Eran, eraus … an elo? / Verein beklagt „mittelalterliche Zustände“ im Luxemburger Strafvollzug

Die Vereinigung „Eran, eraus … an elo?“ setzt sich für die Verbesserung der Zustände im Luxemburger Strafvollzug ein. Dabei überzeugt sie oft mit fundierten Argumenten und Vorschlägen. (Foto: Editpress/Alain Rischard)
„Eran, eraus … an elo?“ ist eine junge Vereinigung, die sich für die Verbesserung der Zustände im Luxemburger Strafvollzug einsetzt. Mit fundierten Argumenten melden sich die Verantwortlichen regelmäßig zu Wort, um Politik und Behörden auf Missstände hinzuweisen. Das Tageblatt hat sich mit Schatzmeister Greg Fonseca über den Ist-Zustand im Luxemburger Strafvollzug unterhalten, über mittelalterliche Zustände und vertane Chancen.
Luxemburg hat ein Problem: Von 100.000 Einwohnern befinden sich deren 108 derzeit in Haft. Ein Spitzenwert in Europa, den die Justizbehörden aus dem Rampenlicht heraushalten. Thematisiert wird der Strafvollzug nur selten, politisch bleibt das Thema nach wie vor ein heißes Eisen. Getreu dem Motto „What happens in Schrassig stays in Schrassig“ dringen Meldungen aus der Justizvollzugsanstalt nur selten an die Öffentlichkeit
„Erschreckend“ nennt „Eran, eraus … en elo?“ die Zustände im Luxemburger Strafvollzug. Als eine Art Häftlingsgewerkschaft setzt sich die noch junge Interessenvereinigung regelmäßig für die Belange inhaftierter Menschen in Luxemburg ein. Von „mittelalterlichen Verhältnissen“ geht in Pressemitteilungen die Rede, von „kläglichen“ und „dürftigen“ Situationen. „Dabei kann man mit wenigen Mitteln regelrecht Wunder bewirken“, betont Greg Fonseca.
Der Schatzmeister der Vereinigung studiert Jura an der Uni Luxemburg und kennt den Strafvollzug aus erster Hand. Wie seine Mitstreiter weiß auch Fonseca, dass Verbrechen bestraft werden müssen. Allerdings stört sich der junge Mann an den Umständen und fehlenden Perspektiven: Die Häftlinge würden nicht nur sich selbst überlassen, auch der Nutzen für die Gesellschaft werde fast vollständig außer Acht gelassen.
Die Zeit, die Häftlinge hinter Gittern verbringen, sollte konstruktiv genutzt werden. Und sei es nur zugunsten der Gesellschaft. Mit minimalem Aufwand sei vieles möglich, so der junge Mann. Tatsächlich zieht sich dieses Mantra wie ein roter Faden durch sämtliche Forderungen der Interessenvereinigung. Leider ließen die Behörden oft den nötigen Willen vermissen.
Gängige Schwarz-Weiß-Malerei
Der Strafvollzug polarisiert in Luxemburg. „Jeder hat eine Meinung zum Gefängnis und zum Umgang mit Häftlingen“, weiß Fonseca. Tatsächlich gehen die diesbezüglichen Meinungen in der Öffentlichkeit weit auseinander. Dabei rangieren die Einschätzungen von „menschenunwürdigen Zuständen“ bis hin zu „Verbrechern, denen es viel zu gut geht“.
Diese gängige Schwarz-Weiß-Malerei sind die Mitglieder der Vereinigung gewohnt, doch versuchen sie sich von Stereotypen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Corona ist ein gutes Beispiel. Bestimmte Leute hatten bereits Schwierigkeiten mit kleinen Einschränkungen. Im Gefängnis aber verliert man nicht nur seine Freiheit, sondern all seine Rechte. Man ist nicht mehr Herr über das eigene Leben“, sagt Fonseca. Fast den ganzen Tag über sei man auf engstem Raum eingesperrt, ohne Ablenkung oder Annehmlichkeiten wie etwa Fernseher und Smartphone.
Genau in diesem Punkt bestehe eine einmalige Gelegenheit, Betroffene auf eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorzubereiten. Doch werden Häftlinge sich selbst überlassen. „Alleine gelassen, mit den eigenen Gedanken“, fährt der junge Mann fort. „Dabei ist der Freiheitsentzug eine der schlimmsten Bestrafungen überhaupt.“ Darüber hinaus verliere der Betroffene sein alltägliches Leben, seinen Job, Familie und Freunde, den sozialen Status.
Die Folgen für Moral und Psyche seien verheerend. „Wir fordern deshalb eine ständige Begleitung bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft“, unterstreicht der Schatzmeister von „Eran, eraus … an elo?“. Andernfalls laufe der Häftling bei seiner Entlassung Gefahr, wieder auf der Straße zu landen.
„Im Gefängnis verliert man alles. Bei der Entlassung hat man kein Geld in der Tasche, kein Diplom, keine Perspektiven“, sagt Fonseca. Oft wüssten sich die Betroffen nicht anders zu helfen, als wieder straffällig zu werden. Der Staat schaffe einen Teufelskreis, aus dem man nur schwer ausbrechen kann. „Die Rückfallquoten sind entsprechend hoch.“
„Du sitzt einfach nur Zeit ab“
Für „Eran, eraus … an elo“ liegt es auf der Hand, dass die Behörden mit einer umfassenden Begleitung der Häftlinge nicht nur den Betroffenen selbst helfen, sondern auch einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen. „Mit einer Ausbildung, einer Weiterbildung oder einer Arbeit werden die Betroffenen darauf vorbereitet, wieder Teil der Gesellschaft zu werden und einen Mehrwert zu bieten. Doch mit dem aktuellen System werden die Häftlinge an den Rand gedrückt“, erklärt Fonseca. „Wer in dieser Situation nicht mit beiden Füßen auf dem Boden steht, wird nach seiner Entlassung quasi wieder in die Kriminalität gedrückt.“
Dies sei denn auch einer der Gründe, weshalb die Vereinigung von „mittelalterlichen Verhältnissen“ im Luxemburger Strafvollzugssystem spricht. Gemeint seien nicht nur überfüllte Einheiten in Schrassig, lange Wartezeiten auf Verfahren oder fehlende Privatsphäre in den Zellen. „Auch die Ideologie, Menschen einfach nur wegzusperren, ohne sie zu umrahmen, gehört ins Mittelalter“, sagt Fonseca. „Beim Haftantritt bleibt die Zeit einfach stehen. Keine Ausbildung, kaum Schule und Arbeitsmöglichkeiten, niedrige Löhne, fast keine Freizeitangebote … Du sitzt im Gefängnis einfach nur Zeit ab. Diese Herangehensweise ist eines modernen Staates wie Luxemburg nicht würdig.“
Aussagen der Gefängnisleitung, wonach Häftlinge doch Möglichkeiten hätten, einer Ausbildung nachzugehen, nennt Fonseca eine „Verschönerung der Tatsachen“. Zwar erhalte der Kandidat nach Absolvierung eines Ateliers einen Teilnahmeschein, doch sei dieser in der Arbeitswelt nichts wert. „Mit einer richtigen Ausbildung, die später von einem Arbeitgeber anerkannt wird, ist dieser Schein nicht zu vergleichen. Dabei gibt es so viele Möglichkeiten, Häftlingen eine ordentliche Ausbildung zukommen zu lassen.“
Ähnliche Vorwürfe erhebt die Vereinigung in puncto Entlohnung der Häftlinge in den Ateliers. Zwar erhielten sie einen gewissen Lohn, der bei guter Führung auch erhöht werde, doch halte auch diese Bezahlung den modernen Standards nicht stand. „Die Bezahlung liegt weit unter dem Mindestlohn“, stellt Fonseca fest. Bei ähnlichen Bedingungen außerhalb der Gefängnismauern würden Gewerkschaften sofort auf die Barrikaden gehen. Im Gefängnis selbst aber kämen die Verantwortlichen damit durch.
„Chance vertan“
Man sollte nicht vergessen, dass viele Häftlinge auch Schadensersatzzahlungen leisten müssen. Eine Voraussetzung etwa, um überhaupt für einen Straferlass infrage zu kommen. „Bei drei bis fünf Euro die Stunde ist das aber unmöglich“, sagt Fonseca. Dabei müssten die Betroffenen oft noch eine Familie außerhalb der Gefängnismauern unterstützen. Und die „Pécule de base“ des Staates über rund 60 Euro im Monat reiche kaum aus, die eigenen Ausgaben im Gefängnis zu decken. „Arbeitsrechte sollten auch im Gefängnis zur Geltung kommen“, fordert Fonseca im Namen seiner Vereinigung.
Luxemburg sollte sich ein Beispiel nehmen an den skandinavischen Ländern, an den Niederlanden oder der Schweiz. „Länder, in denen die Kriminalitätsrate zwar stabil geblieben, doch die Inhaftierungsrate gesunken ist“, so der junge Mann. „Doch Luxemburg hat doppelt so viele Häftlinge. Die repressive Herangehensweise ist offensichtlich gescheitert.“ Nun sei es an der Zeit, Prävention und Begleitung eine Chance zu geben.
„Chance vertan“, sagt „Eran, eraus … an elo?“ hingegen in puncto neues Gefängnis in Sanem. Zwar sei eine Haftanstalt für Untersuchungshäftlinge absolut notwendig, allerdings befürchten die Verantwortlichen der Vereinigung, dass mit der Eröffnung des „Uerschterhaff“ auch die Zahl der Inhaftierten wieder steigt. „Die Vergangenheit hat es vorgemacht: Als Schrassig vor zwanzig Jahren vergrößert wurde, ist die Inhaftierungsrate innerhalb von drei Jahren um 100 Prozent gewachsen. Je mehr wir bauen, desto mehr Menschen stecken wir ins Gefängnis“, sagt Fonseca.
Vergessen wurden auch Ateliers oder Schulungsräume. „Wir sehen im ‚Uerschterhaff’ keine Elemente, die zu einem modernen Strafvollzug passen. Hier wird einfach eine moderne Kopie eines alten Gefängnisses hingestellt“, unterstreicht der Schatzmeister von „Eran, eraus … an elo?“. Auch fehlt es der Vereinigung an einem greifbaren Sanierungskonzept für Schrassig. Zwar hat die Gefängnisleitung gleich mehrere Projekte ins Auge gefasst, konkrete Pläne aber wurden noch keine vorgestellt. „Dabei kann man auch in dieser Hinsicht mit minimalem Einsatz viel erreichen.“
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