Ukraine-KriegKiews „Luftabwehr“ und der Schrecken von Russlands Drohnen

Ukraine-Krieg / Kiews „Luftabwehr“ und der Schrecken von Russlands Drohnen
Polizisten versuchen die Drohnen abzuschießen, bevor sie einschlagen Fotos: AFP/Yasuyoshi Chiba

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Kurz vor der Explosion heulen sie laut auf: Von Russland eingesetzte „Kamikaze“-Drohnen werden für die Ukraine zu einer immer größeren Bedrohung. Ohne Luftabwehr sind Menschen und Infrastruktur diesen Killern der Lüfte nahezu schutzlos ausgesetzt.

Das eine Video zeigt ukrainische Polizisten, wie sie aus ihrem Einsatzwagen springen und mit Maschinengewehren in den Himmel schießen. Das andere ist eine Nachtaufnahme, wieder feuern Männer aus allen Rohren in Richtung Firmament, im Hintergrund ruft einer „Stuka“. Auch das dritte Video wurde im Dunkeln gefilmt, geschossen wird erneut hoch nach oben und was das Zeug hält. Die drei Aufnahmen aus der Ukraine, die die vergangenen Tage vor allem auf Telegram und Twitter geteilt wurden, enden immer gleich: mit einem immer lauter werdenden Sirren, das dem Heulen einer Sirene ähnelt, gefolgt von einem lauten Knall und einer gewaltigen Explosion.

Die Videos zeigen von Russland losgeschickte, aus dem Iran eingekaufte „Kamikaze“-Drohnen, von fern gelenkte Killer der Lüfte, die sich laut auf ihr Ziel stürzen. Versehen mit einem kleinen Propeller, machen sie ein Geräusch, das jenem der Bomber der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg ähnelt, der „Junkers Ju 87“, die als „Stuka“ berühmt-berüchtigt wurde. Nicht umsonst tragen die „Shahed-136“ den Spitznamen „fliegendes Moped“.

„Zwecklos“

Wenn man es hört, ist es zu spät, mit Maschinengewehren lässt sich dann nichts mehr ausrichten. „Das ist zwecklos“, sagt der österreichische Militärstratege Markus Reisner dem Tageblatt, „vor allem, wenn diese Drohnen zu mehreren im Schwarm eingesetzt werden, dringt immer eine durch.“ Hinzu komme, dass sie wegen ihrer relativen Kompaktheit einen „sehr kleinen Radarquerschnitt haben und somit schwer zu detektieren sind“, so Reisner.

Ein weiterer Vorteil dieser „Kamikaze“-Drohnen ist ihr Preis. Der britische Thinktank „Royal United Services Institute“ schätzt diesen in der spanischen Zeitung El País auf etwa 20.000 US-Dollar. Russlands Raketen wie die „Iskander“ oder Marschflugkörper wie die „Kalibr“, mit denen die Ukraine in den ersten Monaten des Krieges von Moskau überzogen wurden, werden auf eine bis mehrere Millionen US-Dollar pro Stück veranschlagt.

Die Ukraine braucht endlich eine Luftabwehr, sonst kann sie ihre Zivilisten und ihre Infrastruktur nicht schützen – und die kann nur der Westen ihr liefern

Markus Reisner, Militärstratege

Zwar bestreitet die Führung in Teheran, Russland mit Einwegdrohnen beliefert zu haben – aber wer glaubt das schon? Russlands Bestand an teuren Marschflugkörpern und ballistischen Raketen schwindet, da sind sich die meisten Experten einig. Als deutliches Zeichen hierfür galt zuerst der bereits seit Wochen dauernde Gebrauch von Luftabwehrsystemen, um Bodenziele in der Ukraine anzugreifen. Doch zuletzt sind es immer mehr jene von Russland „Geran“ getauften und von Teheran aus eingeflogenen „Shahed-136“-Drohnen, die die Ukraine, ihre Zivilbevölkerung und vor allem die kritische Infrastruktur wie die Elektrizitätsversorgung bedrohen. Wurden sie Ende September noch vor allem auf den Schlachtfeldern eingesetzt, stürzen sie sich jetzt immer öfter auf Städte und Menschen. Vor dem Winter scheint Putin den Ukrainerinnen und Ukrainern den Saft abdrehen zu wollen, indem er die Umspannwerke und besonders ihre Herzstücke, die Transformatoren, im ukrainischen Stromnetz einen nach dem anderen mit seinen „Kamikaze“-Drohnen ausschaltet.

Am Montag in Kiew: Ein Mann fällt nach einem Drohnenangriff in Kiew auf den Boden
Am Montag in Kiew: Ein Mann fällt nach einem Drohnenangriff in Kiew auf den Boden Foto. AFP/Yasuyoshi Chiba

Bei den bislang letzten Drohnenangriffen auf Kiew sind am Dienstagmorgen vier Menschen getötet worden, darunter ein junges Paar mit einer schwangeren Frau. Die Ukraine habe seit Sonntagabend zwar 37 Drohnen und mehrere Marschflugkörper abgefangen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag. Jedoch hat es zuletzt nach ukrainischen Aussagen mehr als 100 Angriffe mit solchen Drohnen gegeben. Den Drohnen kommt im Ukraine-Krieg eine immer größere Schlüsselrolle zu. Und ohne die Lieferung der adäquaten Abwehrsysteme aus dem Westen wird die Ukraine den „fliegenden Mopeds“ weiter mehr oder weniger hilflos ausgesetzt sein. „Ich wiederhole mich und das ist nichts Neues: Die Ukraine braucht endlich eine Luftabwehr, sonst kann sie ihre Zivilisten und ihre Infrastruktur nicht schützen – und die kann nur der Westen ihr liefern“, sagt Militärstratege Markus Reisner.

„Lage ist kritisch“

Nach zahlreichen russischen Angriffen auf die Strom-Infrastruktur der Ukraine befindet sich das Land nach eigenen Angaben in einer bedenklichen Lage. „Die Lage ist jetzt im ganzen Land kritisch“, hieß es am Dienstag aus dem Präsidialamt in Kiew. Laut Staatschef Wolodymyr Selenskyj zerstörte Russland binnen einer Woche 30 Prozent der ukrainischen Elektrizitätswerke. Laut den staatlichen Notfalldiensten waren am Dienstag mehr als 1.100 Orte ohne Strom. (AFP)