ForumUnsere Solidarität mit der Ukraine muss auf Friedensverhandlungen abzielen

Forum / Unsere Solidarität mit der Ukraine muss auf Friedensverhandlungen abzielen
Lukoil-Tanks in Brüssel: Der russische Ölkonzern produziert zwei Prozent des weltweiten Rohöls Foto: AFP

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Die notwendige Solidarität der Amerikaner und Europäer mit der kriegsgeschundenen Ukraine wäre erfolgreicher, wenn sie von einer realistischen Einschätzung der geopolitischen Zusammenhänge getragen wäre. Der größte Teil der Welt teilt nicht die Sanktionswut des Westens. Viele wichtige Staaten, selbst wenn sie Russlands Krieg missbilligten, genieren sich nicht, von den neuen Opportunitäten zu profitieren, welche sich aus den Sanktionen gegen Russland ergeben.

So haben sich die Handelsbeziehungen Russlands mit China, aber auch mit Indien sprunghaft entwickelt. Immerhin die bevölkerungsreichsten Staaten der Welt. Auch sonst ergeben sich wegen der Sanktionen neue Möglichkeiten für viele Staaten. NATO-Partner Türkei liefert zwar Waffen an die Ukraine, hat aber gleichzeitig seine Erdöleinkäufe in Russland verstärkt. Der Iran schloss soeben einen Liefervertrag für russischen Weizen ab. Eine Reihe Golfstaaten sind auf Einkaufstour in Russland. Ein durch die Sanktionen gestiegener Ölpreis ist ein Segen für die Saudis, Kuwaitis und anderen Scheichs. Die von den Europäern hofiert werden, um Ersatz zu bekommen für die Ausfälle von Erdgas und Erdöl aus Russland.

Liquifiziertes Erdgas aus Katar oder den USA ist viel teurer als Erdgas, das durch Pipelines fließt. Das Aufrechterhalten der Kältekette und der Transport kosten viel Energie.

Die Europäer müssen sich dauerhaft auf höhere Energiepreise einstellen. Schmerzhaft für Konsumenten, tödlich für viele europäische Industrien und die damit verbundenen Arbeitsplätze. Die steigenden Energiepreise belasten alle Wirtschaftssektoren. Die Transporte verteuern sich, die logistischen Ketten werden komplizierter. Energie steckt in jedem Produkt. Ohne Energie keine Nahrung. Bis Traktoren und andere landwirtschaftliche Maschinen elektrisch angetrieben werden, müssen noch viele Revolutionen bei der Batterie-Technologie erfolgen. Kein Traktor ist einsetzbar, müsste er das Gewicht einer Tesla-Batterie mitschleppen.

Keine Energiewende ohne Importe

Ganz abgesehen davon, dass die viel gepriesenen Erneuerbaren nur dank seltenen Erden und Mineralien Energie liefern.

Eine Studie der Universität von Leuven kommt zur Schlussfolgerung, die EU könnte sich nur von Erdöl und Erdgas verabschieden und die angestrebte Karbon-Neutralität bis 2050 erreichen, wenn für die Fertigung der dazu benötigten Sonnenpaneele, Windturbinen und Batterien das Vielfache der zurzeit genutzten Volumen an Lithium, Neodym, Nickel, Kobalt, Kupfer, Silizium, Zink und Aluminium zur Verfügung ständen.

Einige Beispiele: Anstatt heute 800.000 Tonnen Lithium seien an die 30 Millionen Tonnen erforderlich. Der jetzige Bedarf an seltenen Erden, einige 3.000 Tonnen, müsste auf 80.000 Tonnen gesteigert werden. Benötigt würden 200% mehr Nickel, 330% mehr Kobalt.

All diese Mineralien sind nur sehr aufwendig zu gewinnen. Deren Ausbeutung ist immer mit hohem Energie- und Wasserverbrauch verbunden. Sowie mit einem brutalen Eingriff in die Natur.

Den Autoren der Leuvener Studie zufolge ist in den kommenden 15 Jahren nicht mit viel Recycling von auszurangierenden Windflügeln oder Fotovoltaik-Panels zu rechnen. Sie schätzen die Quote für eine Wiederverwertung der kritischen Materialien auf 40-70% bis 2050.

Der kanadische Professor und Klimaforscher Vaclav Smil errechnete, dass allein die bis 2030 erhoffte Windkraft-Produktion von 25% der weltweit benötigten Elektrizität rund 450 Millionen Tonnen Stahl zum Bau der dafür benötigten Anlagen erfordern würde. Jeder der drei Flügel einer 5-Megawatt-Windturbine von Vesta wiegt 15 Tonnen. Die 10-Megawatt-Monster von General Electric haben 55 Tonnen schwere Flügel, eine 600 Tonnen schwere Gondel und einen tragenden Turm von 2.550 Tonnen Gewicht.

Optimisten glauben, die Stahlproduktion sei durch die Nutzung von Wasserstoff zu „dekarbonisieren“. Problem ist bloß, dass Wasserstoff erst unter Einsatz von viel Energie zu gewinnen ist. Laut „Atlas der Weltenergien“ stößt die derzeitige Produktion von 70 Millionen Tonnen Wasserstoff ca. 830 Millionen Tonnen CO2 aus. Solange Wasserstoff nicht ausschließlich aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, geht die Rechnung nicht auf. Doch zum schaffen der Träger der Erneuerbaren sind nicht nur große Mengen an Stahl und Beton erforderlich, sondern auch die erwähnten Mineralien. Ein Teufelskreis.

Die meisten der für die Erneuerbaren unumgänglichen Mineralien sind kaum in Europa zu finden. China, zurzeit Russlands bester Partner, ist weltweiter Leader bei Lithium-Ionen-Batterien. Dazu die erste Adresse für Wind- und Sonnenkraft. Laut dem wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments stand China 2021 in Sachen Solartechnologie für 80% der Gewinnung der dazu benötigten Rohstoffe, für 77% der Kapazitäten zur Herstellung von Brennzellen und für 60% der Produktion aller anderen Komponenten.

Das nur als kurze Anmerkung für den Fall, wo die Europäer nach ihrem Verzicht auf Putins Erdöl und Erdgas sich auch von ihrer Abhängigkeit von chinesischen Importen „befreien“ möchten …

Unbequeme Wahrheiten

Die Europäer reden sich ein, sie könnten bis 2030 durch den Boykott der Russen die Energiewende zügiger herbeiführen. Ohne Kohle, Erdöl und Erdgas. Selbstverständlich auch ohne Nuklearenergie. Obwohl selbst der Weltklimarat IPCC mahnt, die angestrebten Klimaziele seien ohne Kernkraft als Backup für Erneuerbare nicht zu schaffen. Sowie nicht ohne Carbon Capture and Storage. In Europa verpönt.

Wahrheit ist, dass weltweit die Nutzung von Kohle zur Gewinnung von Strom 2021 zunahm. Auch 2022 wird ein Rekordjahr für Kohle. Eine ebenso unbequeme Wahrheit ist, dass Erdöl das wichtigste Exportprodukt für 50 Staaten ist. Die nicht auf diese Einnahmen verzichten wollen. Nicht einmal die so klimabewussten Norweger stellen ihre Förderung von Öl und Gas ein. Erst vor zwei Jahren wurde ein riesiges neues Vorkommen angezapft, das Johan-Sverdrup-Feld, mit geschätzten 2,8 Milliarden Barrel Öl. Das sie zu Weltmarktpreisen verkaufen.

Die Europäer haben nunmehr beschlossen, kein russisches Öl zu kaufen, das von Tankschiffen transportiert wird. Dafür werden sie keinen Rabatt von NATO-Partner Oslo erhalten. Übrigens waren die Niederlande letztes Jahr der größte Importeur von russischem Öl, noch vor Deutschland. Wobei Belgien wie Luxemburg von Rotterdam aus beliefert wurden. Wir müssen also nach dem Boykott der Tanker mit steigenden Preisen an der Pumpe rechnen. Mit mehr Inflation und noch grimmiger Indexproblematik.

Nur Verhandlungen können den Krieg beenden

Was tun? Der Ukraine ist mehr mit Waffen und Hilfsgütern geholfen als mit Sanktionen, die ebenfalls ihre Urheber treffen. Zumal Russland seine Erdölprodukte, seine Mineralien und selbst seine Waffensysteme anderswo verkaufen kann. Der Ausschluss Russland aus dem Komitee für Menschenrechte durch die UN-Vollversammlung kam nur mit einer relativen Mehrheit zustande. Über die Hälfte der UN-Staaten stimmten entweder dagegen (24), enthielten sich der Stimme (58) oder blieben der Abstimmung fern (18).

Die USA haben ihre massiven Waffenlieferungen an die Ukraine damit begründet, sie wollten „die Verhandlungsposition“ des Landes stärken. Gut so. Aber bitte nicht Krieg bis zum letzten Ukrainer.

Jeder Krieg geht einmal zu Ende. Selten durch den totalen Sieg der einen Seite, was zuletzt den Alliierten 1945 gegen Deutschland und Japan gelang. Was der Ukraine nicht gegen Russland gelingen wird.

Deshalb werden direkte Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland immer dringender. Die Amerikaner und die Europäer sollen ihre Hilfen für die Ukraine verstärken. Aber gleichzeitig ihre Bereitschaft zu einer Deseskalation bei den Sanktionen signalisieren.

Der Realpolitiker Henry Kissinger sagte in Davos, der Westen könne kein Interesse daran haben, Russland immer fester an China zu binden. Russland bleibt in seiner Essenz ein europäisches Land. Die Geopolitik ist zuerst ein Produkt der Geografie. Russland bleibt unser Nachbar. Selbst mit schwierigen Nachbarn muss man leben lernen.

*) Der Autor ist ehemaliger LSAP-Minister und ehemaliger Europaabgeordneter

Filet de Boeuf
7. Juni 2022 - 17.22

Schickt mal Umfragen raus, wer bereit ist sein Land zu verteidigen. Ich bin nicht bereit für mein Darlehen zu sterben. Und auch nicht für die gute Laune der Erbprivilegierten. Aber da fällt den Politikern schon was ein, zum Beispiel eine Body Count Prämie.

Fernand
7. Juni 2022 - 16.26

Wieso? Wir haben doch auch seit vielen Dekaden nur einen Waffenstillstand mit Nord-Korea, also geht's auch ohne.

lupus-canis
7. Juni 2022 - 8.04

mol Een, deen de Nool op de Kapp trëfft an deen dë Courage huet der sëch hëllt, mol d'Saach vun enger aanerer Säit betruëcht well, wa mër esou als Matleefer viiru fueren, da gët ët een Enn, wou dër Vill wegfléien, an dann ass ët riwwer mat dem 'tEuro-Europa' da gi mër rëm Steng haaën .. Merci RG