ForumPolitik ist ein Kampfsport ohne Regeln: Die Demontage des Frank Engel war kein Akt der Nächstenliebe

Forum / Politik ist ein Kampfsport ohne Regeln: Die Demontage des Frank Engel war kein Akt der Nächstenliebe
Der ehemalige CSV-Präsident Frank Engel Foto: Editpress/Alain Rischard

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Seitdem sich die Menschheit in Gruppen, Stämmen, Völkern organisiert hat, ist die Politik unumgänglich geworden. Das Gemeinwesen, die „Polis“ der alten Griechen, erfordert Strukturen, die unterschiedliche Interessen abwägen, gemeinsame Regeln erstellen und diese durchsetzen.

Für Niccolò Machiavelli, den noch immer modernen Vordenker der Herrschaftsstrukturen, ist Politik „die Summe der Mittel, die nötig sind, um zur Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen“.

In Luxemburg geht es allgemein in der Politik gesitteter zu als im Florenz des 16. Jahrhunderts. Dennoch sind die politischen Parteien keineswegs die frommen Träger einer einhelligen Botschaft. Parteien sind lose Bündnisse nicht unbedingt Gleichgesinnter, die koalieren zur gemeinsamen Machtgewinnung und -erhaltung.

Eine unchristliche Koalition machtgeiler Brüder und Schwestern der CSV hat nunmehr ihren hochfliegenden Parteipräsidenten Frank Engel abgeschossen. Das ist nur das jüngste Element eines andauernden Krabbenkampfes innerhalb der angeblichen Volkspartei, welche das Land über ein halbes Jahrhundert dominierte.

Nach dem Krieg mutierte die ehemalige Rechtspartei mit ihren Honoratioren Dupong, Bech, Frieden und Co. zu einer breiteren Sammelbewegung. Interessanterweise stiegen die Fahnenträger der nachfolgenden Generation, die Pierre Werner, Jacques Santer und Jean-Claude Juncker zu Ministern auf, ohne vorher vom Volk gewählte Abgeordnete zu sein. Es war üblich, dass der jeweilige Ministerpräsident seinen Thronfolger auswählte. Werner gab Santer die heilige Ölung. Santer installierte Juncker.

Nur Juncker unterließ es, seinen Nachfolger an der Spitze der CSV zu bestellen. Der plötzliche Machtverlust, bedingt durch vorgezogene Neuwahlen, hinterließ ein Vakuum. Der offensichtliche Kronprinz, Finanzminister Luc Frieden, hatte keine Lust auf Opposition und zog es vor, ein gut besoldetes Gastspiel bei der Deutschen Bank in London zu absolvieren. Nach seiner Rückkehr verbauten ihm die christlichen Brüder und Schwestern eine erneute Kandidatur für die Abgeordnetenkammer. Er wurde vertröstet auf eine Spitzenkandidatur für die Europa-Wahl als Vorstufe zur Berufung in die EU-Kommission.

Im Schlafwagen zur Macht

Die in ihren Augen widerrechtlich in die Opposition verdrängte CSV war sich ihrer automatischen Rückkehr an die Macht so sicher, dass sie mit Claude Wiseler den am geringsten polarisierenden Spitzenkandidaten auslobte. Ich schrieb damals, die CSV wolle „im Schlafwagen zurück an die Macht“.

Der angebliche „CSV-Plan für Luxemburg“ drückte sich, wie das Land recherchierte, „über 70 Mal an klaren Aussagen vorbei“, indem vorgegeben wurde, man wolle die Probleme des Landes „analysieren“, „evaluieren“, „überprüfen“, „bewerten“ respektive „Bestandsaufnahmen vornehmen“. Um den Eindruck zu erwecken, „sich zu kümmern, ohne sich auf irgendwelche Art festzulegen“.

Es kam, wie es kommen musste. Die CSV verlor trotz Oppositionsbonus Stimmen und Sitze. Jean Asselborn, mit seinem „Merde alors“ gegen das italienische Ekel Salvini, heimste im Südbezirk so viele Vorzugsstimmen ein, dass er den Sozialisten einen Restsitz sicherte. Jenen 31. Sitz, der die unerwartete Weiterführung der Dreierkoalition ermöglichte.

Die erfolgsverwöhnte CSV stand abermals vor einem Trümmerhaufen. Spitzenkandidat Claude Wiseler und Parteipräsident Marc Spautz traten zurück. Von den vielen Ministeraspiranten der CSV traute es sich keiner zu, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Es bewarben sich um den Parteivorsitz mit Serge Wilmes und Frank Engel zwei Kandidaten aus der zweiten Reihe. Der wortgewaltigere Engel erhielt eine ordentliche Mehrheit.

Doch der neue CSV-Präsident machte einen fatalen Fehler. Er verzichtete auf eine erneute Kandidatur für das Europäische Parlament. Damit hatte Engel keine offizielle Tribüne mehr für politische Kommentare. Sowie kein sicheres Einkommen.

Andere Parteien sind in dieser Hinsicht kulanter. Der grüne Co-Präsident verdingt sich ein Zubrot als Angestellter der Fraktion der Grünen. Auch rotierende Abgeordnete von „déi Lénk“ werden als parlamentarische Mitarbeiter abgesichert. Anscheinend verweigerte die CSV-Fraktion eine ähnliche Lösung für ihren arbeitslosen Partei-Präsidenten. Was diesen gewissermaßen dazu zwang, sich ein Einkommen über den „CSV-Frëndeskrees“ zu besorgen. Was Engel letztlich zum Verhängnis wurde.

Ohne politisches Mandat musste Engel versuchen, durch Interviews und kesse Sprüche zu existieren. Wobei er aneckte bei den Hansen, Roth, Mosar und Co., die schon frustriert über die entgangenen Minister-Ehren in Engel einen gewichtigen Konkurrenten für die nächste Regierungsbildung sahen. Als Engel dann noch über Reizthemen wie „Reichen-, Vermögens- und Erbschaftssteuern“ philosophierte, wurde die Demontage des Vorsitzenden eingeleitet.

Anonyme Heckenschützen

Zwar traute sich niemand, offen gegen Frank Engel anzutreten und eine Gegenkandidatur für den anstehenden Parteikongress zu stellen. Die großen Staatsmänner im Wartestand zogen es vor, ihren Parteichef wegen seines eher bescheidenen „Freundeskreis“-Einkommens bei der Staatsanwaltschaft anzuschwärzen. Unter den Denunzianten befanden sich sieben Abgeordnete der CSV. Von denen bislang keiner sich öffentlich zur heldenhaften Anpetzerei bekannte. Die Heckenschützen erreichten jedenfalls ihr Ziel. Der „abgestürzte Engel“ (Luxemburger Wort dixit) kandidierte nicht mehr und trat aus der Partei aus.

Selbst angeblich christliche Parteien sind keine sanften Jünglingsvereine. Politik ist ein Kampfsport ohne Regeln. Machtkämpfe innerhalb der Parteien können gnadenlos sein. Nicht immer wird mit offenem Visier gekämpft. Partei-„Freunde“ werden, wie jetzt mit Frank Engel geschehen, durch hinterhältige Tricks erledigt.

Auf dem CSV-Kongress herrschte am Samstag dennoch eitel Sonnenschein. Der glücklose Spitzenkandidat für die letzten Wahlen, Claude Wiseler, wurde als kleinster gemeinsamer Nenner von 84,6% der Delegierten zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Als Paritätsgadget werden alle Spitzenämter nunmehr gleich doppelt besetzt. Selbst den Fraktionsvorsitz muss sich Martine Hansen mit Gilles Roth teilen.

Dazu Frank Engel gegenüber dem Wort: „Man kann Verantwortung nicht auf so viele Schultern verteilen, dass keiner sie mehr spürt. Das ist das Syndrom einer Krankheit, die wir in der Politik schon länger beobachten. Es traut sich niemand mehr, selbst erkennbar zu sein. Das ist auch nicht mehr erwünscht.“

In der Tat gibt es quer durch den politischen Gemüsegarten immer weniger Politiker mit Ecken und Kanten. Alle sind für Menschenrechte, für sozialen Fortschritt und Gerechtigkeit, für Natur- und Umweltschutz, für nachhaltige Entwicklung, für Umverteilung ohne Wachstum, für Tierschutz, Biodiversität und ähnliche hehre Ziele mehr, ohne dass die großen Schlagwörter mit einer Gebrauchsanweisung versehen werden.

Nur keine Wellen. Engel wurde von einem tückischen Strudel verschluckt. Auf dem CSV-Teich herrscht wieder Ruhe. Selbst wenn es in den Untiefen weiterhin brodelt.

* Der Autor ist ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter.

Salentin
29. April 2021 - 15.14

WER hat es erfunden? Die Formulierung “Der gefallene Engel” gab es zuerst auf der Webseite von Tageblatt (Freitag 19.3.2021, nachmittags). Screenshot vorhanden! Das WORT hat diese Formulierung übernommen (wirklich 1:1 kopiert!) und am Samstag, 20.3.2021, auf die Titelseite gebracht. Die Ehre und das Copyright gebühren in diesem Fall also dem TAGEBLATT bzw. der TAGEBLATT-Online-Ausgabe - und nicht dem WORT. Als Anmerkung für alle Historiker und für die die Nachwelt in Luxemburg.

trotinette josy
29. April 2021 - 12.35

CSV und Nächstenliebe schliessen einander aus !

HTK
29. April 2021 - 12.08

Machiavelli lässt grüßen. Mitchell,Finanzminister unter Nixon,hatte ein Schild im Büro hängen: " Hast du einen Mann erst bei den Eiern,werden Herz und Verstand folgen." Durch die heutige Frauenquote in der Politik,ist dieser Spruch natürlich hinfällig oder eher selektiv. Gemeint ist aber,dass Rücksichtslosigkeit ein geläufiges Werkzeug ist. Der Engel hat sich "erwischen" lassen und wurde von den Teufeln verjagt.

alleboesccheisser
29. April 2021 - 8.03

Ganz gudden artikel , besonnesch den leschten abschnied wei verwaessert eis nei Politiker sech un dene grengen schleichertenwellen mat unhancken