EditorialGoethe würde nicht nur Virusvariantengebiete hassen

Editorial / Goethe würde nicht nur Virusvariantengebiete hassen
Ein Schild an einer Kinokasse in Deutschland: Bei niedriger Inzidenz können Kinos wieder öffnen, aber nur von den „drei G“ besucht werden Foto: dpa/Julian Stratenschulte

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Europa ist ein Flickenteppich. Zumindest, was die aktuell unterschiedlichen Corona-Regelungen der EU-Staaten betrifft. Wer in den Pfingstferien mit Kind und Kegel, im Zug oder mit dem Auto, Europa bereiste, hat sich sicherlich mit Inzidenztabellen, nationalen und regionalen Sonderregelungen oder den unterschiedlichen Gültigkeitsdauern von PCR- und Schnelltests auseinandersetzen müssen. Dabei stößt man immer wieder auf Begriffe, die Goethes ach so schöne Sprache völlig zum spießigen Amtsdeutsch degradieren. Zudem würde selbst der reisefreudige Goethe hier den Überblick verlieren.

Wortkonstruktionen wie „einfaches“ Risikogebiet, Hochinzidenzgebiet oder Virusvariantengebiet sind eine Zumutung für jeden Sprachliebhaber. Und wenn die deutsche Notbremse bei bestimmten Inzidenzwerten auf Landes- oder Bundesebene ins Spiel kommt, dann werden nicht nur die Aktivitäten heruntergefahren, sondern auch der normale Sprachgebrauch.

Die unterschiedlichen Regelungen von einem Schengen-Staat zum nächsten schicken die Urlauber auf eine Abenteuerfahrt mit teilweise absurden Regeln, die für Reisende nicht immer zu erfüllen sind. Zum Beispiel Frankreich: Dort darf man nur mit gültigem PCR-Test einreisen, selbst wenn man sich nur auf der Durchreise befindet. Zusätzlich muss man vorab ein „engagement sur l’honneur“ – endlich mal kein Unwort – ausfüllen, wo man unter anderem bestätigt, sich nicht krank zu fühlen. Hat man nicht zufälligerweise noch einen Termin im Large Scale Testing offenstehen, den man zu diesem Zwecke nutzen kann, wird es teuer. Das Gleiche gilt für die Rückreise, falls man Frankreich nur als Transitland bereist. Wieso sind keine Schnelltests erlaubt? „La loi, c’est la loi.“

In Deutschland dürfen nur die „drei G“ ohne Einschränkungen einreisen. Aber auch da gibt es Ausnahmen. Nicht-Geimpfte, Nicht-Getestete und Nicht-Genesene müssen dagegen erst mal in Quarantäne und sich dann freitesten lassen. Die Einreisequarantäne – noch so ein Unwort – kann man aber vorab durch einen Test umgehen. Diesen muss man an die zuständige Behörde zusammen mit einem digitalen Formular einsenden. Für jeden Mitreisenden, versteht sich, auch für Kinder.

In Belgien darf man nur mit dem Auto ohne jegliche Beschränkung einreisen, aber nur, wenn man sich weniger als 48 Stunden im Land aufhält. Danach heißt es: Quarantäne. Ab dem siebten Tag kann man sich freitesten lassen. Wer aber mit dem Zug, Bus oder Flugzeug nach Belgien einreist, muss einen gültigen und negativen PCR-Test dabei haben. Für Genesene und Geimpfte gibt es dort – im Gegensatz zu Deutschland – keine Ausnahme.

In die Schweiz dürfen Menschen aus Luxemburg nur mit einem negativen PCR-Test einreisen und müssen sich anschließend in Quarantäne begeben. Einzige Ausnahme sind Transitreisende. Dabei liegt die Inzidenz bei 71,2 Infizierten (Stand: 31. Mai) je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. In Luxemburg liegt sie  knapp darüber, bei 78 (Stand: 26. Mai). Trotz ähnlicher Werte steht Luxemburg nach wie vor auf der Liste der Risikogebiete. Welche Logik steckt dahinter?

Wieso muss eigentlich jeder EU- bzw. Schengen-Staat sein eigenes Süppchen kochen? Ist das im Sinne eines starken Europas? Wohl kaum. Wie gut, dass nun das Impfzertifikat in den Startlöchern steht. Doch auch hier haben sich die Staaten Vorbehalte herausgezogen. Sie können immer noch eigene Regelungen in Bezug auf Einreisen, Nachweise und Quarantänen erlassen. Wird der Flickenteppich nach dem 1. Juli weiter bestehen? Zumindest die Zertifizierung per se wird dann in allen EU-Staaten anerkannt werden. Goethe würde auch weiterhin nicht nur Virusvariantengebiete hassen. 

Jimbo
2. Juni 2021 - 17.42

Am nexte Katastrophenfilm rësselen ech net mei mam Kapp wann eng onfäheg Regierung dProblemer probeiert ze leisen..

Hatfield
1. Juni 2021 - 23.38

Europa ist zumindest auch Folgendes Der Autor des Textes, ein gebürtiger Luxemburger, wird in Deutschland ohne Studiengebühren zu zahlen, ausgebildet um dann später wieder in Luxemburg seine Brötchen zu verdienen. Nur um sich mit solchen Texten wieder über Europa zu beschweren. Hätte er doch gleich in Luxemburg studieren sollen. Leider kein Einzelfall. Trier ist voll von lux. Studenten....

jung luc
1. Juni 2021 - 21.32

Das ist das xte Beispiel vom europäischen Kasperltheater. Guter und richtiger Artikel.

Peter G.
1. Juni 2021 - 8.13

Guter Artikel. Europa hat es nie wirklich gegeben. Homeoffice aus Arlon raus ist schon eine Herausforderung. Zahlreiche Webverkäufer aus Trier verschicken noch immer keine Artikel nach Luxemburg. Dann ist es nicht erstaunlich, dass bei wichtigen Gesundheitsfragen nichts harmonisiert ist. Wenn schon eine reine Wirtschaftsunion nicht optimal funktioniert, dann sollte man seine Erwartungen mindern.