Luxemburg„Dafür kämpfe ich“: Warum die Menschen am Weltfrauentag auf die Straße gehen

Luxemburg / „Dafür kämpfe ich“: Warum die Menschen am Weltfrauentag auf die Straße gehen
Im vergangenen Jahr musste der Protest am Weltfrauentag noch unter den zu dem Zeitpunkt geltenden Sicherheitsmaßnahmen abgehalten werden Foto: Editpress/Alain Rischard

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Weltweit wird der internationale Frauentag vom 8. März dazu genutzt, sich für die Rechte von Frauen starkzumachen – auch in Luxemburg. Und wie die Gespräche mit Teilnehmerinnen der am Mittwoch (8.3.) stattfindenden „Marche féministe“ zeigen, gibt es nach wie vor genug Gründe, um auf die Straße zu gehen.

Co-Organisatorin Joana Domingues de Matos

Joana Domingues de Matos will denen eine Stimme geben, die oft nicht gehört werden
Joana Domingues de Matos will denen eine Stimme geben, die oft nicht gehört werden Foto: Editpress/Alain Rischard

„Während manche keine Stimme haben, haben andere es einfacher, sich Gehör zu verschaffen. Ich will etwas bewirken und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf jene lenken, die unsichtbar sind. Dafür kämpfe ich“, sagt Joana Domingues de Matos über ihre Beweggründe für den Einsatz bei der „Marche féministe“, die am Weltfrauentag in Luxemburg-Stadt stattfindet. Als Mitglied der Plattform JIF („Journée internationale des femmes“) kümmert die 29 Jahre alte Frau sich mit anderen um die Organisation der Veranstaltung. Mit unter anderem einem Ziel: Dass die alltägliche Arbeit von Frauen mehr wertgeschätzt wird. 

Denn laut Joana Domingues de Matos werden den Menschen je nach Geschlecht unterschiedliche Rollen zugeordnet. Was zum Problem werden kann, wenn man etwas darstellen muss, mit dem man sich nicht identifizieren kann. Und noch etwas findet die in Strassen aufgewachsene und nun in Arlon (B) lebende Sozialarbeiterin an dieser Tatsache schwierig: „Wenn zum Beispiel Besuch kommt, versteht es sich oft von selbst, dass die Frau nach dem Essen den Tisch abräumt. Aber: Das ist eigentlich nicht selbstverständlich. Und darüber muss geredet werden.“ Sodass allgemein mehr Bewusstsein für die geleistete Arbeit von Frauen entsteht und diese dann auch anerkannt wird.

Und eine Bewerberin auf Arbeitssuche dann zum Beispiel keine Nachteile mehr erfährt, weil sie sich während einer längeren Phase zu Hause um Haushalt und Kinder gekümmert hat. „In dieser Zeit hat sie ja nicht nichts getan“, unterstreicht Joana Domingues de Matos, die dafür sorgen will, dass Frauen gehört werden. Denn nicht immer ist das der Fall – wie sie selbst einmal erfahren musste, als sie ihren Partner und zwei seiner Freunde beim Kauf eines neuen Wagens in Deutschland begleitete. Da von den Männern keiner Deutsch konnte, sollte sie bei der Übersetzung helfen.

Und obwohl deshalb sie es war, die im Autohaus den Verkäufer ansprach, wandte dieser sich immer wieder an die Männer – die ihn nicht verstanden. „Ich wies ihn darauf hin und doch redete er immer wieder mit meinem Partner und seinen Freunden. Mich schaute er nicht einmal an. Nach mehreren Versuchen nahmen wir das so hin“, ärgert sich die 29-Jährige im Nachhinein über die für sie verletzende Situation. Sie ist der Meinung, dass viele Frauen von ähnlich konkreten Fällen berichten können und hält deshalb an Veranstaltungen wie der „Marche féministe“ fest. Um darauf hinzuweisen, was noch getan werden muss. 

CID-Mitbegründerin Colette Kutten

Für Colette Kutten gibt es viele Themen, die noch angegangen werden müssen
Für Colette Kutten gibt es viele Themen, die noch angegangen werden müssen Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Auch Colette Kutten wird bei der Aktion wieder dabei sein. Seit 1979 ist die 71-Jährige aus Düdelingen in der Luxemburger Frauenbewegung aktiv, hat das „Centre d’information et de documentation femmes et genre“ (CID) mit gegründet und ist dort immer noch im Vorstand aktiv. „Es gibt noch einige Baustellen“, stellt sie im Hinblick auf die Gleichstellung fest. Wenn sich die Situation der Frauen auch durch zunehmende Berufstätigkeit allgemein verbessert hat, sind Colette Kutten zufolge dennoch viele noch finanziell abhängig. 

„Da sie zu Hause für die Care-Arbeit – Haushalt, Kochen, Kindererziehung – zuständig sind, reduzieren sie auf Dauer ihre Arbeitszeit, bekommen so weniger Gehalt und zahlen weniger in die Rentenkasse ein. Sodass sie später öfter unter Altersarmut leiden“, erklärt Colette Kutten. Sie fordert, dass die Tätigkeiten des Sorgens und Sichkümmerns gerechter aufgeteilt werden. Mit ihrer Teilnahme an der „Marche féministe“ will die pensionierte Lehrerin außerdem ein deutliches Zeichen gegen Gewalt an Frauen, Femizide und Attacken im Netz setzen. „So viele Themen müssen noch angegangen werden“, unterstreicht sie.

Wenn auch Colette Kutten persönlich noch keine Diskrimination aufgrund ihres Geschlechtes erlebt hat, stellt sie Folgendes fest: „Fakt ist, dass Frauen weniger verdienen, belästigt werden und Gewalt erleben.“ Sie erinnert an die Vergewaltigungen von Frauen in Kriegsgebieten oder die Konsequenzen, die Demonstrantinnen aktuell im Iran blühen, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen. „Dafür gehen wir auf die Straße – um dagegen zu protestieren. Wir wollen Solidarität mit den Frauen auf der ganzen Welt zeigen.“ 

„Marche féministe“ am Weltfrauentag

Los geht es mit der von der feministischen Plattform JIF („Journée internationale des femmes“) organisierten „Marche féministe“ – zuvor „Fraestreik“ – am 8. März um 17 Uhr in der Hauptstadt. Startpunkt ist, wie von Anfang an geplant, der Hamilius-Platz. In den Tagen vor der Veranstaltung hatte es nämlich etwas Durcheinander und Diskussionen darum gegeben, ob der Protestzug von dort aus starten kann. Doch das wird nun der Fall sein. Vom Hamilius aus geht es dann gemeinsam in Richtung „Place d’armes“. Laut den Organisatorinnen richtet sich die Veranstaltung an alle, die sich für die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, unabhängig von Geschlecht sowie Gender, starkmachen. Auch Männer können dabei ihre Solidarität mit Frauen ausdrücken. 

Junge Mutter Sabrina Schaul 

Wenn viele gemeinsam auf die Straße gehen, kann das laut Sabrina Schaul ein wichtiger Schritt für Veränderungen sein 
Wenn viele gemeinsam auf die Straße gehen, kann das laut Sabrina Schaul ein wichtiger Schritt für Veränderungen sein  Foto: privat

Auch Sabrina Schaul aus Mersch will sich mit anderen solidarisch zeigen. Zum zweiten Mal nimmt sie an der „Marche féministe“ teil und erklärt: „Es können nicht nur die auf die Straße gehen, die direkt betroffen sind. Wenn sich etwas ändern soll, dann müssen auch andere aktiv werden. Wenn du nur zu Hause auf dem Sofa sitzt, erfahren Betroffene nichts von der Unterstützung und es bekommen auch die nichts mit, die etwas ändern könnten.“ Die 33-Jährige gibt zu bedenken, dass neben schlimmen Fällen von Diskrimination es auch im Alltag immer wieder Benachteiligung von Frauen gibt. 

„Ich weiß nicht, ob ein Mann bei der Bewerbung gefragt wird, ob er Kinder hat“, sagt die Kommunikationsbeauftragte einer Umweltschutzorganisation und muss bei dieser allgemeinen Aussage an eine konkrete Situation denken, die sie selbst bei der Arbeitssuche erlebt hat. Beim Vorstellungsgespräch für eine leitende Position wurde sie gefragt, ob sie ein Problem darin sähe, Chefin von zwei männlichen Mitarbeitern zu sein. „Dass man sich erkundigt, ob jemand sich in einer Führungsposition sieht, kann ich nachvollziehen. Ich verstehe aber nicht, welche Rolle das Geschlecht dabei spielt.“ Verwundert fragte sich Sabrina Schaul, ob das auch im Bewerbungsgespräch eines männlichen Kandidaten Thema gewesen wäre. 

Am Weltfrauentag will die junge Mutter aber vor allem für die Aufwertung der Care-Arbeit und eine Ausweitung der Elternzeit für Väter auf die Straße gehen. Dass sie vor einigen Monaten ihre kleine Tochter zur Welt gebracht hat, ist für sie umso mehr ein Grund, sich für Mädchen und Frauen starkzumachen. Freuen würde sie sich, wenn mehr Männer an der Veranstaltung teilnähmen. Denn: „Wenn sie nicht nur in der Partnerschaft hinter den Frauen stehen, sondern sich auch ganz offiziell äußern, hätte das noch mehr Gewicht. Sodass Veränderung möglich wird.“  

Langjährige Teilnehmerin Marcelle Jemming

Durch ihre Teilnahme an der „Marche féministe“ will Marcelle Jemming ein Zeichen setzen – auch gegen Diskriminierung in anderen Ländern
Durch ihre Teilnahme an der „Marche féministe“ will Marcelle Jemming ein Zeichen setzen – auch gegen Diskriminierung in anderen Ländern Foto: Privat

Veränderungen sind auch aus der Sicht von Protestteilnehmerin Marcelle Jemming nötig. Seit dem Alter von 25 Jahren tritt sie für Chancengerechtigkeit ein und ist auch in diesem Jahr bei der „Marche féministe“ dabei. „Es ist für mich ein Symbol gegen Diskriminierung, Sexismus, geschlechterspezifische Gewalt, versteckten Menschenhandel und Zwangsehe – wie es sie auch in Luxemburg gibt“, erklärt die Freiberuflerin, die Gemeinden zum Thema Chancengleichheit berät und als Freiwillige bei den Luxemburger Ärzten ohne Grenzen aktiv ist. 

Mit dem Protestzug soll die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, dass immer noch Menschen unter Unterdrückung und Sexismus leiden. „Es hat sich zwar viel getan – ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen es anders war –, und doch gibt es zum Beispiel immer noch sexualisierte Gewalt. Solange das so ist, müssen wir weiter daran arbeiten“, stellt die Bürgerin aus Capellen fest. Sie spricht sich außerdem für eine bessere Verteilung der Care-Arbeit, die Bekämpfung von Altersarmut oder das Recht von Frauen auf Abtreibung aus. 

Diskriminierung begegnet der 62-Jährigen im Alltag bei Versammlungen im Verein oder vielleicht auch im Berufsleben unter der Form von „dummen Witzen“ gegen Frauen. Durch ihre Teilnahme an der Aktion will sie aber viel weiter gehen und ein Zeichen gegen Situationen setzen, die sich fernab der eigenen Haustür auf internationaler Ebene abspielen. „Wenn es mir hier auch in vielen Dingen gut geht, gibt es in anderen Ländern doch Beschneidungen, den Zwangsschleier und allgemein eben Situationen, in denen Frauen nicht eigenständig Entscheidungen treffen können. Deshalb dürfen wir nicht nachgeben.“

Ein Feiertag in den postkommunistischen Ländern

Der internationale Frauentag war und ist in vielen postkommunistischen Ländern ein staatlicher Feiertag und wird deshalb noch heute vielerorts in Osteuropa ganz anders gefeiert als in Luxemburg. Frauen – ob Freundin, Mutter, Bekannte oder Arbeitskollegin – bekommen von Männern an diesem Tag Blumen geschenkt. Meist rote Nelken, da diese als Zeichen der Gleichberechtigung gelten. Wer kein Geschenk parat hat, kann auch bei einem Gläschen auf die Frauen anstoßen oder ihnen einfach nur gratulieren. Chancengleichheit gehörte während der kommunistischen Ära zur Propaganda der Regime, wurde aber auch teilweise mehr gefördert als in Westeuropa. Heute ist der internationale Frauentag in Ländern wie Armenien, Georgien, Moldawien, Ukraine oder Russland immer noch ein Feiertag. (del)


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