High-Tech3D-Scanner aus Luxemburg sollen in der Ukraine Kriegsverbrechen dokumentieren

High-Tech / 3D-Scanner aus Luxemburg sollen in der Ukraine Kriegsverbrechen dokumentieren
„Wir brauchen genau das“: Artec3D-Chef Artem Yukhin, die ukrainische Juristin und Forensikerin Nataliia Nestor und Verteidigungsminister François Bausch in Diekirch Foto: Editpress/Alain Rischard

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Luxemburg schickt 30 3D-Scanner in die Ukraine. Sie sollen dabei helfen, Kriegsverbrechen aufzuklären. Hightech-Produkte einer luxemburgischen Firma machen sich so auf eine düstere, aber wichtige Mission.

Nur ganz langsam hebt der Gabelstapler metallisch surrend seine Ladung in den bereits halbvollen Lastwagen auf dem Härebierg. Die Behutsamkeit, mit der der Fahrer vorgeht, hat einen guten Grund. Es ist Donnerstagmittag und in Diekirch wird gerade eine teure und empfindliche Fracht verladen. Der Lkw mitsamt dieser Fracht wird bald in die Ukraine aufbrechen. Was vom luxemburgischen Militär eingeladen wird, soll in dem größten Konflikt in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bald eine wichtige Rolle spielen. Es geht um die Aufklärung von Kriegsverbrechen. Es geht um Mord, Folter, Vergewaltigung und den gezielten Beschuss ziviler Infrastruktur durch die russischen Truppen.

Insgesamt 30 3D-Scanner der luxemburgischen Firma Artec3D sollen ein Licht in dieses Grauen bringen – und irgendwann für Gerechtigkeit sorgen. In der Ukraine werden die Hightech-Geräte aus Luxemburg bereits sehnsüchtig erwartet. „Wir brauchen dieses Equipment“, sagt Nataliia Nestor, Juristin und stellvertretende Direktorin vom Wissenschaftlichen Recherche-Institut für Forensik in Kiew, dem Tageblatt, „wir brauchen die Unterstützung unserer europäischen Freunde“.

Heikle Fracht

Nataliia Nestor deckt mit ihren Kolleginnen und Kollegen Kriegsverbrechen in der Ukraine auf, sie jagt Kriegsverbrecher, will sie vor Gericht sehen. 42.000 Untersuchungen sollen bereits laufen. Dafür muss sie Beweise sichern. Dafür muss sie Tatorte dokumentieren. Bis ins kleinste Detail. Hier kommen Luxemburg und die 3D-Scanner von Artec3D ins Spiel. Artem Yukhin, Chef der Firma mit Sitz in Findel, ist davon überzeugt, dass seine Technologie der Ukraine in dieser schwierigen Aufgabe helfen kann.

„Zur Beweissicherung ist es von zentraler Wichtigkeit, eine Situation, in der sich mutmaßliche Kriegsverbrechen zugetragen haben, in ihrem Originalzustand quasi einzufrieren, bevor irgendjemand etwas daran verändert hat“, sagt Artem Yukhin, „mit unseren Scannern gelingt genau das.“ Kinderleicht sei das, sagt der Artec3D-Chef, und zeigt einen seiner Scanner, hält das Gerät mit einer Hand hoch und startet es per Knopfdruck. Der Scanner, der ein bisschen ausschaut wie eine Pistole aus einem Science-Fiction-Film, summt leise und wirft ein flackerndes weißes Licht auf die Flächen und Objekte, die er mit seinen Sensoren abtastet. Auf einem Laptop daneben entsteht quasi zeitgleich ein dreidimensionales Abbild all dessen.

Die Fracht wird verladen – ein Scanner kostet rund 35.000 Euro
Die Fracht wird verladen – ein Scanner kostet rund 35.000 Euro Foto: Editpress/Alain Rischard

Artem Yukhin erzählt, dass seine Scanner bereits in einer ganzen Reihe von Ländern von Polizisten und Forensikern eingesetzt werden. Unter anderem die Amerikaner arbeiten damit, die Japaner und die Kanadier ebenso, auch Luxemburgs Polizei wolle sie bald einsetzen. Aus Knochensplittern lassen sich mit dem Gerät sogar Schädel rekonstruieren. Bei Verkehrsunfällen lässt sich mit ihnen herausfinden, welcher Wagen wie schnell von wo kam. Sie werden auch dazu gebraucht, passgenaue Prothesen herzustellen, unter anderem wurde mit diesen Scannern kriegsversehrten Armeniern nach dem Konflikt im Herbst 2020 geholfen. Jetzt rollen sie in die Ukraine, um dort Kriegsverbrechen zu dokumentieren.

Nur ein Monat sei vergangen seit der Anfrage aus der Ukraine an Luxemburg bis zu diesem Donnerstag, an dem die Scanner ihre Reise ins Kriegsgebiet antreten, sagt Artem Yukhin sichtlich stolz. „Dass das luxemburgische Verteidigungsministerium so schnell reagiert und gehandelt hat, ist eine wunderbare Sache“, unterstreicht Nataliia Nestor die unbürokratische Hilfsbereitschaft aus Luxemburg, „das ist genau das, was wir brauchen.“

Wir können die Ukraine nicht opfern, weil wir lieber unsere Ruhe haben

Verteidigungsminister François Bausch

35.000 Euro kostet einer dieser 3D-Scanner, Artec3D hat sie zu einem Vorzugspreis an das luxemburgische Verteidigungsministerium abgegeben, das sie dann an die Ukraine gespendet hat. Bis zum Ende des Jahres wird Luxemburg militärisches Material über insgesamt 74 Millionen Euro an die Ukraine geliefert haben. Verteidigungsminister François Bausch („déi gréng“) betont, dass das 16 Prozent des gesamten Jahresbudgets seines Ministeriums ausmacht. Umgerechnet sind das pro Kopf für alle Menschen in Luxemburg etwas mehr als 110 Euro.

„Im Verhältnis zu unserer Bevölkerung sind wir ein Modell-Land, was die Hilfe an die Ukraine angeht“, sagt François Bausch dem Tageblatt, „und wir waren mit die ersten, die im Februar begonnen haben, die Ukraine militärisch zu unterstützen.“ Man kommuniziere als Regierung „aus guten Gründen nur sehr eingeschränkt, das Material soll sicher in der Ukraine ankommen“, sagt François Bausch, verrät aber, dass bis Ende Dezember vor allem noch Munition und Panzerabwehrraketen geliefert werden sollen. „Fahrzeuge, Munition, Raketen zur Panzerabwehr, aber auch auf Material zur Herstellung der Satellitenkommunikation und Nachtsicht-Geräte, in den Lieferungen aus Luxemburg war so ziemlich alles drin, was man sich im militärischen Bereich vorstellen kann“, sagt der Grünen-Politiker.

Die Scanner werden bereits in zahlreichen Ländern in der Forensik eingesetzt
Die Scanner werden bereits in zahlreichen Ländern in der Forensik eingesetzt Foto: Editpress/Alain Rischard

François Bausch ist überzeugt davon, dass diese Waffenlieferungen unabdingbar für einen Frieden in der Ukraine sind. „Wenn wir wollen, dass Diplomatie und Verhandlungen eine Chance bekommen, müssen wir den Ukrainern die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen – wenn wir das nicht tun, gewinnen die Russen diesen ungerechten Krieg und die Verhandlungen verkommen zum Witz“, sagt der luxemburgische Verteidigungsminister. Aus einer schwachen Position heraus lasse sich nicht verhandeln. Russland müsse verstehen, dass es diesen Krieg nicht gewinnen kann, so François Bausch. Moskau müsse so an den Verhandlungstisch gezwungen werden und eine Lösung gefunden werden, die zur Sicherheit beider Länder beitrage.

Briefmarke für Bausch

Die Reden und Ansprachen vom Minister, der ukrainischen Juristin und dem Firmenchef sind gehalten. François Bausch ist jetzt beschenkt mit einem Satz an Briefmarken aus der Ukraine, auf denen ein ukrainischer Soldat abgebildet ist, der dem von den Ukrainern im April versenkten russischen Flaggschiff im Schwarzen Meer, der „Moskwa“, den Mittelfinger zeigt. Und die 3D-Scanner sind zusammen mit Heizstrahlern, Lichtanlagen und Stromgeneratoren auf dem Lkw verladen.

Bald wird dieser sich in Bewegung setzen, erst den Härebierg hinunterrollen und sich dann auf den langen Weg in Richtung Ukraine machen. Alle am Donnerstag auf dem Härebierg Anwesenden wollen, dass dieser Krieg bald endet. Die Gespräche untereinander lassen keinen Zweifel daran aufkommen. Bei diesem Krieg gehe es auch um „unsere Werte“, sagt François Bausch, „wir können die Ukraine nicht opfern, weil wir lieber unsere Ruhe haben.“ Die Plane vom Lkw wird zugezogen, er rollt bald los, ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht.

Anmerkung: Damit das Material sicher in der Ukraine ankommt, hatte das Verteidigungsministerium darum gebeten, diesen Text nicht vor Samstag zu veröffentlichen.

De soziale Fred
13. November 2022 - 15.56

Elo méscht de Putin sech bestëmmt an d‘Bochs, well hien dann zur Rechenschaft gezugët….

michcamera
13. November 2022 - 11.32

Nicht alle Russen stehen auf Putins Seite: "The corporate culture of Artec Group is characterized by a combination of Russian Engineering, European business ethics and the spirit of innovation of Silicon Valley."