DeutschlandVon Stolperfallen und Beinstellern: Kanzlerkandidaten müssen auf jedes Wort achten

Deutschland / Von Stolperfallen und Beinstellern: Kanzlerkandidaten müssen auf jedes Wort achten
Die Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock während einer Diskussionsrunde Foto: AFP/John MacDougall

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Kanzlerkandidaturen sind tückisch und halten manche Fallstricke bereit. Wer ins höchste Regierungsamt will, muss auch die Kunst der Fehlervermeidung beherrschen.

Bloß keine Fehler mehr. Möglichst kein falsches Wort. Nur keine überzogene Gestik oder ein Fluch bei noch angeschaltetem Mikrofon. Noch gut neun Wochen oder 66 Tage, dann wissen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz, was ihr Wahlkampf wert war. Hopp oder top? Was alle drei jetzt schon zu spüren bekommen haben: Wer ins höchste deutsche Regierungsamt will, darf als Kandidatin oder Kandidat auf der Strecke dahin möglichst keine Fehler machen.

Baerbock, Laschet und Scholz sind schon jetzt nicht mehr ohne Schrammen. Unvollständige oder aufgehübschte Angaben im Lebenslauf haben die Kandidatur aller drei Bewerber belastet. Sie mussten nachsteuern, nachbessern, sich erklären – am stärksten Grünen-Herausforderin Baerbock, die sich auch noch Plagiatsvorwürfen wegen ihres Buches „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ erwehren musste. Fehler im Quellenverzeichnis räumte sie ein. Fußnoten hätten gefehlt, aber es sei auch keine Doktorarbeit. Und überhaupt: „Niemand schreibt ein Buch allein.“

Unter Dauerbeschuss

Die digitale Welt mit ihren sozialen Netzwerken, die beinahe alles über jeden in Echtzeit verbreiten können, sind zur Herausforderung wie auch Stolperfalle für die Kandidaten geworden. Manche stolpern auch über die eigenen Beine. Sabine Kropp, Professorin vom Lehrstuhl „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland“ an der Freien Universität Berlin, sagt dazu dem Tageblatt: „Kanzlerkandidaturen früher waren einfacher. Die Öffentlichkeit heute ist nicht nur aggressiver geworden, sondern auch aufmerksamer. Die Kandidaten können kaum noch einen Meter gehen, ohne dass ihr Verhalten oder auch ihre Mimik eingefangen wird im Foto oder Video. Das setzt eine ständige Konzentration und Disziplin voraus, die bei dem Dauerbeschuss, dem die Kandidaten ausgesetzt sind, kaum aufrechterhalten werden können. Eine fehlerfreie Kanzlerkandidatur ist so kaum möglich.“ Baerbock, Laschet und Scholz können jeweils ihr Lied davon singen.

Es findet eine ständige Durchleuchtung und Beobachtung statt, die den Bewerbern nicht den geringsten Fehler erlaubt

Sabine Kropp, Politikwissenschaftlerin

Der Weg an die Macht ist steinig und von unvorhergesehenen Fallstricken begleitet. Hochgeflogen, tief gefallen – das ist nicht selten die Kurve einer Bewerbung für höchste politische Ämter. Kandidaten sind schon an Versprechern gescheitert. SPD-Herausforderer Rudolf Scharping hatte 1994 für die Dauer des damaligen Bundestagswahlkampfes (und darüber hinaus) die Spötter auf seiner Seite, als er bei einer Pressekonferenz Brutto und Netto verwechselte. Kann ja mal vorkommen, bei den vielen Themen, in denen Kandidaten trittfest und parkettsicher sein sollen. „Brutto, Netto, Mexiko“, höhnten noch Jahre danach selbst Genossen aus der SPD-Fraktion in Anspielung auf sein Debakel in der Haushaltsdebatte des Bundestages. Dort hatte Scharping die von Bundeskanzler Helmut Kohl prompt widerlegte These aufgestellt, wonach sich ein mexikanischer Industriearbeiter besserstelle als sein deutscher Kollege. Scharpings Kandidatur war von zahlreichen Patzern begleitet. Nur wurde er damals noch lange nicht über Twitter, Facebook oder Instagram gehetzt oder durch den Kakao gezogen. Kanzlerkandidaten heute stünden „geradezu röntgenartig im Dauerstreaming“, beobachtet Politikwissenschaftlerin Kropp. „Es findet eine ständige Durchleuchtung und Beobachtung statt, die den Bewerbern nicht den geringsten Fehler erlaubt.“ So werde auch die kleinste unglückliche Äußerung umgehend öffentlich.

Glaubwürdigkeit gilt gemeinhin als harte Währung einer Kanzlerkandidatur. Nicht ohne Grund hielt Unions-Kandidat Laschet die Bergmannsmedaille seines Vaters in die Kamera, als er sich im Januar beim digitalen Bundesparteitag um den CDU-Vorsitz bewarb – und gewann. „Sag‘ den Leuten, sie können dir vertrauen“, habe ihm sein Vater geraten. Dann muss für eine erfolgreiche Kanzlerkandidatur aber auch alles sitzen. „Fehler, die an der Glaubwürdigkeit der Kandidaten rütteln, schmerzen besonders“, so Kropp. An der Glaubwürdigkeit kratze eine verunglückte Präsentation des Lebenslaufes wie im Falle von Grünen-Kandidatin Baerbock. „Oder eben auch falsche Mimik an der falschen Stelle wie etwa der Lacher von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Hochwassergebiet, was dem Ernst der Lage nicht angemessen ist.“

Merkels Raute

2013 erfuhr SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, wie kontraproduktiv überzogene Gestik und Mimik im Wahlkampf sein können. Einen öffentlichen Stinkefinger, entstanden bei einem Fotoshooting für das Magazin der Süddeutschen Zeitung, kann man auch dann nicht mehr reparieren, wenn danach die besondere Ironie der Geste erklärt wird. Zwischendurch löste Steinbrück eine Debatte über Güteklasse und Kosten einer Flasche Pinot Grigio aus. Und auch seine Nebenverdienste für Vorträge und Reden als Reisender in eigener Sache erleichterten seine Kandidatur nicht. Dabei würde der heutige SPD-Kanzlerkandidat Scholz, würde er am 26. September jene 25,7 Prozent holen, die Steinbrück 2013 einfuhr, gewissermaßen zum sozialdemokratischen Messias ausgerufen. Kaum vorstellbar, dass Merkel mit einer überzogenen Gestik in der Öffentlichkeit provoziert. Die Merkel-Raute, bei der sich Daumen und Finger in Form einer Raute vor dem Körper berühren, ist ein Markenzeichen geworden. Kropp sagt, Merkel könne „Ton und Mimik sehr gut kontrollieren“. Man könne ihr Mangel an Rhetorik vorhalten. „Aber auch Laschet, Scholz und Baerbock sind keine begnadeten Redner und auch nur bedingt charismatisch.“ Deutschland hat die Wahl.

HTK
22. Juli 2021 - 17.07

Darum reden sie ja stundenlang ohne etwas zu sagen.Merkels Lieblingswort war "gemeinsam". Das ist nicht zu schlagen.Wer gegen "gemeinsam" ist hat gleich die A-Karte. " Die Metzger und die Schweine müssen sich zusammensetzen und eine geminsame Lösung finden." Wie das gehen soll spielt keine Rolle. Deshalb sind auch die Illner-Maischberger-Schwafelsendungen für mich tabu. Wer bewusst nicht auf eine Frage antwortet,und das tun die meisten,dem sollte das Mikrofon abgenommen werden.Nach dem Motto: "Sie können gerne bleiben aber wir stellen ihnen keine Frage mehr."

trotinette josy
22. Juli 2021 - 8.40

Und im Falle Laschet auch auf jedes ( unangebrachte ) Lachen achten.