Drei neue Gesetze„Paradigmenwechsel“ beim Jugendschutz und -strafrecht

Drei neue Gesetze / „Paradigmenwechsel“ beim Jugendschutz und -strafrecht
Die Regierung bezeichnete die drei neuen Gesetze zum Jugendschutz und Strafrecht für Minderjährige als „Paradigmenwechsel“  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Gleich drei neue Gesetze zum Jugendschutz, Jugendstrafrecht sowie zum Schutz von minderjährigen Opfern und Zeugen wurden am Dienstag vorgestellt. Alle drei Gesetzestexte wurden aufeinander abgestimmt und ergänzen sich. Die Regierung spricht von einem „Paradigmenwechsel“.

Am Dienstag stellten Justizministerin Sam Tanson, Bildungsminister Claude Meisch und die österreichische Expertin für Kinderrechte Renate Winter drei neue Gesetzestexte zum Schutz Minderjähriger vor. Die drei Texte sind eng miteinander verknüpft und sind das Resultat einer Zusammenarbeit aus den zwei Ministerien. Die Texte decken den Jugendschutz, das Jugendstrafrecht sowie den Schutz von minderjährigen Opfern und Zeugen einer Straftat ab.

„Es ist ein sensibles Dossier, weil es um die am meisten vulnerablen Menschen in unserer Gesellschaft geht“, sagte Justizministerin Sam Tanson. Es gehe um Kinder, die sich in schwierigen Situationen befinden, um Minderjährige, die unter Schutz gestellt werden müssen und um jene, die eine Straftat begangen haben. Die drei Texte wurden in enger Zusammenarbeit zwischen den Ministerien für Justiz und Bildung sowie mit der österreichischen Ex-Richterin und Expertin des Jugendstrafrechts, Renate Winter, aufgestellt. Die alten Texte seien international nicht mehr konform gewesen, so Tanson.

Es wird in Luxemburg nie mehr passieren, dass ein Jugendlicher, aus welchen Gründen auch immer, in ein Erwachsenengefängnis geschickt wird

Renate Winter, Expertin für Kinderrechte

Renate Winter zeigte sich optimistisch: „Ich hoffe, dass es deutlich weniger Kinder geben wird, die in Institutionen platziert werden.“ Nun habe man viele neue Möglichkeiten, die Familien zu stärken. Dann brauche man auch weniger Institutionen. Einige werde es allerdings immer geben. Dann sagte sie: „Es wird in Luxemburg nie mehr passieren, dass ein Jugendlicher, aus welchen Gründen auch immer, in ein Erwachsenengefängnis geschickt wird.“ Winter betonte zudem, dass in den neuen Texten keine einzige Menschenrechtsverletzung mehr zu finden sei.

Garantierter Schutz für Kinder

Der Schutz der Kinder sei nun garantiert, sagte Winter. Dies gelte sowohl für das Strafrecht als auch für das Schutzrecht. „Es ist wichtig, beides zusammenzubringen, denn der Schutz, den Kinder in Schwierigkeiten brauchen, ist nicht derselbe wie für jene, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind.“ In beiden Fällen seien die Menschenrechte zu respektieren. Kinder sollten laut Winter die Möglichkeit haben, nicht sofort mit dem Strafrecht in Kontakt zu kommen, wenn sie etwas angestellt haben, sondern die Möglichkeit bekommen, etwas wieder gutzumachen. So könne man verhindern, dass sie einen Eintrag ins „casier judiciaire“ bekommen, was später bei der Jobsuche zur Stigmatisierung führe.

Wenn ein Vater zu seinem Kind brutal ist, sollte man nicht das Kind aus der Familie herausnehmen, sondern den Vater

Renate Winter, Expertin für Kinderrechte

Die Reform lasse demnach keine Diskriminierung mehr zu. Kinder sollen weder Geldstrafen noch Bürgschaften ausgesetzt werden. Winter erklärte: „Eltern können wohlhabend sein oder auch nicht. Das Strafrecht darf keinen Unterschied zwischen diesen Familien machen.“ Im zweiten Gesetz, jenem des Jugendstrafrechts, spiele die Prävention und die Hilfe für Familien eine wichtigere Rolle als die Platzierung in eine Institution. Letzteres sei nur das allerletzte Mittel, sagte Winter. Die finanzielle und psychologische Hilfe werde in Zukunft der Familie zugutekommen, damit diese das Kind behalten könne. Die Kinderrechtsexpertin nannte ein Beispiel aus dem neuen Schutzgesetz: „Wenn ein Vater zu seinem Kind brutal ist, sollte man nicht das Kind aus der Familie herausnehmen, sondern den Vater.“

Renate Winter gilt als internationale Expertin für Kinderrechtsfragen. Sie half maßgeblich bei der Ausarbeitung der neuen Gesetzestexte.
Renate Winter gilt als internationale Expertin für Kinderrechtsfragen. Sie half maßgeblich bei der Ausarbeitung der neuen Gesetzestexte. Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Bildungsminister Claude Meisch wies darauf hin, dass das vorherige Projekt zum Schutz Minderjähriger damals von der Chamber ausgebremst worden war. Dies sei eine klare „Message“ gewesen und habe die Ministerien für Bildung und Justiz dazu veranlasst, einen neuen Weg zu gehen. Meisch sprach von einem großen Paradigmenwechsel. Die Texte würden eine klare Linie zwischen Jugendstrafrecht und Jugendschutz ziehen, seien international konform und würden der UN-Kinderrechtskonvention Rechnung tragen.

ONE verstärkt in Prävention eingebunden

Neben der Trennung zwischen Jugendstrafrecht und Jugendschutz werde mit den neuen Texten andererseits eine Fusion zwischen Jugendhilfe und Jugendschutz gemacht, so Meisch. Das ONE („Office national de l’enfance“) soll zu einer zentralen Anlaufstelle für Jugendschutz und Jugendhilfe umstrukturiert werden und sich viel deutlicher in Richtung Prävention weiterentwickeln. Der Bildungsminister hob einen weiteren wichtigen Punkt im neuen Jugendschutzgesetz hervor. Er nannte die Partizipation der jungen Menschen und jene der Eltern. Meisch verwies auf den ersten „Kannerbericht“, der jüngst vorgestellt wurde. Der Bericht habe offenbart, dass sich ein Kind wohlfühlt, wenn es seiner Familie gut geht und es in sein Lebensumfeld aktiv mit einbezogen wird.

Das ONE wird immer erst versuchen, freiwillige Maßnahmen vorzuschlagen. Eine Justizprozedur darf nur in allerletzter Instanz Anwendung finden.

Claude Meisch, Bildungsminister

„Das ONE wird immer erst versuchen, freiwillige Maßnahmen vorzuschlagen. Eine Justizprozedur darf nur in allerletzter Instanz Anwendung finden“, so Meisch. Deshalb visiere das ONE zuerst eine Zusammenarbeit mit den Eltern und der Familie an, bevor es vor Gericht gehe. Im Falle einer Platzierung in einem Institut oder einer Pflegefamilie soll die „autorité parentale“ zum Teil bei den Eltern bleiben. In diesem Zusammenhang wurde auch die rechtliche Basis für Pflegefamilien überarbeitet und klarer strukturiert. So wurde unter der Autorität des ONE eine „Maison d’accueil“ geschaffen, die sich um die Selektion sowie die Ausbildung der Pflegeeltern kümmert.

Ein Fokus werde in dem neuen Jugendschutzgesetz auch auf die Qualitätssicherung gelegt, sagte Meisch. So werden sich etwa die zwei staatlichen Träger in diesem Bereich, das „Centre socio-éducatif de l’Etat“ (CSEE) und das „Institut étatique d’ aide à l’enfance“ (früher: staatliche Kinderheime), dem gleichen Prozess der Qualitätssicherung unterziehen. Das CSEE bekomme eine neue Rolle und verliere die Zuständigkeit für das neue Jugendgefängnis. Diese Kompetenz gehe an die Justiz. Das CSEE werde sich stark in der Prävention einsetzen und den Standort Dreiborn zugunsten kleinerer, dezentraler Einrichtungen verlassen.

Anwalt wird obligatorisch

Im neuen Jugendschutzgesetz muss jeder Jugendliche obligatorisch einen Anwalt zur Seite gestellt bekommen, sagte Sam Tanson. Die Justizministerin kündigte zudem die Einstellung von zwei neuen Richtern und drei Gerichtsschreibern in Luxemburg-Stadt an. Am Gericht in Diekirch werden jeweils ein zusätzlicher Richter und Gerichtsschreiber eingestellt. Weil mit den neuen Texten Schutz und Strafrecht voneinander getrennt sein werden, wird ein neues Gericht geschaffen: das „Tribunal pénal pour mineurs“. Dieses wird in erster Instanz für sämtliche Straftaten, die von Minderjährigen begangen wurden, zuständig sein, sagte Tanson. In Berufung gehen könne man anschließend vor der ebenfalls neu geschaffenen „Chambre d’appel“.

Wenn man den Minderjährigen durch andere Maßnahmen begleiten kann, ist das Risiko der Wiederholungstat weniger hoch

Sam Tanson, Justizministerin

Ab wann kann ein Minderjähriger strafrechtlich belangt werden? Über diese Frage sei viel diskutiert worden. Am Ende habe man das Alter von 14 Jahren festgelegt. Zudem könne unter bestimmten Bedingungen bis zum Alter von 21 Jahren das Strafgesetz für Minderjährige angewendet werden. Die Strafdauer werde grundsätzlich gegenüber jener bei den Erwachsenen halbiert. Sam Tanson betonte, dass das Gefängnis stets die letzte Option sei. „Wenn man den Minderjährigen durch andere Maßnahmen begleiten kann, ist das Risiko der Wiederholungstat weniger hoch.“ Es können demnach Alternativen zur Gefängnisstrafe ausgesprochen werden. Tanson nannte als Beispiel die Ausgangssperre.

Die Justizministerin kündigte an, dass die Unisec („Unité de sécurité“) in Dreiborn nun vergrößert werden soll und die Kapazität von 12 auf 24 Insassen verdoppelt wird. Die Umbauarbeiten sollen 24 Monate dauern. Für die sechs Monate, in denen sie nicht benutzt werden kann, soll der „Uerschterhaff“ in Sanem als Ersatz dienen. Erwachsene und Minderjährige werden strikt voneinander getrennt, versicherte Tanson und gab zu, dass die Lösung nicht perfekt sei. In Dreiborn sei ein definitives Gefängnis geplant, das den Ansprüchen des modernen Strafvollzugs entspreche.

Die Ministerin versicherte, dass die drei Gesetze so schnell wie möglich auf den Instanzenweg geschickt werden, um einen Abschluss vor dem Ende der Legislaturperiode gewährleisten zu können. Die drei Texte sollten am besten zeitgleich gestimmt werden. Denn diese seien aufeinander abgestimmt und würden sich ergänzen.