, dem schwedischen Riksbankens Jubileumsfond und dem britischen Wellcome Trust gefördert wurde. Sie geht der Frage nach, was sich seit dem Unglück in der Textilfabrik im Gebäudekomplex Rana Plaza verändert hat. Insgesamt stellen die Forscher fest, dass es zwar einen „Fortschritt bei der Bezahlung von Überstunden, Boni, Arbeitsplatzsicherheit, sozialen Rechten, Gesundheit und Sicherheit“ gegeben hat, aber „wenig bei Grundgehältern, Arbeitszeiten und erzwungenen Überstunden“.

Misshandlungen durch Aufseher gebe es weiter, die Beschäftigten würden angeschrien oder geschlagen. Am Schluss der Studie hält das Forscherteam fest: „Unsere Forschung zeigt, dass trotz der in den letzten Jahren erzielten Fortschritte weitere Anstrengungen erforderlich sein werden, um den Millionen von Arbeitnehmern, die von der Bekleidungsindustrie abhängig sind, (…) zu helfen.“

Kosten sind kein Argument 

Eine Studie der „Chambre de commerce“, die seit Ende 2019 öffentlich ist, belegt diese Notwendigkeit. „Nur 16,6 Prozent aller in Luxemburg ansässigen Unternehmen machen freiwillige Anstrengungen, ihre Lieferketten auf Einhaltung der Menschenrechte zu prüfen“, sagt Argirova. Nachzulesen ist das in der Studie der ASTM „Risques d’impacts des activités des entreprises sur les populations dans les pays du Sud“ auf Seite 34. Dabei ist es der Finanzplatz, der sich am meisten engagiert, was nicht wundert, weil es der größte Wirtschaftsbereich im Land ist. Der Horeca-Bereich und die Industrie belegen Platz zwei und drei.

Das ist der „Initiative“ zu wenig. Sie fordert, dass alle Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet werden, eine Risikoanalyse ihrer Lieferkette bezüglich der Menschenrechte zu machen. „Nur fairen Kaffee im Betrieb zu trinken und recyceltes Toilettenpapier vorzuhalten, reicht nicht“, sagt Jean-Louis Zeien, der nicht nur Präsident von Fairtrade in Luxemburg ist, sondern sich auch bei der „Initiative“ engagiert.

Sie fordert daneben die gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen, Maßnahmen zu ergreifen, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Und die Verpflichtung auf Schadensersatz, falls das nicht der Fall ist und es deswegen zu Unfällen kommt. Das entspricht dem, was der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen 2011 als Grundsätze bezüglich „Unternehmen und Menschenrechte“ verabschiedet hat.

Viele Firmen argumentieren – vor allem in hart umkämpften Branchen wie der Textilbranche – mit Kosten. Das lässt die „Initiative“ nicht gelten. „Eine europäische Studie aus dem Jahr 2015 hat 0,011 Prozent Kosten am Jahresumsatz bei den Unternehmen dafür ausgerechnet, auf die Einhaltung von Menschenrechten in den Lieferketten zu achten“, sagt Zeien. „Das ist nichts.“ Diese Schätzung geht aus dem „Règlement de l’Union européenne sur l’approvisionnement responsable en minerais“ hervor. Sie richtet sich vor allem an Unternehmen, die mit Konfliktmineralien zu tun haben.

Auch NGOs wie „Watchdogs“ sind global vernetzt

Lassen sich denn Forderungen von Unternehmen, die Menschenrechte zu respektieren, in Ländern, die weit weg von Europa sind, durchsetzen? „Es kann mir keiner sagen, dass, wenn sie Preise oder Lieferdaten diktieren können, sie nicht auch die Einhaltung der Menschenrechte bei den Lieferanten einfordern können“, sagt Zeien. „Außerdem darf man nicht vergessen, dass die ,Watchdogs’ wie NGOs oder Gewerkschaften heutzutage ebenfalls global vernetzt sind.“

Mit Aussagen wie diesen sind er und seine Mitstreiter für das Lieferkettengesetz wieder in Luxemburg. Das Land kandidiert für einen Sitz im Menschenrechtsrat der UN. Das Mandat geht über zwei Jahre von 2022 bis 2024. „Wir denken, Luxemburg ist ein guter Kandidat, wenn das Land ein solches Gesetz vorweisen kann“, sagt Argirova. Das würde im Nebeneffekt den Druck auf die „schwarzen Schafe“, Firmen mit Sitz in Luxemburg, die die Studie von ASTM namentlich aufführt, erhöhen.

„Für Luxemburg wäre es schön, wenn es sich den Pionieren wie Frankreich oder den Niederlanden anschließen würde, wo es bereits entsprechende Gesetze gibt, die die Unternehmen in die Pflicht nehmen“, begründet Zeien die Anstrengungen auf diesem Gebiet. Aussagen wie diese gehören an die Ohren von Außenminister Jean Asselborn (LSAP), in dessen Ressort ein solches Gesetz fällt.

Links

www.wiwiss.fu-berlin.de/forschung/Garments/Medien/04-09-Changes-in-the-Governance-final.pdf; https://actionsolidaritetiersmonde.org/; www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/Pages/CurrentMembers.aspx

„Schwarze Schafe“

Allerdings gibt es schwarze Schafe, wie Ferrero, Socfin, der Hersteller von Spionageabwehr NSO oder die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), die in der Studie der ASTM benannt werden. Alle haben ihren Sitz in Luxemburg und sind in Geschäftsaktivitäten in Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden, verwickelt.

Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC)

Gegründet 2006, Sitz in Genf (CH), 47 Mitglieder, die nach regionalen Kriterien verteilt sind: 13 Sitze gehen an Afrika, 13 an Asien, sechs Sitze gehen an Osteuropa. Acht Sitze bekommen die Staaten Lateinamerikas und der Karibik sowie sieben Sitze Westeuropa und die anderen Staaten. Die Aufgaben des UNHRC sind: Schutz von Opfern von Menschenrechtsverletzungen, Förderung des Schutzes und Umsetzung der Menschenrechte, Entwicklung von neuen Konzepten und Politiken, Ausarbeitung neuer Menschenrechtsstandards, sowohl auf internationaler als auch nationaler Eben, Verhütung und Vorbeugung von Menschenrechtsverletzungen, Koordination der Menschenrechtsarbeit der UNO, Weiterverfolgung und Umsetzung. Der Rat steht seit seiner Gründung immer wieder wegen seiner Besetzung und seines Abstimmungsverhaltens in der Kritik. Unter den aktuellen Mitgliedern finden sich Länder wie die demokratische Republik Kongo, Volksrepublik China, Katar oder Libyen. Das ist auf der Seite des Rates nachzulesen.