EditorialAuf der Verliererseite: Wie die Causa Djokovic miserable Zustände in Australien aufdeckt

Editorial / Auf der Verliererseite: Wie die Causa Djokovic miserable Zustände in Australien aufdeckt
Novak Djokovic kam nach fünf Nächten in der „Folterkammer“ auf freien Fuß Foto: dpa/Mark Baker

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Je länger die Pandemie nun anhält, umso abstruser werden die Vergleiche. Eine Tendenz, die auch vor der Sportwelt keinen Halt macht. Korrelationen mit dem Holocaust herzustellen oder Parallelen zwischen einer Impfnadel und einem Gewehr zu ziehen – es scheint, als bräuchte es derzeit die skrupellosesten Darstellungen, um auf sich aufmerksam zu machen. 

Auch Srdjan Djokovic, Vater und Manager des derzeit meistmediatisierten Tennisspielers der Welt, hat sich in der vergangenen Woche zu einem wilden Vergleich hinreißen lassen: „Jesus wurde gekreuzigt, ihm wurde alles angetan und er ertrug es und lebt immer noch unter uns. Jetzt versuchen sie, Novak auf die gleiche Weise zu kreuzigen und ihm alles anzutun.“ Nun kann man, wahrscheinlich abhängig von Glauben und eigenen religiösen Überzeugungen, von dieser Aussage halten, was man will …

Doch spätestens seit Mutter Dijana ihren Sohn als einen „Gefangenen“ beschrieb und schwere Vorwürfe wegen der Bedingungen der Unterbringung ihres Sohnes erhoben hat, wurde in Australien ein weiteres Politikum losgetreten: Regelmäßig protestierten in der Vergangenheit bereits Aktivisten vor dem „Park Hotel“ im Stadtteil Carlton (einem Hotel für Ausreisepflichtige) – ohne größeres Interesse und Berichterstattungen. Das hat sich mit der Präsenz des Millionärs allerdings geändert. In den sozialen Medien tauchten jetzt Fotos von Maden im Hühnchen und verschimmeltem Brot auf, das den Asylbewerbern in Melbourne serviert worden sei. Brände, Parolen auf den Fassaden und Covid-Cluster wurden laut Augenzeugen gemeldet. „Schrecklich, es ist nur ein kleines Immigrationshotel, wenn man es überhaupt Hotel nennen kann. Es ist dreckig und das Essen ist sehr schlecht“, beschrieb es Dijana Djokovic. 

Dreckig und schlecht ist allerdings auch das Ausmaß der Gerichtsaffäre. Die Verliererliste in diesem Dossier ist lang. Angefangen bei der australischen Bevölkerung, welcher der Eindruck vermittelt wurde, als erhalte man aufgrund eines Profisportler-Status in Krisenzeiten Sonderbehandlungen – also ausgerechnet in Momenten, in denen Solidarität gefragter ist denn je. Doch auch die Information, dass der „Djoker“ vor seiner Anreise eine umstrittene Ausnahmegenehmigung der Regierung erhalten hat, spricht nicht für die Kohärenz der Entscheidungsträger.

Erst die Grenzschutzbehörde stoppte die Einreise aufgrund fehlender Dokumente. Der in den Gerichtsunterlagen frei zugängliche positive Corona-Test von Mitte Dezember soll laut Informationen der New York Times zunächst ein negatives Ergebnis angezeigt haben, später dann ein positives. Auch haben die verbalen Ausrutscher seines familiären Anhangs nicht erst in den letzten Tagen dafür gesorgt, dass das Mitleid für den Serben ausbleibt. Eines steht fest: Die Causa Djokovic und ihre Berufung werden die Sportwelt noch lange in Atem halten.

Während Djokovic wieder auf freiem Fuß ist und das „Park Hotel“ verlassen durfte, hofft die Organisation zur Unterstützung von Asylsuchenden und Flüchtlingen (ASRC) nun, dass den 33 Flüchtlingen – von denen einige angeblich seit neun Jahren dort ausharren müssen – die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wird wie dem Tennis-Ass. Wenn sich die dortigen Bedingungen verbessern würden, gäbe es zumindest einen Gewinner in dieser Geschichte.