Exklusiv-InterviewWie deine Line Koks die Umwelt zerstört – Kolumbiens Präsident über Drogenkartelle 

Exklusiv-Interview / Wie deine Line Koks die Umwelt zerstört – Kolumbiens Präsident über Drogenkartelle 
Kolumbiens Präsident Iván Duque polarisiert – so sehr, dass unter anderem auf seinen Hubschrauber geschossen wurde Foto: Editpress/Hans Lucas/Anouk Flesch

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Halb Luxemburg pfeift sich Kokain durch die Nase, will die Umwelt retten – doch kaum jemand weiß, wie viel Schaden das weiße Gold anrichtet. Im Exklusivinterview erzählt Kolumbiens Präsident Iván Duque vom langen Schatten des Drogenbarons Pablo Escobar, der Umweltzerstörungsmaschine Kokain – und wie man indigene Völker für die Corona-Impfung gewinnen kann.

9. Februar 2022, 18.20 Uhr, Hôtel Le Royal Luxembourg: Dezent gekleidete Herren in viel zu eng sitzenden Anzügen tigern mit Knopf im Ohr herum. Trotz der Präsenz kolumbianischer Sicherheitskräfte ist die Atmosphäre entspannt. Auch die Ankunft des Präsidenten in der Lobby verläuft erstaunlich ruhig. Kameras, Handshake mit dem Personal, Ja, Ja, Hallo, Hallo, Danke – und runter in den Konferenzraum „Guillaume“. Ob man schon Platz nehmen könne? Ein leicht entsetzter Blick der Protokolldame: Natürlich nicht, der Präsident müsse zuerst den Raum betreten. Ok, dann halt nicht – oder doch? Das Kabinett des Präsidenten ist schon im Raum, wieso also nicht einfach mal hingehen und ein wenig smalltalken. Es stört sich niemand daran. Auch Duque nicht.

Der Präsident betritt den Raum, ruhig, fast emotionslos. Mit amerikanisch-kolumbianischem Akzent sagt er auf Englisch: „Lassen Sie mich kurz noch eine Brezel essen.“ Duque greift in eine winzige Schüssel. Zuvor hatten Visiten beim Satellitenbetreiber SES, Großherzog Henri, Premier Bettel und Chamberpräsident Fernand Etgen stattgefunden. Unterzeichnet wurde u.a. ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Luxemburg und Kolumbien. Auch ein Abkommen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung stand auf der Tagesordnung. Die Cracker, die auch aus einer Lorenz-Tüte stammen könnten, scheinen so la la zu sein. Nicht die beste Voraussetzung, einen hungrigen Politiker zu interviewen.

Tageblatt: Herr Präsident, wie schwer ist der Kampf gegen Drogen, wenn Pablo Escobar im In- und Ausland von der Popkultur glorifiziert wird: Die Netflix-Serie „Narcos“ zeichnet z.B. ein leicht romantisiertes Bild der Kartelle und Drogenbosse.

Präsident Iván Duque (mit tiefer Stimme, viel Gravitas und langsamem Tempo): Kolumbien ist das Land von Gabriel José García Márquez (Literaturnobelpreisträger, Anm. d. Red.). Kolumbien ist das Land von Fernando Botero (Maler und Bildhauer, international bekannt wegen des „Boterismo“, Anm. d. Red.). Kolumbien ist das Land mit der zweitgrößten Biodiversität weltweit. Kolumbien ist ein Land, dessen Fläche zu 35 Prozent aus Amazonas-Regenwald besteht. Wir haben weltweit die größte Orchideenvielfalt. Wir haben die beträchtlichste Vogelvielfalt. Kolumbien hat also eine positivere Geschichte zu erzählen. Aber: Wir werden niemals unsere Geschichte verneinen. Ja, wir hatten Momente der Trauer. Und auch Charaktere wie Pablo Escobar, die unserem Image sehr geschadet haben. Das Gute an der Serie, die Sie ansprechen, ist: Am Ende haben sich Recht und Ordnung durchgesetzt – in unserem Land haben Recht und Ordnung gesiegt. Ich will Menschen aus Luxemburg und Europa deshalb einladen, nach Kolumbien zu kommen. Es gibt nur ein Risiko: Sie wollen vielleicht für immer bei uns bleiben.

Nach dem Sieg über Escobar 1993 gab es tatsächlich eine längere Stabilitätsphase. Der Drogenkrieg verlagerte sich nach Mexiko. In den letzten Jahren drehte sich die Entwicklung wieder. Kolumbien bleibt weltweit größter Kokain-Produzent und -Lieferant: Laut dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) wurden allein 2020 etwa 1.228 Tonnen Kokain in Kolumbien produziert. Wie gehen Sie damit um?

Das Drogenproblem ist unsere gemeinsame Verantwortung: Drogenhandel kann nicht nur durch die Angebotsseite gestoppt werden. Sie müssen sich auch die Abnehmerseite anschauen. Wir haben viel im Kampf gegen Drogen getan: Allein 48 Prozent der Drogenbeschlagnahmungen im Westen finden in Kolumbien statt. Letztes Jahr haben wir fast 700 Tonnen Kokain beschlagnahmt – so viel wie nie zuvor in unserem Land. Was die Verantwortung betrifft, müssen wir etwas Intelligenteres auf Seite der Nachfrage tun.

Um einen Hektar Koka anzubauen, müssen Sie fast drei Hektar tropischen Dschungel zerstören. Und: Um 1 Gramm Kokain zu produzieren, werden literweise Benzin verwendet.

Iván Duque , Kolumbiens Präsident

Inwiefern?

Weil der Drogenkonsum 2020 und 2021 global exponentiell gestiegen ist. Ich glaube, wir müssen auf der Nachfrageseite mehr in Sachen Prävention tun. Damit die Menschen verantwortungsbewusster sind. Und was die Menschen meist nicht wissen: Um 1 Gramm Kokain zu produzieren, wird tropischer Dschungel zerstört – um einen Hektar Koka anzubauen, müssen Sie fast drei Hektar tropischen Dschungel zerstören. Und: Um 1 Gramm Kokain zu produzieren, werden literweise Benzin verwendet. Der Kokainhandel trägt also erheblich zur Klimakrise bei. Die Menschen wissen das meist nicht. Sie wissen auch nicht, dass die verwendeten Chemikalien im tropischen Dschungel landen. Das beeinträchtigt wiederum die vielfältigen Ökosysteme. Wir brauchen also aggressivere Präventionskampagnen. Was können wir tun? Wir müssen Kokain „debranden“ (globale soziale Marketing-Strategie, um die öffentliche Wahrnehmung von Kokain zu verändern, Anm. d. Red.).

Wie meinen Sie das?

Die Menschen sollten wissen, was Kokain mit der Gesellschaft anrichtet: nicht nur mit der Gesundheit, sondern auch mit der Umwelt. Wenn wir alle daran zusammenarbeiten, können wir den Drogenhandel stärker bekämpfen.

Sind wir in Europa und in den USA nicht leicht hypokritisch, wenn wir mit dem Finger auf Kolumbien zeigen? In Luxemburg pfeifen sich z.B. Anwälte, Künstler und Finanzplatzmitarbeiter fleißig Kokain durch die Nase. Es ist illegal, aber jeder weiß es.

Drogen sind der Feind Kolumbiens. Drogen sind ein Feind des Friedens in unserem Land. Die guten Storys drehen sich um unsere Blumen, den Kaffee, Smaragde, Bananen, Avocados und unsere traditionelle Landwirtschaft. Wir haben z.B. den Höhepunkt unserer landwirtschaftlichen Exporte erreicht. Kolumbien ist ein Land der Kreativität. Wir sind zum „Sillicon Valley“ Lateinamerikas geworden. Wir sind auch der zentrale Standort für den audiovisuellen Sektor Lateinamerikas und der Karibik. Aber wir müssen den Drogenhandel weiter bekämpfen. Sie haben etwas erwähnt, das sehr interessant ist. Ich habe viele Menschen getroffen, die Kokain konsumieren – und gleichzeitig Umweltschützer sind (muss fast lachen, dann mit überraschter Stimme). Dann sage ich: „Ist das dein Ernst? Verstehst du den Impakt der Kokainproduktion auf die Umwelt?“ Wir müssen also eine starke Sicherheit, einen starken Umgang mit den Kartellen, aber auch eine intelligente Kommunikation haben: Wir müssen der Welt zeigen, dass Kokain nicht nur Korruption und Kriminalität bedeutet, sondern auch einer der weltweit größten Umweltzerstörer ist.

Wenn sie also ein Gramm Kokain konsumieren, konsumieren Sie eigentlich Benzin, Zement und Chemikalien

Iván Duque , Kolumbiens Präsident

Sie nennen das immer „ecocide“. Was heißt das und wie kann man Drogenkonsumenten in Luxemburg besser sensibilisieren?

Um Kokain zu produzieren, verwenden Sie zwei Produkte massiv: Benzin und Zement. Wenn sie also ein Gramm Kokain konsumieren, konsumieren Sie eigentlich Benzin, Zement und Chemikalien. Es ist also nicht nur schlecht für Ihre Gesundheit, sondern auch für das Klima und die Umwelt. Bei hohen Produktionskapazitäten wird die Kokainproduktion zu einem der größten Drogen-Umweltzerstörungsphänomene weltweit. Wenn man die Gesellschaft darauf aufmerksam macht, muss man glaubwürdig sein und auf Abschreckung setzen. Und es braucht Pädagogik: Diese Art Droge tötet Menschen, zerstört den Frieden, beeinträchtigt Institutionen und verwüstet unsere Umwelt. Es braucht gewaltige Kommunikationskampagnen.

In Luxemburg sprechen wir z.B. über die teilweise Legalisierung von Drogen wie Cannabis, thematisieren aber kaum die Rolle von Kokain in unserer Gesellschaft. Wir müssen also niemanden belehren. Gleichzeitig ist die Kritik von Amnesty International (AI) an der politischen Führung Kolumbiens nicht von der Hand zu weisen. Man kann Ihnen keine Tatenlosigkeit vorwerfen. Aber in dem AI-Bericht heißt es sinngemäß: Kolumbien gilt als weltweit gefährlichstes Land für Umweltschützer. Schutzmaßnahmen für Umwelt-/Land/-Gebietsschützer seien unzureichend. Wie reagieren Sie?

Es gibt eine schöne Redewendung von Mark Twain, die später vom bekannten US-Politiker Daniel Patrick Moynihan übernommen wurde: „Everyone is entitled to his own opinion, but not his own fact“ (zu Deutsch: Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seinen eigenen Fakt, Anm. d. Red.). Fakt ist, wenn wir uns den Kampf gegen Kriminalität von 2018 bis 2021 ansehen, haben wir die niedrigste Mordrate seit fast 40 Jahren. Wenn Sie …

… Ja, aber …

… Aber …

… Ich habe mir Ihre Interviews angesehen, Sie sind zäh. Lassen Sie mich kurz nachhaken …

(lacht) … Lassen Sie mich aber meine Antwort beenden …

… Nur eine kurze Zwischenbemerkung …

… Ok, legen Sie los. (schmunzelt)

Im gleichen Amnesty-Bericht heißt es, dass die Morde an sozialen Führungspersönlichkeiten ein schockierendes Ausmaß erreicht haben. Auch wenn insgesamt die Mordrate gesunken ist, scheint es ja aber so, dass insbesondere soziale Aktivisten für ihren Kampf mit dem Leben zahlen mussten.

Ok, lassen Sie mich Ihre Frage unterteilen. Kidnapping gehörte zum Beispiel zu den schrecklichsten Verbrechen Kolumbiens. Wenn Sie sich 2018 bis 2021 anschauen: Wir haben die niedrigsten Kidnappingraten, seit diese Art von Verbrechen erfasst wird. Wenn wir uns die Morde von sozialen Führungspersönlichkeiten anschauen, stellt sich die Frage: Wer bringt diese Menschen um? FARC-Dissidenten, die ELN (Nationale Befreiungsarmee, Anm. d. Red.) und einige der Drogenkartelle in unserem Land. Und obschon wir allgemein einen Rückgang bei den Mordraten haben, feiere ich das nicht. Die Zahl sollte bei null liegen. Damit das aber gelingt, muss man das illegale Drogengeschäft zerlegen: Es heizt diese Gruppen an.

Wir haben letztes Jahr nicht nur so viele Drogen wie nie beschlagnahmt und so viele Kokain-Labore wie nie zuvor zerstört – sondern auch zwei der mächtigsten Kartelle zerlegt: „Los Pellusos“ und „Las Caparros“. Wir haben auch die Kommandozeile des „Clan del Golfo“ zerlegt. Und wir haben „Otoniel“ (Anführer des „Clan del Golfo“, Anm. d. Red.) gefasst: Er ist Kolumbiens gefährlichster Drogenbaron seit Pablo Escobar. Wir sind fest entschlossen und werden jene weiterbekämpfen, die soziale Aktivisten töten. Wir haben z.B. 638 Drogenbarone in die USA und nach Europa ausgeliefert.

Experten sagen, dass das Ausschalten eines einzigen Drogenbarons das Problem nicht mehr löse. Es gebe genug Ersatzkandidaten und die Strukturen seien informell und flexibel. Es sei eben nicht mehr Escobar und seine Handlanger, sondern ein komplexes Netzwerk.

Nehmen Sie „Otoniel“. Er war gefährlicher als Pablo Escobar …

… Das ändert aber nichts am einfacheren Ersetzen …

… Ja, dazu komme ich noch. Wenn Sie Escobar und Otoniel vergleichen, sagen Leute, die an Escobars Taten beteiligt waren: Auf dem Höhepunkt seiner kriminellen Machenschaften als Drogenbaron hat er zu Lebzeiten 80 Tonnen Kokain exportiert. „Otoniel“ und der Clan „Del Golfo“ haben hingegen jährlich mehr als 80 Tonnen Kokain exportiert. Wir haben nicht nur seine Strukturen ausgehebelt, sondern auch jene seiner Mittelsmänner. Der „Clan del Golfo“, wie wir ihn kannten, existiert nicht mehr. Wir kämpfen aktuell gegen zwei Drogenbarone: „Chiquito Malo“ (Nr. 3 des Clan del Golfo, Anm. d. Red.) und „Siopas“ (Nr. 2 des Clan del Golfo, Anm. d. Red.). Diese zwei Drogenbarone werden dieses Semester von der kolumbianischen Polizei gejagt: Wir werden nicht damit aufhören. „Otoniel“ hatte das Gefühl, er sei unantastbar – wir haben ihn geschnappt. Niemand steht in unserem Land über dem Recht und der Ordnung.

Die Kolumbien-Expertin Elizabeth Dickinson arbeitet als „Senior Analyst“ für die International Crisis Group in Kolumbien. Sie teilt Ihre Analyse, sagt aber: All die Schmugglerrouten, Gewinnungstechniken, Koka-Felder, Verarbeitungs- und Kaufprozesse seien weiterhin intakt. Deswegen könne das Geschäft weiter florieren. Sie bemerkt interessanterweise: „Die Frage ist eigentlich, ob das neue Leadership dazu in der Lage ist, eine solch heterogene Organisation auf einer solch weiten geografischen Abdeckung aufrechtzuerhalten.“

Ich kann Ihnen eins garantieren: Niemand wird jemals wieder das Level von Kommandant „Otoniel“ erreichen. Als ich mein Amt als Präsident angetreten habe, sagte ich: Ich werde „Otoniel“ jagen. Er war während Jahren aus dem Sichtfeld der kolumbianischen Autoritäten geraten. Wir haben ihn erwischt. Aber nicht nur ihn. Wir haben seine Gefolgsleute und Familienmitglieder geschnappt. Einige von ihnen wurden ausgeliefert. Der „Clan del Golfo“, der früher eine monolithische Struktur war, existiert in der Form nicht mehr. Niemand hat „Otoniels“ Macht und Präsenz geerbt. Deswegen drängen wir beim Obersten Gerichtshof Kolumbiens darauf, dass „Otoniel“ schnellstmöglich an die USA ausgeliefert werden kann.

Sie erwähnen Kolumbiens Oberstes Gericht. Lassen Sie mich kurz das Thema wechseln. Vergangenen September hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass Menschen in Kolumbien ein Recht darauf haben, friedlich zu protestieren und dass staatliche Sicherheitsbehörden exzessiv Gewalt bei den Covid-Protesten angewendet haben. Einerseits ist das im Kontext Ihrer Sicherheitslage nachvollziehbar. Andererseits werden Sie von höchster Instanz dafür gerügt. Wie reagieren Sie?

Ich glaube, dass die Botschaft des Obersten Gerichtshofs genau der Botschaft entspricht, die wir angewendet haben. Was ist die Botschaft? Friedlicher Protest ist ein Recht. Wir müssen es verteidigen und haben das auch getan. Wir haben aber Vandalismus und Gewalt bei uns gesehen. Wir haben beobachtet, wie Menschen die Rechte anderer Menschen verletzt haben: Dann muss man Recht und Ordnung anwenden. Es gibt null Toleranz für individuelle Verstöße gegen die Menschenrechte, die Verfassung und das Recht. Aber: Heute haben wir mehr als 30 Polizisten, gegen die intern und vom Generalstaatsanwalt ermittelt wird. Sie haben nicht das korrekte Verhalten eines Polizisten im Dienst beachtet. Wir haben das als Chance genutzt, um im Kongress Kolumbiens wichtigste Polizeireform seit langem anzugehen.

Wir haben eine neue Disziplinarordnung bei der Polizei, wir haben ein neues Menschenrechtsausbildungsgesetz, wir haben einen neuen Kommissar für Menschenrechte und wir haben ein neues Laufbahnprofil für die Polizei entwickelt. Dies, damit ihr Streben nach Spitzenleistungen bei Einsätzen auch mit dem Schutz der Menschenrechte im Einklang steht. In Kolumbien gibt es 33 Millionen Polizei-Verfahren pro Jahr. Wir erhalten gleichzeitig etwa 5.000 Beschwerden. Ist das eine kleine Zahl? Nein, aber im Vergleich zur Gesamtdimension ist sie es. Wir nehmen sie ernst, ermitteln und sanktionieren.

Das stimmt und es finden sich kaum Gegenstimmen in dieser Hinsicht. Gleichzeitig kritisiert Amnesty International aber, dass Kolumbiens staatliche Sicherheitskräfte weiterhin illegale Überwachungen und Schmierkampagnen gegen soziale Führungskräfte, Journalisten und Regierungsgegner durchgeführt haben. Der Vorwurf lautet also nicht Tatenlosigkeit, sondern, dass Sie zu weit gehen.

Ein Beispiel: Wir haben im Kongress jüngst ein Gesetz verabschiedet, das die höchstmögliche Strafe verlangt, wenn jemand einen Journalisten, einen Menschenrechtsverteidiger, einen Umweltschützer oder ein Mitglied der öffentlichen Kräfte angreift. Das gab es vorher noch nicht …

… Ja, aber Amnesty sagt z.B., dass das Militär mehr als 130 Menschen illegal beobachtet hat, darunter nationale und internationale Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Politiker. Wie passt das zusammen?

Meine Regierung war seit Tag eins sehr klar: null Toleranz für diese Art von Verhalten. Als Regierung setzen wir deswegen auf Vertrauenswürdigkeit. Wir haben diese Woche eine zusätzliche budgetäre Unterstützung durch die US-Regierung erhalten, um unseren Professionalismus und unsere Verbundenheit mit den Menschenrechten in unseren öffentlichen Sicherheitskräften zu verbessern und auszubauen.

Die Zeit läuft davon. Kommen wir auf die Corona-Politik Ihrer Regierung zu sprechen. Sie haben in der Pandemie wegen Ihrer indigenen Bevölkerungen zum Teil auf eine Mischung aus Schulmedizin wie Impfungen, aber auch auf Naturheilkunde gesetzt. Wir haben in Luxemburg, den Nachbarstaaten, der Schweiz und in Österreich das Problem, dass wir auch Menschen haben, die eher der Naturmedizin als einer Impfung vertrauen. Politiker wissen allerdings nicht, wie sie diesen Teil der Bevölkerung nicht-radikalisierter Impfgegner erreichen sollen. In Kolumbien ist es offenbar gelungen, sogar indigene Stämme zur Impfung zu bewegen. Auf welche Politik haben Sie gesetzt?

Das Wichtigste ist: Eine erfolgreiche Massen-Impfkampagne muss auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren – nicht auf Ideologie, nicht auf Politik. Wenn Sie Politik mit Ideologie und Wissenschaft vermischen, haben Sie ein großes Problem. Was wir erreicht haben: 80 Prozent unserer Bevölkerung – wir reden von mehr als 50 Millionen Menschen – haben eine erste Impfung erhalten, Ende Februar werden wir bei 70 Prozent sein, die eine zweite Impfung erhalten. Fast sieben Millionen Menschen haben bereits einen Booster-Shot erhalten. Die Pädagogik dahinter: Wir haben die Impfung nicht aufgedrängt. Die Überzeugungskraft basierte allein auf Fakten und Wissenschaft.

Gab es bei Ihnen je die Absicht, eine Impfpflicht einzuführen?

Nein, sie war nie obligatorisch. Sie basierte ausschließlich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und stichhaltigen Argumenten. Ich glaube, das hat dazu geführt, dass die Menschen verstanden haben: Die nationale Impfkampagne ist gratis, massiv, gerecht und – am allerwichtigsten – sie ist vertrauenswürdig. Wir haben keine massiven Impfgegner-Bewegungen in Kolumbien gehabt. Ich glaube, dass sich die Pädagogik am Ende mit der Idee durchgesetzt hat: Wenn du dich impfen lässt, beschützt du dich selbst, aber auch die Leben anderer.

Haben Sie konkrete Policy-Beispiele? Es klingt recht kompliziert, Eingeborene für eine Impfung zu begeistern.

Das war es auch. Aber das kolumbianische Gesundheitsministerium hatte eine gute Herangehensweise. Wir haben diese Herangehensweise nicht erst bei Corona angewendet. Wir haben sie bereits bei anderen Impfungen angewendet, die zum Beispiel für Kinder gedacht sind. Wir respektieren die Weltanschauung der indigenen Völker, aber wir versuchen mit unserer Pädagogik sehr umsichtig, bescheiden und präzise zu sein, damit sie die Impfungen nutzen, um sich und ihre Bevölkerung zu schützen. Unsere Impfkampagne hat dazu geführt, dass mehr als 70 Prozent der indigenen Völker heute geimpft sind.

Können Sie nachvollziehen, dass wir in unseren Ländern impfskeptische Menschen nicht erreichen? Dies, obschon wir keine vergleichbare Traditionen wie die indigenen Völker haben und eher der klassischen Schulmedizin nahestehen.

Ich will das nicht beurteilen oder mich brüsten …

… Klar, die Frage ist aber, wie Sie das konkret politisch umgesetzt haben? Haben Sie Tipps? Wir beißen uns die Zähne an unseren impfskeptischen Mitmenschen aus.

Aus politischer Sicht ist es immer wichtig, dass diese Art von Politik wissenschaftsgestützt ist. Wir haben es rund um den Globus gesehen, dass Impfkampagnen ideologisiert wurden: Wenn du auf der Linken stehst, bist du geimpft, wenn du rechts stehst, nicht. Oder umgekehrt: Wenn du auf der Rechten stehst, bist du geimpft, als Linker nicht – ganz abhängig davon, wer gerade die Regierung stellt. Das ist nicht gesund. Wir haben allerdings auch bei uns Bevölkerungsschichten gesehen, die sich der Impfgegner-Bewegung angeschlossen haben. Die Idee dahinter war: Dass die Impfung gegen die Freiheit ist. Ich glaube, dass die Impfung ein Verteidiger der Freiheit ist: Sie beschützt dein Leben. Ohne Leben kann man keine Freiheiten ausüben.

Sie können sich inzwischen keine strengen Covid-Maßnahmen mehr erlauben. Viele ärmere Menschen sind in Ihrem Land von Wirtschaftszweigen abhängig, die nicht im Homeoffice ausgeübt werden können. Wie schwer ist die Pandemiebekämpfung unter solchen ökonomischen Zwängen?

Die komplizierteste Entscheidung, die je ein kolumbianischer Präsident zu treffen hatte, war: 2020 eine nationale, zeitlich begrenzte Isolationsphase auszurufen. Seit dem Tag dieser Entscheidung haben wir aber schrittweise verschiedene Sektoren wieder geöffnet. Denn am Ende muss man die Balance finden: den Schutz der Gesundheit und des Gesundheitssystems, aber auch den Schutz der Beschäftigung und Wirtschaft. Ohne gutes Gesundheitssystem haben sie keine gute Wirtschaft. Ohne gute Wirtschaft haben sie kein gutes Gesundheitssystem. Wir haben aber noch etwas getan.

Was genau?

Ich habe dafür eine Auszeichnung der Interamerikanischen Entwicklungsbank und eine Anerkennung der Pan American Health Organization (PAHO) erhalten: Wir hatten ein Jahr lang ein TV-Programm, bei dem ich Ärzte aus aller Welt eingeladen habe. Ich habe Disease-Management-Experten, Bürgermeister, Gouverneure, Business Leader usw. eingeladen. Wir haben dem ganzen Land versucht zu zeigen, weshalb das Management des Gesundheitssystems und die gleichzeitige Ankurbelung der Wirtschaft wichtig sind.

Tageblatt-Chefredakteur Dhiraj Sabharwal interviewt Kolumbiens Präsidenten Iván Duque
Tageblatt-Chefredakteur Dhiraj Sabharwal interviewt Kolumbiens Präsidenten Iván Duque Foto: Editpress/Hans Lucas/Anouk Flesch

Zur Person: Kolumbiens Präsident Iván Duque

Iván Duque Márquez wurde am 1. August 1976 in Bogotá, Kolumbien, geboren. Er hat seinen ersten Abschluss in Jura von der Universidad Sergio Arboleda, mit den Schwerpunkten Philosophie und humanistische Studien. Er ist ein Experte in ökonomischen Fragen und trägt einen Masters in „Public Policy and Public Management“ der Georgetown University und einen Masters in „Economic Law“ der American University. Im Wahlkampf 2018 fiel er allerdings dadurch auf, dass sein Lebenslauf gestreckt gewesen sei: Laut investigativen kolumbianischen Medien entstand eine Polemik um eine nicht abgeschlossene Harvard-Weiterbildung, die später aus seinem Lebenslauf gestrichen wurde. Wer hier an Parallelen zu Luxemburg denkt, ist selbst schuld. Duque hat als Kolumnist und als Professor gearbeitet. Er war „Head of the Culture, Creativity and Solidarity Division“ der Interamerikanischen Entwicklungsbank mit den Schwerpunkten soziale Innovation, Entrepreneurship, Jugend und kreative Wirtschaft. Er war zudem „Senior Advisor“ des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe. Duque gilt als Zentrist bzw. Mitte-rechts-Politiker. Er ist Mitglied der Partei „Centro Democrático“.  Als Senator hat er mehrere soziale Gesetze nach vorne gebracht, darunter die sogenannte „Law on Severance Funds“, die Eltern erlauben sollte, die Bildung ihrer Kinder leichter vorzufinanzieren. Er zog offen in den Wahlkampf mit der Botschaft, dass er unzufrieden sei mit dem Friedensabkommen, das mit der Guerillabewegung FARC ausgehandelt wurde – und er gewann 2018 damit die Präsidentschaftswahlen.
Im Mai 2022 finden die nächsten Wahlen statt. Seit der progressiven Entwaffnung der FARC und rechter Paramilitärs sind in Kolumbien viele militarisierte Gruppierung weiterhin aktiv geblieben: Drogenhandel, Schutzgelder und Erpressung gehören zu ihren Geschäften. Dabei werden erbitterte Gefechte um strategische Einflussgebiete ausgefochten: Kolumbien hat eine Fläche von rund 1.142.000 Quadratkilometern. Das Land ist damit doppelt so groß wie Frankreich und etwa dreimal so groß wie Deutschland.
Duque ist ein Politiker, der polarisiert: Für die einen ist er zu weich und akademisch, für die anderen viel zu knallhart und sachorientiert. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch kritisieren z.B., dass seit seiner Amtszeit Hunderte Menschenrechtler getötet worden seien. Außerdem gerieten die Anti-Covid-Proteste 2021 außer Kontrolle. Duques Regierung wurde für exzessive Polizeigewalt kritisiert: Mehr als 40 Menschen wurden bei Protesten von Sicherheitskräften getötet. Gleichzeitig ist das Klima in Kolumbien angeheizt: Im Juni 2021 wurde Duques Hubschrauber vom Typ Blackhawk beschossen. Dabei soll u.a. eine AK-47 zum Einsatz gekommen sein. Gleichzeitig setzt sich Duque für den Kampf gegen die Umweltzerstörung ein: Etwa 100 Milliarden US-Dollar müssten jährlich mobilisiert werden, um das rasante Artensterben zu stoppen. Iván Duque ist Autor mehrerer Bücher, darunter „Machiavelli in Colombia“ und „Monetary Sins“. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Die Plagiatsaffäre

Auf die Frage, was Kolumbiens Präsident von der Plagiatsaffäre von Premier Bettel hält, die laut Opposition zu internationalen Reputationsschäden führt, antwortet Iván Duque: „Ich will das sehr deutlich sagen: Ich mag Premier Xavier Bettel sehr und respektiere ihn. Er ist ein Multilateralist, ein Europäer und eine Person, die immer danach strebt, das Wohlbefinden seiner Bürger zu verbessern. Er ist nicht nur ein Freund Kolumbiens, sondern auch mein Freund in der Welt-Arena. Was ich bei ihm sehe: Vertrauenswürdigkeit, was seine Persönlichkeit und seine Qualität als Menschen betrifft.“ Auf die Nachfrage, ob ihn das Plagiat also nicht störe, hebt Duque die Arme und Hände zu einem „Habe ich doch gerade gesagt“ und schweigt höflich.

Iván Duque polarisiert
Iván Duque polarisiert Foto: Editpress/Hans Lucas/Anouk Flesch

Lora
13. Februar 2022 - 15.46

Mit anderen Worten, wir müssen Coca lokal anbauen um die Transportwege zu verkürzen.

Mores
11. Februar 2022 - 23.27

@jean-pierre.goelff "An firwaat schnauwen esou vill Leit?Question à 100 Euros!!" 5-6 Gramm fir 100€ ass dach OK.

jean-pierre.goelff
11. Februar 2022 - 9.41

An firwaat schnauwen esou vill Leit?Question à 100 Euros!!