1.034 Frauen haben 2023 einen Antrag bei „Planning familial“ für einen Schwangerschaftsabbruch eingereicht. Das ist ein Anstieg von 46 Prozent gegenüber 2022. Eine Entwicklung, die der Verein als besorgniserregend empfindet, wie die Präsidentin Ainhoa Achutegui am Freitag gegenüber dem Tageblatt sagt. Der letzte Höchststand wurde 2015 erreicht – mit 738 Anträgen. Seither waren die Zahlen, wie in den meisten europäischen Ländern, rückläufig. Aber: Dieser Trend hat sich seit 2021 umgekehrt.
Von den 1.034 Anträgen beim „Planning familial“ im Jahr 2023 führten 713 tatsächlich zu Schwangerschaftsabbrüchen. Aber: In Luxemburg gibt es keine weiteren offiziellen Zahlen über Abtreibungen. Das Gesundheitsministerium bestätigt auf Tageblatt-Nachfrage, dass es lediglich über die Abrechnungskosten der CNS verfüge. Diese Daten ermöglichen es aber nicht, den Unterschied zwischen einem freiwilligen Schwangerschaftsabbruch und einem Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Fehlgeburt zu machen. Dadurch seien die Daten nicht „repräsentativ“, wie das Ministerium schreibt.
Planning familial
Die gemeinnützige Organisation wurde 1965 gegründet und ist ein „Centre médical“ mit drei Zentren im Großherzogtum: in Luxemburg-Stadt, in Esch und in Ettelbrück. Oberstes Ziel der Organisation ist laut Website die sexuelle, emotionale und reproduktive Gesundheit von Frauen, steht aber allen Menschen offen.
Dass diese Zahlen fehlen, kritisiert „Planning familial“. „Diese Zahlen sind notwendig, da wir bei uns einen extremen Anstieg sehen“, sagt Ainhoa Achutegui – und berichtet von weiteren möglicherweise drastischen Entwicklungen: Die Zahl der Anfragen bei „Planning familial“ lag im März dieses Jahres 58 Prozent über der vom März 2023. Achutegui bezeichnet die Situation als „problematisch“. Denn: Aufgrund der fehlenden Daten ist nicht bekannt, ob diese Zunahme im ganzen Land verzeichnet wird oder nur bei den Einrichtungen von „Planning familial“. Ein medikamentöser Abbruch kann neben dem Verein Planning auch bei einem zugelassenen Arzt vorgenommen werden, und dieser muss dabei nicht zwingend ein Facharzt für Gynäkologie sein, schreibt das Gesundheitsamt. Ein instrumenteller Abbruch darf in Luxemburg dagegen nur von einem zugelassenen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe durchgeführt werden.
Europaweit – Frankreich und Spanien ausgeschlossen – ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche rückläufig. „Es muss herausgefunden werden, warum es diesen rasanten Anstieg gibt“, sagt Achutegui. Sind diese Schwangerschaftsabbrüche ein Versagen der Empfängnisverhütung – oder ein Zeichen für das Fehlen einer umfassenden, neutralen und zugänglichen Sexualerziehung?
Soziale Unsicherheit ist zunehmendes Problem
Auf der Generalversammlung am vergangenen Donnerstag formulierten die Mitglieder von „Planning familial“ auch weitergehende politische Forderungen. Dazu gehört ein „Zugang zum vollständigen Schwangerschaftsabbruch ohne Einschränkungen und kompromissfrei“, wie aus dem Aktivitätsbericht von der Versammlung hervorgeht. Dazu zähle auch die Aufnahme des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in die Luxemburger Verfassung, denn das gelte als Gleichheitsgrundsatz und Grundrecht der Frauen. Wenn dies umgesetzt wird, ändert sich nichts sofort, erklärt Achutegui. „Eine Änderung wird erst auf lange Sicht festzustellen sein.“ Es sei aber wichtig, dass dieser Schritt gemacht wird – damit Ereignisse wie in den USA hier im Land nicht passieren können.
Eine weitere Herausforderung stellt für den Verein die zunehmende soziale Unsicherheit dar. Die drei Zentren von „Planning familial“ sind laut Aktivitätsbericht mit einem enormen Anstieg von Anfragen konfrontiert – ohne dass zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stünden. Dies habe zur Folge, dass sich der Verein auf eine Priorisierung bei den „Vulnerabilitäten“ vorbereite und bereit sei, ein institutionelles System von Kriterien einzuführen. Auf diese Weise werden Personen ausgewählt, die Zugang zu den Dienstleistungen der Organisation erhalten.
Von 211 beratenen Personen hätten im vergangenen Jahr 36,5 Prozent keine Sozialversicherung gehabt. Fast die Hälfte der Personen waren alleinstehende Frauen und Alleinerziehende. Rund acht Prozent hatten keinen festen Wohnsitz und knapp 21 Prozent hatten keine Papiere. Der Verband fordert daher unter anderem die allgemeine Einführung einer direkten Leistungsabrechnung für einkommensschwache Personen oder eine Universelle Gesundheitsversorgung. Ebenso wird die Übernahme der gesamten medizinischen Versorgung von schwangeren Frauen ab dem ersten Trimester gefordert. Derzeit beginnt diese erst im dritten Trimester.
Änderungen in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche
„Planning familial“ fordert auch, dass einige Einschränkungen beim Schwangerschaftsabbruch in Luxemburg aufgehoben werden. Dazu zählt die Bedenkzeit von drei Tagen nach dem Beratungsgespräch, was so auch im Koalitionsvertrag der CSV-DP-Regierung festgehalten ist. Zudem spricht sich Ainhoa Achutegui im Tageblatt-Interview dafür aus, dass eine Schwangerschaft in Zukunft bis zur 14. Woche abgebrochen werden kann. Derzeit ist dies bis zur zwölften möglich. Gesundheitsministerin Martine Deprez (CSV) ist über dieses Anliegen des Vereins schon informiert. In anderen Ländern wie in Belgien ist dies bis zur 18., in den Niederlanden sogar bis zur 24. Woche möglich.
Verhütungsmittel sind seit dem 1. April 2023 in Luxemburg kostenlos zugänglich – bis auf Kondome. Dies bedauert „Planning familial“, da das Kondom das einzige Verhütungsmittel ist, welches auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt. In den drei Zentren des „Planning familial“ bekommt man Kondome kostenlos.
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