KommentarDeutschland, Schengen und Luxemburg: Wenn nur die Grenze der Vernunft geöffnet bleibt

Kommentar / Deutschland, Schengen und Luxemburg: Wenn nur die Grenze der Vernunft geöffnet bleibt
„Das war nicht gut“: Das als freundschaftliche Geste getarnte Ende einer Farce am Samstagmorgen auf der Moselbrücke  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Deutschland hat seine Grenzen wieder geöffnet, Misstrauen und Unbehagen jedoch werden einstweilen bleiben. Am Samstagmorgen inszenierten beider Länder Chefdiplomaten einen etwas bizarren Feierakt auf der Schengener Brücke. Heiko Maas und Jean Asselborn sagten das, was Chefdiplomaten in solchen Situationen sagen, das war aber auch schon alles.

„Europa lebt davon, dass es ein Europa ohne Grenzen ist“, flötete auf der Moselbrücke demnach Maas, der seinen Innenminister Horst Seehofer in den Wochen zuvor kommentarlos schließen ließ, was geschlossen werden konnte. Außer Deutschlands Grenzen zu Belgien und den Niederlanden. Wohl nicht zuletzt wegen der Nähe der Häfen Rotterdam und Antwerpen zu Nordrhein-Westfalen und des holländischen Glashausgemüses, auf das Teile Deutschlands angewiesen sind.

Luxemburg aber sah sich am 15. März vor vollendete Tatsachen gestellt. Ohne Rücksprache oder Abstimmung mit der Luxemburger Regierung gingen über Nacht einige Grenzübergänge ganz zu, an den paar, die noch offen waren, wurden die vielen Berufspendler mit Kontrollen und Staus schikaniert. Neun Wochen lang. Fast handstreichartig war der Schengenraum so in seinem innersten Kern ausgesetzt. Wie einfach das doch geht: An die kleinen Brücken werden Betonquader gefahren, an die großen die Bundespolizei, schon ist der Laden dicht – und der Schaden angerichtet.

Zehntausende Spargel-Sklaven

Wenig später wurden Zehntausende als Erntehelfer euphemistisch umschriebene Billigstlöhner aus Osteuropa nach Deutschland eingeflogen. Die bedeuten aber keine Seuchengefahr, da sie tagsüber auf Feldern schuften, ansonsten in Baracken eingepfercht sind. Und wieder: Wie einfach das doch geht – nieder mit den Schlagbäumen, hoch mit dem Spargel. Man muss nun mal Prioritäten setzen im Leben.

Vor allem Premier Xavier Bettel und Außenminister Jean Asselborn trugen ihre Enttäuschung über Berlin öffentlich zur Schau. Der Groll, vom großen Nachbarn in Pandemie-Zeiten zur Quantité négligeable herabgestuft zu werden, ließ sich nicht mehr verstecken. Auch das hat es so zuvor nicht gegeben. Alleine damit ein paar Bauern über ihre Brücke auf ihre Felder auf der anderen Seite der Grenze kommen konnten, brauchte es einen diplomatischen Kraftakt. „Als würde man sich nicht mehr kennen unter Nachbarn“, sagte Jean Asselborn damals.

Während der ganzen Zeit wurde keine Rücksicht genommen auf Familienbesuche diesseits und jenseits der Grenze, Liebespaare konnten sich nicht mehr sehen, getrennt lebende Elternteile waren von ihren Kindern abgeschnitten. Die Wichtigkeit des Persönlichen war weggewischt, der Spargel aber wuchs. Das galt nicht nur für das deutsch-luxemburgische Grenzgebiet. Auch Österreicher wurden drangsaliert, schlimm scheint es Berichten zufolge insbesondere an den deutsch-französischen Grenzen zugegangen zu sein. Mit den geschlossenen Grenzen brachen sich alte Ressentiments umgehend wieder Bahn.

Nur Stunden vor dem Fußball

Dass Maas dann ein „Europa lebt davon, dass es ein Europa ohne Grenzen ist“ von sich gibt, wird in den Ohren vieler noch lange wie blanker Hohn nachhallen. Auch in Deutschland, wo die Menschen in den Grenzregionen genauso wie die Luxemburger erfahren mussten, wie unwichtig ihre Belange in Berlin sind. Sollte sich also eine Wut halten in Luxemburg und anderswo – sie sollte sich gegen die Bundespolitik richten, nicht gegen die Nachbarn hinter der Grenze, die ebenso unter dieser Maßnahme gelitten haben.

Kurz nach dem als freundschaftliche Geste getarnten Ende einer Farce am Samstagmorgen auf der Moselbrücke twitterte das Luxemburger Außenministerium dreisprachig von dem Treffen: auf Luxemburgisch, Französisch und Englisch – kein Wort auf Deutsch. Wenig später schob Asselborn via RTL den Einkaufstipp nach, ab kommender Woche könne „höchstwahrscheinlich“ wieder in Belgien eingekauft werden. Auf der Moselbrücke hatte Luxemburgs Außenminister seinem deutschen Amtskollegen noch mit auf den Weg gegeben, dass dieses Brimborium auch vor einem Monat hätte enden können. „Das war nicht gut.“

Nur wenige Stunden nach der Inszenierung auf der Brücke zwischen Schengen und Perl ging die Bundesliga wieder los. Um ein Haar wäre der Ball früher als der Grenzverkehr gerollt. Immerhin diese Lächerlichkeit blieb uns erspart. In die Erleichterung über die sich wieder öffnenden Grenzen in Europa mischt sich trotzdem ein bitterer Beigeschmack. Die Grenzen öffnen pünktlich zur Urlaubssaison. Ein Ausfall des Sommertourismus wäre für viele Staaten in der Tat ein weiterer schwerer wirtschaftlicher Schlag.

Trotzdem legt das Hin und Her um Grenzschließungen und -öffnungen vor allem eines offen: Wenn es darum geht, Geld hinüberzutragen, um es woanders auszugeben, wird es einfacher mit der Öffnung. Geht es darum, seine Nächsten zu sehen, ist es nahezu unmöglich. An solchen Aktionen verdrießen sogar die durchweg proeuropäischen Luxemburger. Von anderen, die grundsätzlich eher am Projekt EU zweifeln, ganz zu schweigen. Grenzen halten kein Virus auf, trennen aber die Menschen. Der Spuk ist vorbei, die Erinnerung daran wird bleiben.

P. Arweiler
24. Mai 2020 - 2.44

Mir als Deutschem mit echten Freunden in Luxemburg und in Frankreich - und das seit langen Jahren - bleibt hier nur zu sagen dass mir diese Grenzkontrollen wahnsinnig gegen den Strich gehen!! Aber, bitte bleibt sachlich!! Europa hatte keinerlei Pandemieplan oder sonstige Maßnahmen in Petto, die sofort hätten in Kraft gesetzt werden können! Verbockt von ALLEN europäischen Politikern. Also was machen um Zehntausende Tote zu verhindern? Jeder wurstelte mit nationalen Maßnahmen rum, ist doch logisch in der Situation - wenn auch überaus traurig. Unstreitig ist allerdings überhaupt nicht nachvollziehbar, weshalb die Grenzen von Nordrhein-Westfalen nach Belgien und Holland offen blieben und die nach Luxemburg - einem Nichtrisikogebiet - geschlossen wurden. Begründet wird dies von deutscher Seite mit dem Verhindern der Einreise von den französischen Nachbarn von dem französischen Hochrisikogebiet Grand-Est über Luxemburg nach Deutschland. Unverzeihlich von deutscher Seite ist allerdings, dass angeblich weder Luxemburg noch Frankreich im Vorfeld über die Grenzschließungen informiert wurden! Wobei ich meinen Kopf verwette, dass zumindest Frankreich genauso gegenüber Deutschland gehandelt hätte, wenn die Pfalz oder das Saarland in Frankreich als Hochrisikogebiet eingestuft worden wären. Als ehemaliger Zollbeamter an der französischen Grenze weiß ich sehr genau, wie unsere Freunde in Frankreich bisweilen agieren, wenn es um nationale Interessen geht.

der Wanderer
22. Mai 2020 - 21.09

für Peter Ihr armen Bundesbeutegermanen, ihr tut mir so leid.Angst vor 600000 Luxemburgern.

Lucilinburhuc
20. Mai 2020 - 17.45

Peter, welche Biene hat Ihnen denn heute am Bienentag gestochen? Ich liebe die Art der Deutschen offen, ehrlich und direkt Problemen unverblümt anzusprechen. Aber die Deutschen sollen auch nachvollziehen, dass es sehr nervig sein kann wenn der grosse Bruder meint immer alles besser zu wisse und versuche mitt mit seinen Muskeln zu protzen. Diese Überheblichkeit und mitunter Arroganz bringt einem zum Kochen - nicht unbedingt in der Küche :)

Peter
20. Mai 2020 - 13.00

@ Scholer NRW braucht nicht zu kontrollieren, dass machen schon die Belgier und die Holländer. Aber das scheint Sie auch nicht zu interessieren. Ihnen ist es wichtiger ihr einmal gefestigtes und unumstößliches Weltbild (oder auch Feindbild) bestätigt zu wissen. Sie befinden sich damit in bester Gesellschaft mit dem aktuellen amerikanischen Präsidenten. So long, amigo;)

J.Scholer
20. Mai 2020 - 6.27

@Peter: NRW ist Beweis genug.

Peter
19. Mai 2020 - 14.39

@ Scholer Im März wurden unzählige "Errungenschaften mit den Füßen getreten" und die Menschen machen mit, weil sie irgendwie daran glauben, dass alles zu ihrem besten ist. So glaube ich daran, dass zeitlich begrenzte Grenzkontrollen bei eine Pandemie sinnvoll sind und Sie glauben eben nicht daran. Belassen wir es dabei.

J.Scholer
19. Mai 2020 - 12.07

@ Peter: Mich wundert es wie kurzsichtig Sie den europäischen Himmel betrachten , sich Ihr Süppchen kochen und glauben „ Gott mit uns“ , das Recht ist unser. Klarstellung, ich glaube weder das Tageblatt, noch ich kritisieren , bewerfen den deutschen Bürger, die Grenzgänger mit Schmutz, würden Ressentiments schüren. Falsch einzig geht es darum , wie vom Nationalen angehauchte Politiker die Errungenschaften europäischer Politik mit Füssen treten. Wer Grenzen als Schutzwall im nationalen Geplänkel hochstilisiert , das Virus aufzuhalten und im Gegenzug andere Grenzübergänge zu Ländern mit sehr hoher Infektion offen lässt , ist als Politiker unglaubhaft , nicht vertrauenswert .Der innere Friede Europas wird torpediert von solchen Politikern die in guten Zeiten, Europa hochloben, beklatschen, um dann in Krisenzeiten die nationale Kraftkeule zu schwingen und Freunde gängeln.

Peter
18. Mai 2020 - 12.12

Bravo, einseitig und tendenziös, das TB bleibt sich treu. Da werden Schulschließungen, das runterfahren des wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen lebens verbunden mit das Aufforderung das Haus nicht zu verlassen anstandslos hingenommen, aber an den einseitigen Grenzkontrollen reibt man sich. Kein Wort darüber, dass die vielen Grenzgänger die hier in den Krankenhäusern pflichtbewusst ihren Dienst nach gingen dieses auch ungehindert tun konnten. Kann es sein, dass da bestehende Ressentiments gepflegt werden um den inneren Frieden zu bewahren? Da bleibt ein scheinheiliges Geschmäckle.

J.Scholer
18. Mai 2020 - 6.12

1914,1940,2020...Aus den Erfahrungen der Zeitgeschichte lernen .Freundschaften pflegen, aber den politischen Schönredereien keinen Glauben schenken.

Alois
17. Mai 2020 - 22.42

Horscht und Co werden in die Analen der Geschichte eingehen,Coronavirus durch Grenzschliessung gestoppt und Europa in den Ruin getrieben.

HTK
17. Mai 2020 - 19.05

Qui Bono? Wem nutzt es. Maas ist eine Figur wie einst der Verteidigungsminister Scharping. Leute mit soviel Charisma nehmen dem Ganzen das Tragische.Man hätte auch die Marx-brothers an die Brücke stellen können,oder wenigstens einen,denn....unser Jang kämpft verbissen für eine gute Sache,während Maas nur macht was man ihm sagt. Seine internationalen Auftritte erzeugen immer ein wenig Mitleid bei den Zuschauern.Man fragt sich: Kommt da noch einer der etwas zu sagen hat? Während die Galionsfigur der CSU Seehofer die Idee Europa im Sand verscharrt und die Kanzlerin der "Kleinen Schritte" dem mühelos zusieht,kämpft unser Super-Jang für das Überleben einer guten Idee. Europa. Bravo