Postkartenidylle. Vor blauem Himmel glänzt die „Gëlle Fra“. Binnen einer guten Stunde bestaunen am vergangenen Montagmorgen sechs Besuchergruppen das Monument. Es sind Stadtführungen und Schulklassen. Andere Zeiten, andere Betrachtungsweisen. Früher sollten „Kolléisch“-Schüler den Blick abwenden von den allzu weiblichen Formen der Statue.
Lange verweilen die Gruppen nicht an der place de la Constitution. Trotzdem Zeit genug für Erinnerungsfotos und Erklärungen: Die „Gëlle Fra“ ist ein Werk des Luxemburger Bildhauers Claus Cito aus Käerjeng. Ursprünglich gedacht als „Monument du souvenir“ für jene Luxemburger, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben gelassen haben. Heute hält die der griechischen Siegesgöttin Nike nachempfundene Figur ihren Lorbeerkranz sowohl über die Opfer des Zweiten Weltkrieges als auch über jene Luxemburger, die im Koreakrieg und im Kampf gegen Francos faschistisches Regime in Spanien gestorben sind. Letzteren wurde erst im Oktober 2021 diese Ehre zuteil.
Den Nazis war das Monument als Erinnerung an die Niederlage von 1918 ein Dorn im Auge. 1940 haben sie die „Gëlle Fra“ vom Sockel gerissen. Dass sie heute wieder auf ihrem Obelisken thront, ist nicht zuletzt auch Josy Braun zu verdanken. Aufgeregt sei er gewesen, sagt Josée Klincker, seine Ehefrau. Der mittlerweile verstorbene langjährige Tageblatt-Journalist hat die in viele Teile zerlegte Statue, dank eines guten Tipps, 1981 unter der Tribüne des Josy-Barthel-Stadiums aufgespürt, dann vor allem aber dafür gesorgt, dass der damalige Hauptstadt-Bürgermeister Camille Polfer, Vater der heutigen Gemeindemutter, bereit war, die Skulptur wieder an ihren alten Platz zu bringen. Nicht jedem scheint das gefallen zu haben. „Ihr werdet dieses hässliche Weibsbild doch nicht wieder aufrichten wollen“, sei Josy Braun damals gesagt worden.
Am Samstag wird gefeiert
Am Samstag ab 10.30 Uhr wird auf der place de la constitution der 100. Geburtstag der „Gëlle Fra“ gefeiert. In Anwesenheit zahlreicher Prominenz. Eine Ausstellung gibt zudem Einblick in die bewegte Geschichte eines der bekanntesten Symbole unserer Geschichte.
Schwangere „Gëlle Fra“
Gemeinde und Staat haben beim Wiederaufbau 1985 wohl geholfen, bezahlt aber hat letztendlich das Volk mit Spenden. Genau wie bei der Errichtung des Monuments im Jahr 1923. Josy Braun sei bei der Einweihung laut Josée Klinker nicht erwähnt worden. „Traurig ist er gewesen. Die ‚Gëlle Fra’ war für ihn immer etwas wirklich Besonderes, sie war wie ein Kind für ihn und eine positive, schöne Erfahrung.“ Alle Dokumente, die Josy Braun damals gesammelt hat, liegen heute für jeden einsehbar im Nationalen Literaturzentrum in Mersch.
Josy Braun scheint die Auseinandersetzung um die stattliche Figur gefallen zu haben. Auch als 2001 Sanja Ivekovic ihre „Lady Rosa of Luxembourg“ gegenüber dem Museum für zeitgenössische Kunst ausstellte. Auf Gewalt und Unterdrückung besonders gegenüber Frauen wollte die kroatische Künstlerin aufmerksam machen. „Lady Rosa“ ist quasi eine Kopie der „Gëlle Fra“, mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie hochschwanger ist. Empörte Bürger, darunter Politiker, Resistenzler und Zwangsrekrutierte, sahen darin eine Beleidigung all jener, deren zu Ehren die „Gëlle Frau“ steht und errichtet wurde. In einem RTL-Interview zeigte sich Erna Hennicot-Schoepges damals fast verzweifelt darüber, dass wegen „Lady Rosa“ ihr Rücktritt gefordert wurde. Doch die damalige Kulturministerin blieb standhaft, auch gegen Sticheleien aus den Reihen ihrer Partei, der CSV. Wie gesagt. Josy Braun hat das alles gefallen, als Zeichen, dass die „Gëlle Fra“ nicht unberührt lässt und interessiert.
Botschafterin auf Augenhöhe
Für Aufmerksamkeit und Diskussionen sorgte auch, als der ehemalige LSAP-Minister Robert Goebbels das Monument 2010 nach Schanghai zur Weltausstellung brachte. Gleiches gilt für die Idee des Bürgermeisters von Käerjeng, Michel Wolter, die „Gëlle Fra“ nach ihrer Rückkehr aus China in einer Ausstellung auf Augenhöhe zu präsentieren. In der Heimatgemeinde ihres Erschaffers.
Die vom Historiker Jean Reitz zusammengestellte Expo im Winter 2010 lieferte viele Informationen. Beispielsweise darüber, dass die Füße der Figur 1940 zerstört wurden, also nicht original seien. Oder dass die „Gëlle Fra“ im Original nicht wie heute nach unten blickte, sondern geradeaus. Jean Reitz bestätigt auch, dass die „Gëlle Fra“ nie wirklich verschwunden war. Dafür spricht unter anderem ihr kurzer Auftritt in den 50er-Jahren bei einer Ausstellung der Resistenzbewegungen. Sie wieder auf ein Podest zu setzen, hätten offizielle Stellen nach 1945 nicht wirklich gewollt.
Wie auch immer. Die Frauenfigur, die der Legende nach einer Bekannten von Claus Cito ähneln soll, lässt auch nach 100 Jahren niemanden wirklich kalt. Die „Gëlle Fra“ selbst mag, wie sie uns anvertraut hat, den Geruch von Grillwürsten und Popcorn nicht so sehr. Deshalb freue sie sich, wenn der Platz unter ihren Augen in naher Zukunft endlich das ausstrahle, was sie und Cito sich eigentlich immer gewünscht haben. Frieden. Stilles Gedenken. Nicht Krieg und sei es auch nur die Auseinandersetzung bei der Parkplatzsuche.
Reise nach Schanghai
Vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2010 fand in Schanghai mit über 72,8 Millionen Besuchern die bestbesuchte Weltausstellung der Geschichte statt. Die Regierung hatte mich 2006 beauftragt, als Generalkommissar die Teilnahme unseres Landes zu organisieren. Ein Architektenwettbewerb erkor durch einstimmigen Beschluss das Projekt von François Valentiny, der eine kühne Trutzburg aus rotem Cortenstahl entwarf.
Ich reiste regelmäßig nach Schanghai, um mit Unterstützung unseres Generalkonsuls Pit Ferring die Ausstellung vorzubereiten. Der Rohbau war fertiggestellt. Fränz Valentiny, Pit Ferring, Guy Dockendorf und Barbara Zeches vom Kulturministerium saßen mit mir zusammen, um zu überlegen, wie der schöne Pavillon noch attraktiver zu gestalten wäre. Wir spielten mit ausgefallenen Ideen, etwa die Nachbildung des Schiessentümpels. Ich sagte, wir können doch nicht die „Gëlle Fra“ nach Schanghai bringen. Um mir gleichzeitig zu antworten: „Weshalb eigentlich nicht?“
Zurück nach Luxemburg fragte ich zuerst Wirtschaftsminister Jeannot Krecké. Der mir sagte: „Du bist verrückt. Aber versuche es.“ Der hauptstädtische Bürgermeister Paul Helminger war sehr positiv. Doch gehöre das Monument nicht der Stadt, sondern dem Staat. Für Premierminister Jean-Claude Juncker war die Zustimmung der Regierung abhängig von der Reaktion der Vertreter der Resistenz. Die zeigten sich begeistert. So durfte die von Claus Cito geschaffene Frauenskulptur ihren Ausflug nach Schanghai unternehmen. Obwohl es zuerst einen Shitstorm gab und in Presse und sozialen Medien heftig gegen meine Idee gewettert wurde. In Schanghai wurde die goldene Lady zu einem Magnet. Unser Pavillon zog über 10,7 Millionen Besucher an. Millionen mehr filmten oder fotografierten die sehr erotische Statue. Unser populärer Pavillon war einer der fünf, die nach Ende der Ausstellung bleiben durften. Die Expedition der „Gëlle Fra“ kostete rund 80.000 Euro. Unsere Gesamtausgaben blieben 5,8 Millionen unter dem Budget von 20 Millionen Euro. Es war die bislang größte und eigentlich recht preiswerte „Public relations“-Aktion unseres Landes. (Robert Goebbels)
Der Vater der „Gëlle Fra“
Claus Cito, Bildhauer italienischer Abstammung, wurde im Mai 1882 in Bascharage als Nicolas Joseph „Josy“ Cito geboren. Den Künstlernamen Claus bekam er während seiner Lehr- und Studienzeit in Düsseldorf. Gestorben ist er im Oktober 1965 in Petingen. Die „Gëlle Fra“ ist sein bekanntestes, aber nicht sein einziges Werk in Luxemburg. Zu erwähnen sind beispielsweise die Statue des Heiligen Markus in Schengen am Markusturm, die Reliefs und Skulpturen an der 1931 eröffneten Grundschule in Petingen, das Emile-Mark-Denkmal, die Büste der Großherzogin Charlotte in Differdingen und der Altar in der Krypta der Kathedrale.
Auf den Spuren von Claus Cito
Käerjeng erinnert am 7. Juni mit einer Konferenz des Historikers Jean Reitz über Citos „Gëlle Fra“ an den Künstler. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr im „Centre Wax“ in Petingen. Am 10. Juni findet dann ein kultureller Spaziergang statt: durch Käerjeng, wo der Künstler 1882 geboren wurde, und durch Petingen, wo er 1965 verstorben ist. Start ist um 14.30 Uhr vor dem „Home St-Hubert“ in Petingen. Per Bus geht es anschließend in die Nachbargemeinde. Beide Veranstaltungen sind kostenlos. Eine Anmeldung ist erforderlich: entweder unter der Telefonnummer 50 05 52-326 oder per E-Mail an events@kaerjeng.lu.
Bedeutung der „Gëlle Fra“ heute
Die „Gëlle Fra“ spielt eine unbestreitbare Rolle in der Erinnerungskultur Luxemburgs. Zu Ehren der im Ersten Weltkrieg für Frankreich kämpfenden Luxemburger geschaffen, war das Werk von Claus Cito ein wichtiges Symbol. Seine prominente Position und seine Größe waren im Land einzigartig. Der von den Nazis angekündigte Abriss war Auslöser spontaner Demonstrationen, bei denen Luxemburger für ihre „Gëlle Fra“ eintraten – eine Aktion, die von Polizei und Gestapo niedergeknüppelt wurde. Im Oktober 1940 wurde sie umgerissen und lebte während des Krieges allenfalls als Motiv patriotischer Fotos weiter.
Der Obelisk in der Oberstadt, ohne seine Skulptur, war in meiner Jugend ein normaler Anblick. Die „Gëlle Fra“ war in Vergessenheit geraten, zwei Generationen waren ohne sie herangewachsen. Und selbst als sie wieder auftauchte, hielt sich der Enthusiasmus in Grenzen. Es bedurfte langer Diskussionen, ehe sie restauriert und wieder aufgerichtet wurde.
Die „Gëlle Fra“ ist ein nationales Symbol, aber die Frage stellt sich, wie wichtig es ist, und für wen. Sie macht sich gut im Stadtbild und für ausländische Besucher ist es spannend, ihre Geschichte im Reiseführer nachzulesen. Wahrscheinlich wissen die aber mehr über sie als der durchschnittliche Einwohner. Denn wo kann ein Jugendlicher oder ein Zugewanderter von ihrer Bedeutung erfahren? Aktuelle Literatur ist rar, in der Schule werden weder Cito noch die „Gëlle Fra“ behandelt und selbst bei einer Führung im Resistenzmuseum fallen kaum mehr als zwei Sätze.
Die Abrissaktion war symbolisch wichtig, aber sie ist eine historische Randnotiz. Dabei wäre es wünschenswert, dass wir uns mehr mit ihr beschäftigen. Aber: Nur die, die sich anpassen, die Änderungen akzeptieren, werden weiterhin Interesse ernten. Die „Gëlle Fra“, die für Freiheit und Widerstand steht, muss sich von einem Symbol für wenige zu einem Monument für alle wandeln. Sie hat das Potenzial, zu einem Sinnbild für unsere multikulturelle, pluralistische und demokratische Gesellschaft zu werden. (Frank Schroeder, Direktor des Resistenzmuseums Esch)
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