InterviewJacques Welter: „Das Klettern am Fels stellt einen vor die unterschiedlichsten Herausforderungen“

Interview / Jacques Welter: „Das Klettern am Fels stellt einen vor die unterschiedlichsten Herausforderungen“
Jacques Welter klettert seit seinem 17. Geburtstag regelmäßig Foto: privat

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Vor 30 Jahren erlebte Jacques Welter ein absolutes Highlight am heimischen Sandsteinfelsen. Doch auch heute ist der Pionier des heimischen Sportkletterns noch von seinem Sport fasziniert und bleibt in der Szene aktiv.

Tageblatt: Wie hat die Leidenschaft Klettern bei Ihnen eigentlich angefangen?

Jacques Welter: Schon als Kind kletterte ich gerne auf Bäume. Bei einer Wanderung auf dem schwedischen Kungsleden nahm ich mit meinem Kollegen Albert eine Abkürzung durch die Berge. Ohne alpine Ausrüstung war das waghalsig. Diese legten wir uns anschließend gleich zu und lernten im Schnelldurchgang sichern. Beim Üben an den luxemburgischen Sandsteinfelsen entwickelte sich eine immer stärkere Leidenschaft, die nach und nach die ursprünglichen alpinen Ziele verdrängte. Das Felsklettern und die dort gewonnenen Freundschaften orientierten mich neu. In jenen 80er-Jahren wuchs ja auch international das Sportklettern aus seinen Kinderschuhen.

Vor 30 Jahren schafften Sie die Hermann-Buhl-Route (8a+) und gehörten damit zu den ersten Luxemburgern in der Schwierigkeit. Was bedeutet Ihnen diese Leistung heute noch?

Bis heute ist das ein Highlight in meinem Kletterleben. In meiner ganzen Karriere beschäftigte ich mich nie allzu lange mit Projekten und hielt es bei meinen ersten Versuchen für zu schwer. Im Frühjahr kam aber die große Wende, die Einzelzüge klappten und dann ging alles sehr schnell und ich konnte die Benchmark erreichen. Und als ich ein paar Monate später unerwartet auch noch den ersten luxemburgischen Meistertitel gewann, war ich im siebten Kletterhimmel.

Auch nach all den Jahren bleibt Felsklettern ein wichtiger Bestandteil Ihres Lebens. Was fasziniert Sie so sehr?

Das Klettern am Fels stellt einen vor die unterschiedlichsten Herausforderungen, egal auf welchem Level man sich gerade bewegt. Seit meinem 17. Geburtstag klettere ich regelmäßig. Auch jetzt noch, wo ich meistens im sechsten Grad klettere, bereitet es mir noch eine enorme Freude: Die Natur um einen, die intensive Auseinandersetzung mit einem selbst, physisch und mental sowie die Wirkung, die all das auch nach so vielen Jahren noch auf einen hat. Bereits als ich als Jugendlicher die ältere Generation beim Klettern begegnete, war mir klar, dass auch ich so werden wollte: Diese Ausstrahlung, Aura, Bescheidenheit, ihr Respekt vor der Natur berührten mich tief.

Wie erlebten Sie die Zeit der 80er, als der Boom des Sportkletterns anfing?

Damals herrschte eine richtige Aufbruchstimmung, die bestehenden technischen Kletterrouten wurden nach und nach so eingerichtet, dass sie frei geklettert werden konnten. Also mit Sicherungspunkten, in die man gefahrlos stürzen konnte. Mit Jeannot Kartheiser und Mike Moes haben wir rund um Berdorf, Wanterbaach, Maartbesch, Schnellert, Priedegtstull …, aber auch außerhalb in Rollingen, Igel oder Mariendall eine ganze Reihe an Routen erschlossen oder saniert. Alles in allem eine super Zeit!

Dem Boom tragen immer mehr Kletter- und Boulderhallen in der Großregion Rechnung. Doch in der Pandemie mussten sie schließen oder sich einschränken, weshalb viele Sportler zum Naturfelsen in Berdorf drängten…

In den 80er- und 90er-Jahren wurde in Luxemburg auf nicht weniger als sieben verschiedenen Gebieten geklettert und es stand praktisch die doppelte Anzahl an Routen zur Verfügung. Seit 2002 darf man den Natursport offiziell nur noch im Wanterbaach ausüben, was unweigerlich zum Eindruck einer Überbevölkerung führt. Ob mit oder ohne Pandemie. Die hat die Situation aber verschärft, auch weil die Einschränkungen im Ausland noch stärker waren und die ganze Indoorcommunity in den Wanterbaach kam.

Dieser liegt in einem Natura-2000-Gebiet. Führt das nicht zu Konflikten zwischen den Bedürfnissen von Sport und Naturschutz?

Mit Sicherheit gehört der Wanterbaach zu den beliebtesten Klettergebieten Europas. Doch trotz der hohen Besucherzahl bleiben die Auswirkungen auf die Natur sehr überschaubar. Die große Mehrheit der Kletterer benimmt sich respektvoll gegenüber Mensch und Natur. Das stellen wir als Felskommission der Flera (nat. Verband, Anm. d. Red.) jedes Jahr beim „Clean Up Day“ fest. In den letzten Jahren etablierte sich auch eine exzellente Zusammenarbeit mit der Berdorfer Gemeinde, dem „Office régional du tourisme“, dem Geopark Mëllerdall, der Umweltverwaltung und „Visit Berdorf“.

Sie sind in ganz Europa unterwegs. Was macht den Wanterbaach so beliebt?

In der Großregion gibt es kaum Klettergebiete. Jedenfalls keine mit der Felsqualität und so einer schönen, erholsamen Natur. Ein Ort, wo man praktisch das ganze Jahr klettern kann. Und es gibt sogar noch mega Potenzial links und rechts der offiziell ausgewiesenen Sektoren.

Und welche Lösungen sehen Sie?

In naher Zukunft gibt es natürlich Herausforderungen zu meistern: Dezentralisierung wäre ein wichtiger Pfeiler. Das heißt, es wäre von großem Nutzen, wenn wie in der Vergangenheit wieder mehr Gebiete ausgewiesen werden könnten. Daneben ist die Sensibilisierung der Kletterer, besonders der Hallenfraktion, eine Herausforderung, die die Felskommission annimmt. Am 25./26. September veranstaltet diese Kommission in Berdorf eine internationale Konferenz mit anerkannten Akteuren und Wissenschaftlern zum Felsklettern.

Mit der Flera haben Sie gerade einen neuen Kletterführer für den Wanterbaach herausgegeben. Erhöht das nicht noch einmal den Andrang?

Oberflächlich könnte man das meinen. Aber Kletterführer gibt es eh und dieser ist eine ergänzte und aktualisierte Version. So wurden 20 Routen saniert und fürs Freiklettern eingerichtet. Rund ein Drittel des Erlöses fließt zurück in den Erhalt der Sicherheit. Die Sanierung des Wanterbaachs wurde Anfang 2000 komplett von der Umweltverwaltung finanziert. Um die hohen Sicherheitsstandards zu garantieren, stehen in den kommenden Jahrzehnten weitere Ausgaben an.

Was unterscheidet für Sie das Indoorklettern vom Felsklettern?

Die Bewegung und Technik ähneln sich, aber das Erlebnis ist eine andere Dimension. Besonders in Zeiten, in denen es den Klimawandel zu bremsen gilt, ist es wichtig, dass Menschen in Kontakt mit der Umwelt und dem Naturraum aufwachsen, Erfahrungen sammeln und diese einzigartigen Plätze wertschätzen.

Und wie bewerten Sie den Unterschied zwischen den Wettkämpfen am Plastik und den Höchstleistungen am Naturfels?

Das sind zwei verschiedene Disziplinen, die jede für sich ihre Wertigkeit haben und behalten müssen. Mit der olympischen Premiere in Tokio bekommt Indoorklettern natürlich einen großen Auftrieb. Nicht alle, aber fast alle internationalen Wettkampfkletterer gehen aber auch an den Naturfelsen, um da Leistung zu zeigen.

Als Sie vor 30 Jahren den achten Grad kletterten, schaffte Wolfgang Güllich mit der legendären „Action directe“ den neunten Grad. Heute gibt es bereits zwei 9c, während Ihr Sohn Mika zu den ersten Luxemburgern gehört, die eine 8c anvisieren. Wie entwickelt sich der Unterschied zwischen Luxemburg und dem Ausland?

Wenn ich mir die Zahlen anschaue, verleiten einen diese zur Aussage, dass der Unterschied größer wurde: 1991 erarbeiteten wir uns eine 8a+ und kletterten 7c „on sight“ (OS heißt auf Sicht, ohne die Route zu kennen; Anm. d. Red.). Da schaffte die Weltelite 9a und 8a+ OS. Heute liegt deren Niveau bei 9a OS und 9c. In Luxemburg klettern gerade mal drei bis vier Kletterer 8a OS und 8b+, während eine erste 8c seit 20 Jahren auf dem Wunschzettel luxemburgischer Kletterer steht. Ähnlich wie in den Bergen wird die Luft in den Höhen wesentlich dünner: Es geht nicht ohne spezifisches Training über einen längeren Zeitraum. Trotz des Felspotenzials sind die Trainingsmöglichkeiten nicht vergleichbar mit dem Ausland. Was auch den Indoorbereich betrifft, wo wir seit 30 Jahren mit unserer Infrastruktur nicht über lokales Niveau hinauskommen. Noch immer trainieren unsere Leistungsträger im Ausland: Arlon, Trier, Brüssel und Innsbruck.

Was macht einen starken Kletterer aus?

Aus meiner Sicht: Ausdauer im Sinn von „persévérance“, Ausgeglichenheit, physische und mentale Entwicklung, mittel- und langfristige Planung und nicht zuletzt verschiedene genetische Voraussetzungen.

Kletterführer Berdorf-Wanterbaach

Auf 136 Seiten stellt das von Serge Zacharias und Jacques Welter zusammen mit dem Kletterverband Flera herausgegebene, brandneue Topo die rund 170 Routen des Berdorfer Klettergartens und auch das kleine Gebiet von Audun-le-Tiche vor. Im 14×14 cm kleinen, handlichen Buch finden sich viele Infos zu den bis zu 30 Meter langen Routen. Aber auch der historische Hintergrund, praktische Informationen und geltende Regeln sowie ein interessanter Exkurs des Natur- & Geoparks Mëllerdall finden ihren Platz. Erhältlich ist der Kletterführer für 20 € in Casper’s Klettershop, dem Berdorfer Syndikat oder in den Kletterhallen. Mindestens ein Viertel des Verkaufspreises geht dabei an die „Commission Falaise“ des Verbandes für die Erschließung und Sanierung von Kletterrouten.

 Foto: privat