Samstag15. November 2025

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Euro-Krise beflügelt Rassismus

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Die Euro-Schuldenkrise lässt viele Südeuropäer verzweifeln. Vor allem in Griechenland sind die Einwanderer ein willkommener Sündenbock für Armut und Arbeitslosigkeit. Faschistische Parteien haben Zulauf.

Dutzende Polizisten sperren eine Straße im Herzen Athens ab, schauen den Passanten genau ins Gesicht. Wer dunkle Haut hat und kein akzentfreies Griechisch spricht, ist verdächtig. Wer sich nicht ausweisen kann, wird abgeführt. Großrazzien gegen illegale Einwanderer sind in Griechenland inzwischen an der Tagesordnung. Sie sind auch ein wichtiges Ventil für den Unmut vieler Bürger, die den Migranten die Schuld an der Elendsspirale geben.

Denn in Griechenland hat die Euro-Schuldenkrise zu einem sprunghaften Anstieg des Rassismus geführt. Das Land geht damit einen Sonderweg unter den Krisenstaaten. Weil es das Einfallstor illegaler Einwanderer nach Europa ist, werden die hier strandenden Migranten zum Sündenbock. Anders ist die Lage in Spanien, Portugal und auch Italien: Dort werden für das wachsende Elend vor allem die eigene Regierung und Brüssel verantwortlich gemacht.

Besseres Leben

1,5 Millionen Nicht-EU-Ausländer hat die Hoffnung auf ein besseres Leben nach Griechenland getrieben. In dem kleinen Land an der südöstlichen Außengrenze Europas leben Hunderttausende ohne Papiere. Doch legale Arbeit gibt es für sie nicht. Fast jeder vierte Grieche ist selbst arbeitslos. Und vielen verzweifelten Griechen sind die Fremden ein Dorn im Auge.

Die griechische Presse warnt vor einem „rassistischen Amoklauf“ in dem Elf-Millionen-Einwohner-Land. In den vergangenen drei Jahren stieg die rechtsextremistische Partei „Goldene Morgenröte“ quasi aus der Bedeutungslosigkeit auf und zog mit 18 Abgeordneten ins Parlament ein. Umfragen sehen sie aktuell sogar bei zehn Prozent.

„Feind der Nation“

Die krisengeplagten Menschen wollen den Rechten nur zu gerne glauben, dass alle Griechen wieder Arbeit hätten, wenn nur die Ausländer endlich weggingen. Wer Einwanderer einstelle, sei ein „Feind der Nation“, skandieren die Faschisten – und verteilen Essen an notleidende Griechen.

Ministerpräsident Antonis Samaras spricht von einer „unglaublichen Lage“: „Wenn Sie die Wirtschaftskrise und die damit verbundene Verunsicherung mitzählen, dann haben Sie eine tödliche Mischung.“ Ein Todesopfer gab es schon. Mitten in Athen stachen schwarz gekleidete Männer im August einen dunkelhäutigen Mann nieder. Der 19-Jährige verblutete. Die Tat ist kein Einzelfall. Migrantenorganisationen berichten von mehr als 200 Überfällen allein im September.

Spanien und Portugal

In den anderen südeuropäischen Euro-Krisenländern gibt es keine vergleichbare Tendenz. In Spanien, wo ebenfalls jeder Vierte ohne Arbeit dasteht, sind seit dem Ausbruch der Krise kaum Überfälle auf Ausländer bekanntgeworden. Rechtsradikale Organisationen spielen so gut wie keine Rolle. Allerdings kehren wegen der Krise auch viele Ausländer in ihre Heimat zurück, vor allem die Südamerikaner. Ähnlich ist die Lage beim Nachbarn Portugal. „Es gibt natürlich auch hier in Portugal Vorurteile gegen Ausländer, aber in keinem anderen Land Europas fühle ich mich so geborgen wie hier“, sagt die Ukrainerin Natascha (32).

Auch in Italien sind rassistische Übergriffe bisher Einzelfälle. Kürzlich wurden in Rom Jugendliche festgenommen, die in einem Bus einen Ecuadorianer mit „Geh-nach-Hause!“-Rufen beschimpft hatten. Im September wurden sudanesische Flüchtlinge mit Steinen beworfen und mit einem Messer bedroht. Aber der Zorn der Bürger richtet sich eher gegen „die da oben“ in Rom, Brüssel – und Berlin.

Geografische Lage

Dass die Lage in Griechenland so dramatisch ist, hat viel mit der geografischen Lage zu tun. Aus den Kriegs- und Krisengebieten im Nahen Osten und in Nordafrika strömen die Menschen in das aus der Ferne sicher und reich erscheinende EU-Land. Einmal angekommen, ist die Ernüchterung groß. In fast allen Vierteln Athens gehören Ausländer zum Stadtbild, die in Müllcontainern nach Essbarem suchen. Andere fischen nach Aluminiumdosen und anderem Müll, mit dem sich noch ein paar Euro verdienen lassen.

Zunächst pferchten die Behörden die Einwanderer in den heruntergekommenen Arbeitervierteln zusammen. Die Kriminalität stieg und hat inzwischen die vornehmen Stadtteile erreicht. „Jetzt ist es zu spät“, sagt Tavernenbesitzer Aristarchos Giannakos (66) resigniert. Sein Lokal liegt mitten in der Migrantenhochburg Kypseli. Obwohl das Thermometer zur besten Ausgehzeit noch 29 Grad zeigt, sind fast alle Plätze leer.