ReportageWo die Eurovision-Herzen außerhalb der Malmöer Arena höher schlagen

Reportage / Wo die Eurovision-Herzen außerhalb der Malmöer Arena höher schlagen
 Foto: Jessica Oé

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Nach Tagen in der Presse-Bubble in der Malmöer Arena ist es an der Zeit, draußen die Eurovision-Fans zu treffen. Viele von ihnen verfolgten das zweite Halbfinale im EuroVillage im Folkets Park in Malmö. Das Tageblatt war mit vor Ort. 

Eigentlich ist der Folkets Park in Malmö am späten Nachmittag für die Einheimischen ein beliebter Platz zum Ausruhen und Picknicken. Doch derzeit haben die ESC-Fans den Volkspark fest im Griff. Was bedeutet, dass allein schon das Betreten des Areals mit zahlreichen Sicherheitschecks einhergeht. Zunächst wird die Presseakkreditierung genaustens gecheckt, dann muss jede noch so kleine Seitentasche des Rucksacks geöffnet werden. Obwohl man sich daran gewöhnt hat, ständig durchsucht zu werden, jedes Mal ein mühsames Verfahren. Als Presse kann man sich allerdings noch glücklich schätzen. Für alle anderen gilt: Die Tasche muss draußen bleiben. Es gilt ein striktes Verbot und die Polizisten am Eingang lassen nicht mit sich reden. Die Fans müssen, wenn sie Taschen dabei haben, sie in spezielle Schließfächer tun, die in der Gegend des Parks zu finden sind. 

Erst einmal durch die Sicherheitskontrolle, öffnet sich das Areal – und schon um fünf Uhr am Nachmittag sind einige Fans in voller Montur unterwegs. Flaggen werden geschwenkt und manche haben sich das Motto „Glitter, don’t litter“, was auf manchen der Mülltonnen prangt, ein wenig zu sehr zu Herzen genommen. Aber nun ja, wenn nicht beim ESC, wann denn dann? Eine schnelle Tour verschafft Orientierung: Es gibt insgesamt zwei Bühnen im Außenbereich, auf denen abwechselnd Animation und Musikacts auftreten. Das Line-up der Musiker ist ein buntes Line-up von früheren und aktuellen ESC-Größen, den diesjährigen Beiträgen und lokalen schwedischen Gruppen. Obwohl das Fanaufgebot am Donnerstagnachmittag noch überschaubar ist, wird lautstark geklatscht. 

Eine Menschenmenge neben der Tattoo-Stage zieht Aufmerksamkeit auf sich. Einmal kurz hinter die Gruppe und auf die Zehenspitzen gestellt, wird klar, wieso hier so viele Menschen stehen: Es ist ein Meeting-Punkt für die ESC-Künstler von diesem Jahr. Derzeit geben grade die schwedischen Zwillinge Markus und Martinus Autogramme und lassen sich mit den Fans fotografieren. Etwas rechts davon dominiert dann die Farbe Blau: Hier gibt es, da ja Europa-Tag ist, eine spezielle Bühne, wo gratis Hüte mit EU-Logos verteilt werden, und wer will, kann ein kleines Selfie machen. Wer sich hier vorbeischlängelt, steht dann plötzlich vor dem Merchandise-Stand. Die Preise sind in schwedischen Kronen angegeben, weshalb mehrere Kaufinteressenten ihre Handys zur Hand haben und die Preise umrechnen. 

Und noch eine Schlange gibt es daneben. Wieder ist die Neugierde zu groß und als es nach kurzem Warten in das Innere des kleinen Gebäudes und durch einen Glitzervorhand geht, fühlt man sich plötzlich in die ABBA-Jahre zurückversetzt. Es läuft Dancing Queen und man steht mitten auf der Tanzfläche einer Roller-Skate Disko. Erfahrene Skater sausen außen schnell herum, weiter innen hangeln sich deutlich ungeübtere Fans an der Säule entlang. In vollem Bewusstsein, auf welchem Ende des Spektrums eine sehr unsportliche Journalistin landet, wird ein strategischer Rückzug gemacht. 

 Foto: Jessica Oé

Wieder draußen sind bei der Promi-Fotoecke mittlerweile deutlich weniger Fans. Nur die bereits ausgeschiedene Künstlerin aus Polen grinst nochmal mit zwei Fans in die Kamera, ehe auch sie wieder hinter der Absperrung verschwindet. Amanda und Kyle sind extra aus den USA angereist, um am ESC teilzunehmen. „Ich wusste vor ein paar Jahren nicht mal, dass es diesen Wettbewerb gibt, und jetzt bin ich hier, ich kann’s kaum glauben“, erzählt die New Yorkerin. Zu Hause gewinne der Contest immer mehr Aufmerksamkeit. „Wer weiß, vielleicht können wir in ein paar Jahren auch teilnehmen“, scherzt Kyle. Die beiden haben Hunger und verabschieden sich. 

Beim Verlassen des Bereichs rund um die Tattoo-Stage fällt der Blick kurz auf die Künstler auf der Bühne. Es scheint eine lokale Künstlerin zu sein. An ihrem Mikrofon-Ständer: ein Kefija. Den palästinensischen Schal tragen einige der Besucher innerhalb des Areals, doch die Flagge sieht man eigentlich nicht. Dafür umso mehr draußen: In der Gegend des Eingangs wird es laut, die Polizistengruppen, die im EuroVillage verstreut umherstanden, bewegen sich in die Richtung. Schnell wird klar: Der Protestzug des Nachmittags hat sich nicht ganz aufgelöst, sondern zieht gerade am EuroVillage vorbei. Die Stimmung vor Ort wird plötzlich nervös, der Ton der Sicherheitskräfte schärfer. Nein, man könne einen jetzt nicht kurz beim Presseingang herauslassen, um ein Foto zu machen. Am Ende bleibt doch alles friedlich, und die Situation entspannt sich. Zumindest auf den ersten Blick, eine Weile später fällt auf, dass auf einem nahegelegenen Dach mehrere Figuren stehen. Der Einsatz der großen Zoomlinse zeigt: Polizeischarfschützen haben das Geschehen im EuroVillage genau im Auge. Danach fühlt man sich, trotz Partystimmung später beim Halbfinale, irgendwie immer etwas unwohl. 

 Foto: Jessica Oé

Ablenkung bieten zum Glück die Fans selbst. Eine Gruppe spanischer Besucher – deren Meinung zum eigenen Song ziemlich auseinandergehen – stellen sich als Tali-Fans heraus. „Wir haben für sie abgestimmt“, versichern die Freunde und wollen das auch am Samstag wieder tun. Luxemburgische Fans sind trotz vieler Bemühungen am Donnerstagabend leider nicht aufzutreiben, auch nicht im EuroFanCafé, wo sich die ersten schon die besten Plätze für die spätere Liveshow geschnappt haben.

 Foto: Jessica Oé

Ob innen oder außen: Als das Halbfinale beginnt, startet auch die Party. Begünstigt durch die vielen Tanzlieder, stehen die Füße der Fans kaum still. Besonderes laut wird bei der Schweiz gejubelt. Bei Frankreich wird laut mitgesungen, Slimane erntet lauten Applaus. Das Public Viewing mit anderen Fans ist sicherlich die beste Art, den ESC zu feiern, wenn man kein Ticket für die Arena selbst hat. 

Die Nervosität steigt wieder, als Israels Beitrag angekündigt wird. Außen erntet die junge Sängerin ein paar Buhrufe, doch die meisten sind einfach relativ still. Ein paar Besucher drehen dem Schirm demonstrativ den Rücken. Zwei Protestler halten die palästinensische Flagge in die Höhe und rufen ein paar Mal „Free Palestine“. Doch sonst bleibt es friedlich. Im EuroFanCafé selbst ist die Lage etwas angespannter. Die Buh-Rufe beim Auftritt Israels sind deutlich weniger, dafür aber sehr viel lauter. Ein Fan hält eine palästinensische Flagge hoch, versucht den Auftritt Eden Golans zu übertönen, bis zwei Polizisten sich zu ihm durchdrücken. Sie führen den Störenfried und eine weitere Person ab, das Publikum scheint es mit Applaus zu quittieren.

Die Protestler entpuppen sich als zwei ältere schwule Herren, einer von ihnen im weißen Anzug mit regenbogenfarbigen Akzenten. Von den Polizisten bekommt er erklärt, ihr Protest sei innerhalb des Gebäudes nicht erlaubt. Sie müssten diesen draußen weiterführen. Doch die beiden zeigen sich uneinsichtig, diskutieren mit den Beamten, bis diese ihre Personalien aufnehmen und sie sogar bis vor die Absperrungen des Parks begleiten. Die Szene wird von mehreren anderen Besuchern gefilmt. Eine junge Frau – dem Akzent nach aus Großbritannien – will sich einmischen, spricht von polizeilicher Willkür und droht, das Video zu veröffentlichen. Doch die Sicherheitsleute bleiben bestimmt. Mit dem Tageblatt will sie anschließend nicht sprechen.

 Foto: Jessica Oé

Draußen derweil ist das Halbfinale beim letzten Beitrag, Joost aus den Niederlanden, angekommen. Die meisten der Besucher hier haben nichts von dem Zwischenfall im Café mitbekommen und passen nicht auf, als die Polizeigruppe um die beiden Demonstranten sich schnell am Rand vorbeischiebt. Stattdessen wird gehüpft und laut mitgesungen. Es ist irgendwie ein absurdes Bild, was die Lage vor Ort eigentlich ganz gut darstellt.

 Foto: Jessica Oé