ParlamentEine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt wird es auch in Zukunft nicht geben

Parlament / Eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt wird es auch in Zukunft nicht geben
Insbesondere die Frage der „Gouvernance“ von Radio 100,7 soll gesetzlich klar geregelt werden Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Bei unseren Nachbarn ist die Antwort auf die Frage, was öffentliches Radio und öffentliches Fernsehen ist, eindeutig. Für Luxemburg ist sie komplizierter. Die Rolle eines öffentlich-rechtlichen Radios nimmt seit seiner Inbetriebnahme 1993 der ursprünglich als soziokulturelles Radio gegründete Sender, heute Radio 100,7, ein. Daneben erfüllt auch der Privatsender RTL einen „service public“. Im Bereich Fernsehen nimmt der Konzern im Auftrag des Staats eine Monopolstellung ein.

Was soll der öffentliche Dienst im Medienbereich leisten? Wie ist er zu definieren und zu finanzieren? Damit befasste sich das Parlament am Dienstag anlässlich einer von der Regierung Ende 2019 beantragten Konsultationsdebatte. Die Regierung strebe eine gesetzliche Regelung der öffentlich-rechtlichen Medien an, formulierte sie ihre Zielsetzungen im Vorbereitungsdokument zur parlamentarischen Debatte.

Die Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Mediums besteht nach allgemeiner Auffassung in qualitativ hochwertiger Information, Bildung und Unterhaltung der Öffentlichkeit, unabhängig von kommerziellem und politischem Druck. Die Redaktion muss in politischer und finanzieller Hinsicht unabhängig handeln können. Für Luxemburgs öffentliches Fernsehen sind für 2021 bis 2023 29,340 Millionen Euro an staatlichen Zuschüssen vorgesehen. Die Produktionskosten werden dabei auf 71 Millionen Euro geschätzt. Dem Radio 100,7 werden laut mehrjähriger, mit dem Staat vereinbarter Konvention 2023 6,85 Millionen Euro zur Verfügung stehen. 2019 waren es 6,33 Millionen.

Die Debatte gestern war zu großen Teilen eine Folge der Diskussion um die Unabhängigkeit von Radio 100,7, die im Oktober 2017 vor den Parlamentswahlen nach der umstrittenen Ernennung eines neuen Verwaltungsratspräsidenten dieses Senders entbrannt war. Mit der Nominierung von Laurent Loschetter, als „Vertrauensperson“ von Premierminister Bettel, war dieser verdächtigt worden, Einfluss auf den Sender nehmen zu wollen. Die Spannungen bei 100,7 hatten zur Demission von Direktor Jean-Paul Hoffmann geführt.

Offene Türen eingerannt

Auf diese Angelegenheit sollte auch Premierminister Xavier Bettel (DP) eingehen. Der Bericht der Europäischen Rundfunkunion (EBU) habe gezeigt, dass die Unabhängigkeit der Redaktion gewahrt blieb, betonte er. Die Affäre sei wie ein Soufflet in sich zusammengefallen.

Mit ihrer Konsultationsdebatte rannte die Regierung gestern quasi offene Türen ein. Alle Abgeordneten sprachen sich für den Erhalt und die Festigung von Radio 100,7 ein. Insbesondere die Frage der „Gouvernance“ soll gesetzlich klar geregelt werden. Die Nominierungsprozedur der Mitglieder im Verwaltungsrat soll transparenter werden, die Posten mit klar definiertem Profil der Kandidaten ausgeschrieben werden. Politiker im Verwaltungsrat werden keine mehr geduldet. Stärker eingebunden werden soll das Publikum, etwa durch die Schaffung eines ZuhörerInnen-Rats. Sicherheit und Planbarkeit soll ein mehrjähriger Finanzrahmen liefern. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag könne vom Ressort-Ausschuss des Parlaments bereits im Herbst diskutiert werden, so Bettel.

Klare Zustimmung gab es ebenfalls für eine Fortführung der Zusammenarbeit mit RTL über das Jahr 2023 hinaus. Nur sollten bei kommenden Verhandlungen auch die Auflagen für den Web-Auftritt zur Sprache kommen. Insbesondere wünschten sich die Abgeordneten eine bessere Moderation der Kommentare auf rtl.lu

Kaum zu vertreten

Meinungsunterschiede traten jedoch bei der Frage nach einem von RTL unabhängigen öffentlichen Fernsehen zutage. Für Premierminister Bettel wäre die Schaffung einer neuen Infrastruktur kaum zu vertreten. Er verwies dabei auf die hohen Kosten. Das deutsch-französische Fernsehen arte habe 2019 ein Budget von 137,6 Millionen Euro gehabt. Auch sei ungewiss, wie sich das Medium TV in Zukunft weiterentwickeln werde. Insbesondere der Sprecher von „déi Lénk“, David Wagner, befürwortete die Schaffung einer staatlichen Alternative, nicht etwa durch den Aufbau einer eigenständigen Fernsehanstalt. Wagner nannte dabei ein öffentlich-rechtliches Medium im Internet, ein Web-TV.

Francine Closener (LSAP) brachte noch weitere Alternativen in die Diskussion ein. Sollte CLT-Ufa in Zukunft nicht bereit sein, staatliche Anforderungen zu erfüllen, müssten Alternativen vorliegen. Sie nannte diesbezüglich neben einem WebTV und einem eigenen Sender Partnerschaften mit öffentlich-rechtlichen Anstalten im Ausland. Die LSAP sei wohl für Verhandlungen zur Verlängerung der Konvention mit RTL über 2023 hinaus, doch sollte das Parlament laufend informiert werden. Welchen Mehrwert ein eigenständiges öffentlich-rechtliches Fernsehen habe, fragte sich Djuna Bernard („déi gréng“). Ihre Partei verschließe sich jedoch keiner Grundsatzdiskussion darüber.

Unmissverständlich sprach sich der ADR-Abgeordnete Roy Reding gegen ein „100,7-Fernsehen“ aus. Das werde den Pluralismus keineswegs fördern. Das habe das „Staatsradio“ gezeigt, so Reding, der sich über Benachteiligung seiner Partei in den Medien beklagte.

Alle gegen eine Gebühr

Gegen die Einführung einer Gebühr zur Finanzierung von 100,7 und des Fernsehprogramms sprachen sich sämtliche Redner aus. Die öffentlich-rechtlichen Medien sollten allgemein zugänglich bleiben. Auch sollte die staatliche Unterstützung nicht auf 100,7 und RTL begrenzt werden. Auch andere Radios, die öffentlich-rechtliche Aufgaben erfüllten, sollten unterstützt werden, meinte etwa CSV-Sprecherin Diane Adehm.

Nicht vollends geklärt wurde die Frage, wie dank Mehrsprachigkeit allen Bürgern Zugang zu den öffentlich-rechtlichen Medien garantiert werden könne. Sowohl 100,7 als auch RTL sollen größtenteils auf Luxemburgisch bleiben, sagte dazu Adehm. Andererseits müsse der luxemburgischen Realität Rechnung getragen werden, dass die Hälfte der Einwohner kein Luxemburgisch spreche. Angebote in unterschiedlichen Sprachen könnten z.B. als Podcast oder als Video on demand bereitgestellt werden. Sven Clement (Piratenpartei) zufolge bräuchte 100,7 eine weitere Programmfrequenz. Eine Frequenz könne dann kulturellen Inhalten gewidmet werden, eine andere der Aktualität und Unterhaltungssendungen.

Die Debatte gestern war nicht erste dieser Art im Parlament. Bereits im Mai 2017 hatten sich die Abgeordneten zu medienpolitischen Themen geäußert. Demnächst werden sie sich mit der Reform des Presseförderungsgesetzes befassen.

J.C.Kemp
15. Juli 2020 - 18.05

Der öffentliche-rechtliche Sender, sowohl Rundfunk als auch Fernsehen, gehört vom Staat finanziert. Das öffentliche Fernsehen würde an Niveau zulegen, wenn es von kommerziellen Interessen befreit wäre und nicht nur als Alibi für Reklameverbreitung dient. RTL als kommerzielle Gesellschaft müsste sich (RF & TV) selbst finanzieren und für seine Senderechte zahlen. Es ist nicht richtig, dass eine Privatfirma vom Steuerzahler bezuschusst wird, um öffentliche Mitteilungen zu verbreiten.