Bodrys Wechsel in den Staatsrat Einsichten und Ansichten eines Politikers

Bodrys Wechsel in den Staatsrat  / Einsichten und Ansichten eines Politikers
Ein ungezwungenes Gespräch mit Journalisten, das viele Einblicke in die Geschichte der nationalen Politik bot Foto: Alain Rischard

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Tage des Abschieds – vom Parlament, von seinen Kollegen, den Fraktionsmitarbeitern der LSAP, aber auch von den politischen Journalisten, von denen einige ihn viele Jahre beruflich begleiteten – sind es zurzeit für Alex Bodry, der am Montag vom Großherzog zum Mitglied des Staatsrates ernannt werden wird. Zu einem informellen Gespräch hatte er geladen, daraus sollte ein fast zweistündiger Einblick in biografische Elemente seines Lebens und damit auch der Luxemburger Nationalpolitik werden.  

Es sei ihm nie schwergefallen, abzuschließen und sich neuen Herausforderungen zu stellen, so der Düdelinger, dessen Laufbahn einst steil begonnen hatte und der mit nur wenigen Rückschlägen fast immer an vorderster Front der Luxemburger Politik kämpfte; für den Fortschritt und eine linke Politik, das versteht sich schon fast von selbst, wenn man wie „Bodrys Lex“ aus dem Hause Fohrmann kommt (Jängi Fohrmann, Sozialist, Resistenzler, Gewerkschafter, Bürgermeister) war sein Großvater. Nachfolgend, thematisch geordnet, einige der Einblicke, die Bodry in gewohnt präziser, klarer und teils selbstironischer Manier gewährte und die in der Form selten genug von aktiven Politikern formuliert werden. 

Justiz

1958 in Düdelingen geboren, studierte er Justiz an der Pariser Sorbonne. Obwohl er nur wenige Jahre im Beruf des Rechtsanwalts arbeitete (in der Kanzlei Decker, Delvaux, bei der er nach der schweren Erkrankung und dem Tod von Michel Delvaux Partner wurde), habe er sich juristisches Denken bewahrt, eine Vorgehens- und Herangehensweise an Themen, Reflexe, die ihm im Politikerberuf gute Dienste geleistet habe. Während der Zeit habe er Einblicke in das Leben vieler einfacher Menschen bekommen. Die sozialen Probleme jener, die ihn als Anwalt brauchten, konnte er so praktisch erleben. Er sei, so räumte er ein, wohl immer auch etwas Richter gewesen, habe sich mit Urteilen, die seiner Einschätzung nach anders hätten ausfallen müssen, emotional schwergetan und somit sei er nicht der „ideale Advokat“ gewesen. Eigentlich hätte er noch Politikwissenschaften studieren wollen; nachdem er gefragt wurde, ob er auf der LSAP-Liste für die Kommunalwahlen kandidieren möchte, entschied er sich gegen weitere Studien und wurde auf Anhieb in den Düdelinger Gemeinderat gewählt. 

Lokalpolitik

Das war 1982 und er blieb im Gemeinderat, bis er 1989 als 30-Jähriger jüngster Minister des Landes wurde. Später stellte er sich erneut den Düdelinger Wählern, kam in den Schöffenrat und konnte 2004 Bürgermeister der Stadt werden, dies auf einer LSAP-Liste, die damals noch die absolute Mehrheit erreichen konnte. Die konkrete Arbeit, das schnelle und einfache Umsetzen der Ideen gefiel ihm besonders an diesem Job, den er bis 2014 innehatte und der weit entfernt von den notwendigen koalitionsbedingten Zugeständnissen und Kompromissen der Nationalpolitik war.

Ministerämter

Nach seiner Wahl ins Parlament 1984 wurde er 1989 also für etwa zehn Jahre Regierungsmitglied und hatte u.a. das Umweltressort, die Landesplanung, die Energie, die Post und die Kommunikation, Jugend, Sport, Öffentliche Macht zu bewältigen. Viele dieser Ressorts waren schwierig genug, so merkte er schnell, weshalb andere bereitwillig auf den Posten des Postministers verzichteten: Ein Streik der Briefträger stand an. Es sollte der bislang letzte große Streik im öffentlichen Dienst werden, der zwei Wochen andauerte. Ein taktischer Fehler der Briefträgergewerkschaft habe diesen beendet, verrät Bodry. Nachdem Staatsminister Jacques Santer öffentlich die Gehälter der Briefträger ausplauderte und dabei Netto und Brutto verwechselt hatte, verteilten die „Facteurs“ ihre Gehaltstabellen an alle Haushalte. Die Lohnsummen überraschten viele und die ursprüngliche Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten schwand deutlich. Eine letzte Verhandlungsrunde brachte einen Kompromiss und das Ende des Streiks. 

Dass die Fusion zwischen Polizei und Gendarmerie, die anfangs eher eine Form der Zusammenarbeit beider Korps sein sollte (was aber technisch kaum realisierbar war), inzwischen unumstritten ist, erfreut den Architekten dieser organisatorischen Zusammenarbeit. Bodry verweist u.a. darauf, dass es vor der Fusion nächtliche Stunden ohne jeglichen Bereitschaftsdienst öffentlicher Sicherheitskräfte gab – ein heute nicht mehr vorstellbarer Zustand.

Im Umweltministerium hatte er ebenfalls schwierige Dossiers zu meistern. „Ronnebierg“, die geplante Industriemülldeponie „Haebicht“, mangelnde Bauschuttdeponien waren mit Protest und Wut vieler Menschen verbunden. 

Das Parlament

Bis auf die Jahre in der Regierung war Bodry als Parlamentarier stets in den Kommissionen Justiz, Verfassung sowie Finanzen und Haushalt vertreten, oft als Präsident. In diesen Bereichen gilt er bis heute als Experte und potenzieller Interviewpartner für Journalisten. Die Arbeit an der neuen Verfassung, die zuletzt nur am plötzlichen CSV-Widerstand scheiterte (wenn auch nicht komplett), ist mit den Namen Paul-Henri Meyers und Alex Bodry verbunden. Als ehemaliger Minister habe er sich bewusst aus entsprechenden Kommissionen herausgehalten (mit Ausnahme einer kurzen Zeit in der Umweltkommission mangels Kandidaten); er wollte den Eindruck des schlechten Verlierers vermeiden.

Er präsidierte mehrere Untersuchungskommissionen und kann den neuen und kritiklosen Hype um die ehemalige Schifflinger Bürgermeisterin Astrid Lulling nur schwer verstehen. Nach der Immobilienaffäre, in die sie verstrickt war, wurde sie als einzige Parlamentarierin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt (mit Bewährung) und konnte trotz der Forderung des damaligen Generalstaatsanwaltes im Parlament bleiben. Ihr später folgender freiwilliger Rückzug sei mit einem Platz auf der CSV-Europaliste und so mit einem Mandat im Europaparlament entschädigt worden. Er erwähnt aber auch die Mondorfer Affäre, nach der Benny Berg eines seiner Ministermandate aufgeben musste, ein anderes aber behalten konnte.

Die breite CSV-LSAP-Koalition 1984-89 mit mehr als 40 Sitzen sei eine enorm spannende und lebhafte gewesen, während der er sich als halber Oppositionspolitiker gefühlt habe. So etwas sei eigentlich erst wieder während der letzten Jahre der CSV-LSAP-Regierung 2012/2013 spürbar gewesen, als er den Untersuchungsausschuss leitete, der schließlich zur Dreierkoalition ohne CSV geführt habe.

Jean-Claude Juncker

Dies sei eine extrem anstrengende und menschlich schwierige Zeit für ihn gewesen. Er präsidierte den Geheimdienst-Untersuchungsausschuss (SREL-Uhrenaffäre), war daneben Bürgermeister und Parteipräsident, nahm an Krisensitzungen der Koalition, aber auch an Gesprächen mit der DP und den Grünen teil. Die Zusammenarbeit in der SREL-Kommission habe schließlich zur Koalition von LSAP, DP und Grünen geführt. Vernehmungen unter Eid des damaligen Staatsministers Juncker seien menschlich keine einfache Übung für Bodry gewesen. Der politische Führungswechsel im Land sei allerdings absehbar gewesen und wäre Juncker damals in Hochform gewesen und hätte nicht wie gelähmt erschienen, so hätte er die Lage wohl auch anders – richtiger – einschätzen können, so Bodry.

Juncker habe sich damals geirrt; er habe zur Wahl 2013 Gespräche mit der DP geführt und auf eine CSV-DP-Koalition gesetzt, allerdings habe er mit den älteren Politikern dieser Partei gesprochen und die neue Garde unterschätzt, die sich gegen die Gesprächspartner Junckers durchsetzte und für frischen Wind ohne CSV sorgen wollte. 

Die LSAP

Als er erstmals ins Parlament einzog, bestand die sozialistische Fraktion noch aus über 20 Abgeordneten, er könne also nicht alles richtig gemacht haben, so Bodry entspannt, der darauf verwies, dass er unbedingt Präsident der Partei habe werden wollen und es ihm im zweiten Anlauf gelungen sei, nachdem er bei einem ersten Versuch (der zu großen Spannungen im Südbezirk geführt hatte) gegen Jean Asselborn den Kürzeren gezogen hatte. Dieser habe sich damals einfach professioneller angelegt, so Bodry in entwaffnender Selbsteinsicht.

Dass die LSAP regelmäßig Wähler verlor, analysiert er ganz offen: Die soziologische Zusammensetzung der Wählerschaft habe sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert (die Industrie spiele eine weitaus weniger wichtige Rolle), den Schulterschluss mit dem OGBL gebe es in der Form nicht mehr, die Sozialdemokratie stehe, wie andere Volksparteien auch, vor großen Herausforderungen. 15-bis-20-Prozent-Parteien prognostiziert Bodry in Zukunft bei Wahlen: Nur wer die richtigen Themen finde und diese zudem mit den passenden Köpfen besetzen könne, der werde politisch überleben. Dies heiße zurzeit, wer Ökologie und Soziales verbinden könne, hat gute Chancen, gewählt zu werden. Die LSAP, in der er künftig bei der Begleitung und Weiterbildung von Nachwuchstalenten helfen will, sei für die Konziliation dieser beiden Themenbereiche eine geeignete Partei. Er könne sich aber auch vorstellen, dass sich neue Gruppen vor Wahlen formen könnten; etwa sozial denkende Grüne, die gemeinsam mit umweltbewussten Sozialdemokraten antreten, eventuell auch mit Mitgliedern der Linken … Allerdings, so räumt Bodry ein, sind aufgrund des Wahlrechtes große dynamische Sammelbewegungen, wie sie etwa in Frankreich Macron an die Macht spülten, kaum möglich. 

Der Hof

Im Gegensatz zu Xavier Bettel sei er kein bekennender Monarchist, so Bodry. Als Demokrat ziehe er die Wahl dem Geburtsrecht vor, er sehe aber auch die Schwierigkeiten eines Präsidialsystems in Luxemburg. Er spricht sich für Transparenz u.a. in Finanz- und Personalfragen aus. Dem großherzoglichen Hof rät er, die aktuellen Probleme und gesetzlichen Unzulänglichkeiten nicht auszusitzen, sondern sie offensiv anzugehen. Vom anstehenden Waringo-Bericht über den Hof erhofft sich Bodry diesbezüglich nicht nur eine Analyse der Situation, sondern auch Lösungsvorschläge.

Ab kommender Woche wird Alex Bodry also Mitglied des Staatsrates sein und hofft auf mehr Freizeit, die er u.a. zur Publikation eines Werkes über die nationalen Institutionen und eventuell episodenhaften Erzählungen aus seinem politischen Leben nutzte möchte.   

 

Miller Yug
23. Januar 2020 - 18.13

Ein Rückzug mit Pauken und Trompeten bei Kaffee und Kuchen. Von weisen Einsichten nicht die Spur, aber nur belanglose Ansichten. Eher peinlich!

Net-Wieler
18. Januar 2020 - 21.46

mir soutzen 1x flatsch niewt him am resto bei der chamber, do huet en der welt awer fatzeg coups'en ginn, e war net ze iwwerhéieren a seng aussoen méi wéi kritesch. di politiker vergiessen iergendwéi datt hei jenni a menni se kennt, an souguer letzebuergesch kann. et war ganz pénibel, a mei mann huet mech mat den aen suppliéiert, neischt ze soen... zimlech decken ego hat dén schon deemols... fir den 1/2 resto lauthals ze stéieren!

Jemp
18. Januar 2020 - 17.02

"Golden handshake" nennt man das. Oder "asinus asinum fricat"

trotinette josy
18. Januar 2020 - 8.28

Ein leiser Abtritt wäre sympathischer gewesen. Aber Bescheidenheit und Demut scheinen Tugenden zu sein, an denen es den meisten Politikern fehlt. Im Zirkus tritt der Clown, nach seiner Darbietung, still und leise aus dem Rampenlicht und hat dennoch Applaus. " Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr" lautet ein fragwürdiges Sprichwort.