Liège-Bastogne-LiègeZu früh gefreut: Alaphilippe verschenkt den Sieg

Liège-Bastogne-Liège / Zu früh gefreut: Alaphilippe verschenkt den Sieg
Julian Alaphilippe wähnte sich bereits als Sieger: Den voreiligen Jubel seines Kontrahenten nutzte Primoz Roglic aus und zog noch am verdutzten Franzosen vorbei. Foto: dpa/Kristof van Accom

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Gleich bei seiner ersten Teilnahme gewann Primoz Roglic gestern Liège-Bastogne-Liège. Der Slowene profitierte von zwei unverzeihlichen Fehlern des Weltmeisters Julian Alaphilippe, der deklassiert wurde. Marc Hirschi, wahrscheinlich der stärkste Fahrer, und Tour-Sieger Tadej Pogacar fuhren mit Roglic aufs Podium. Bob Jungels wurde 94., Michel Ries 118., Alex Kirsch steckte auf.

Bisher hatten drei Fahrer Liège-Bastogne-Liège im Regenbogentrikot gewonnen: Der Belgier Rik van Looy war der erste im Jahr 1961, es folgte sein Landsmann Eddy Merckx mit gleich zwei Erfolgen (1972, 1975), und als Nummer drei beschloss im Frühjahr 1987 der Italiener Moreno Argentin den Reigen. Seither konnte kein Weltmeister mehr seinen Namen ins Palmarès des ältesten Klassikers der Radsportgeschichte eintragen.

Als Nachfolger von Van Looy, Merckx und Argentin schien der Franzose Julian Alaphilippe wie geschaffen. Während seine Vorgänger das Weiße Trikot mit den bunten Streifen erst neun Monate nach ihrem Titelgewinn durch die Ardennen fahren durften, machten die durch Covid-19 bedingten Rennverschiebungen einen Doyenne-Gewinn schon sieben Tage nach dem WM-Titel möglich.

Alles lief schief

„Ich will dem Regenbogentrikot alle Ehre erweisen“, hatte Alaphilippe vor dem Klassiker gesagt. Am Ende des Rennens aber wurde ersichtlich, dass für den Franzosen alles schieflief, was nur schieflaufen konnte. Es begann mit einem Sturz im Peloton rund 80 km vor dem Ziel. Neben dem Weltmeister gingen u.a. auch Marc Hirschi, Damiano Caruso und Warren Barguil zu Boden.

„Ich dachte, jetzt ist alles vorbei“, sagte später Alaphilippes Sportlicher Leiter Tom Steels. Der Franzose stieg auf eine neue Rennmaschine und schloss zum Peloton auf, ehe er 15 km später den rechten Rennschuh über dem Fahren wechseln musste. All das aber geschah in der sogenannten Abtastphase.

Das Rennen begann richtig, als Michael Schär, der letzte Ausreißer der zehnköpfigen „Echappée matinale“, in der Côte de la Redoute eingefangen wurde. Zu fahren blieben in dem Augenblick noch 35 km. Bis dahin hatte die Trek-Segafredo-Mannschaft mit Mads Pedersen und Michel Ries an der Spitze die meiste Führungsarbeit geleistet, um die Fluchtgruppe einzufangen. Danach übernahmen Julian Alaphilippes Mannschaftskollegen Dries Devenyns und Mauri Vansevenant das Kommando.

Dem Weltmeister schien mit einem Male wieder das Glück des Tüchtigen hold zu sein, umso mehr es ihm gelang, in der Côte de la Roche-aux-Faucons, der letzten Schwierigkeit des Tages, eine Vorentscheidung herbeizuführen. Nur Marc Hirschi, der Schweizer Sieger der „Flèche Wallonne“, sowie die beiden Tour-Ersten Tadej Pogacar und Primoz Roglic konnten sein Rad halten. Eine solche „Echappée royale“ hatte Liège-Bastogne-Liège nie zuvor in seinem Schlussteil erlebt.

Doppelfehler

Für Alaphilippe schien der Erfolg gesichert. – Glaubte er zumindest, ehe er zwei unverzeihliche Fehler beging. Der Weltmeister zog den Spurt auf der rechten Straßenseite nahe der Absperrungen an. Dann verließ er seine Linie und wechselte nach links, genau in dem Augenblick, als Marc Hirschi im Begriff war, nach vorne zu preschen. Alaphilippe touchierte des Schweizers Vorderrad, dieser wiederum wurde nach links abgedrängt und berührte mit dem Hinterrad Pogacars Maschine.

Der Schweizer und der Tour-de-France-Sieger waren also aus dem Rennen um den Sieg. Alaphilippe, der sich des Erfolges sicher wähnte, hob schon 15 m vor dem Strich beide Arme in die Höhe und wollte als großer Triumphator in die Radsportgeschichte eingehen. Primoz Roglic, den Fahrer an seiner rechten Seite, aber hatte er nicht bemerkt.

Dieser „schoss“ nach vorne und fuhr wenige Zentimeter vor dem Mann im Regenbogentrikot über den Strich. In dem für Alaphilippe kruzialen Moment fühlte sich Ihr Artikelschreiber 17 Jahre zurückversetzt. Damals unterlief Kim Kirchen auf der vierten Etappe der Tour de Suisse von Visp nach Losone ein ähnlicher Patzer. Der Luxemburger, der damals mit erhobenen Armen einem sicheren Sieg entgegenzufahren schien, war in Gedanken schon beim Feiern und wurde auf der Linie vom Franzosen Sandy Casar abgefangen.

„Solche Fehler passieren einem nur einmal im Leben“, meinte Alaphilippes Chef Tom Steels. Mit der bitteren Erfahrung, die er auf dem Zielstrich machen musste, aber war es für den Franzosen noch nicht getan. Er wurde von den Kommissaren wegen Fehlverhaltens im Sprint auf den 5. Platz zurückversetzt.

Hirschi der Stärkste?

Der Sieg ging an Primoz Roglic vor Marc Hirschi und Tadej Pogacar. Am meisten „bestraft“ wurde wohl Hirschi, der den Weltmeister wahrscheinlich ohne dessen Schlenker noch vor dem Ziel gestellt hätte. Er verpasste das durchaus mögliche Doublé „Flèche-Liège“. Auch Pogacar war in der entscheidenden Phase noch lange nicht weg vom Fenster.

Primoz Roglic konnte demnach gleich bei seiner ersten Teilnahme an Liège-Bastogne-Liège einen Sieg feiern. „Mein Mannschaftskollege Tom Dumoulin hat hervorragende Vorarbeit geleistet, ich habe bis zuletzt an meine Chance geglaubt“, sagte der Tour-de-France-Zweite, der Ende Oktober seinen 31. Geburtstag feiert (geb. am 29.10.1989). Roglic begann seine Sportlerkarriere als Skispringer (u.a. Junioren-Weltmeister), war aber als Radprofi noch erfolgreicher. Er gewann u.a. die Vuelta (2018), wurde 2. der Tour de France (2020) und 3. des Giro (2019). Auch holte er sich die Tour de Romandie (2018, 2019), die Baskenland-Rundfahrt (2018), Tirreno-Adriatico (2019), die UAE-Tour (2019), die Slowenien-Rundfahrt (2018), die Tour de l’Ain (2020), verschiedene Etappen bei „Grand-Tours“ usw. Erst fünfmal war er bei sogenannten Radsport-„Monumenten“ am Start.

Die Luxemburger Fahrer hatten mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun. Sie stellten sich im ersten Teil des Klassikers in den Dienst ihrer Kapitäne (Bob Jungels für Julian Alaphilippe, Alex Kirsch und Michel Ries für Richie Porte). Als bester Luxemburger kam Bob Jungels auf den 94. Platz mit 12’04“ Verspätung. Michel Ries wurde 119. auf 13’08“, Alex Kirsch steckte auf.

Van Avermaet schwer verletzt

Kritik gab es für Organisator ASO: Der Australier Jay McCarthy (Bora-hansgrohe) fuhr rund 80 km vor dem Ziel in eine nicht gesicherte Verkehrsinsel und zog bei seinem Sturz den belgischen Olympiasieger Greg Van Avermaet (CCC) mit zu Boden. Beide mussten aufgeben. Van Avermaet wurde relativ schwer verletzt. Bei Röntgenuntersuchungen im Sart-Tilman-Hospital in Liège wurden neben diversen Prellungen auch drei Rippenbrüche, eine akromioklavikuläre Gelenktrennung, ein kleiner Bruch des ersten Brustwirbels und ein Pneumothorax festgestellt. Der Genesungsprozess wird Wochen dauern.

Ergebnisse

Radsport, 106. Liège-Bastogne-Liège über 257 km: 1. Primoz Roglic (Slowenien/Jumbo-Visma) 6:32:02 Stunden, 2. Marc Hirschi (Schweiz/Sunweb), 3. Tadej Pogacar (Slowenien/UAE Team Emirates), 4. Matej Mohoric (Slowenien/Bahrain-McLaren), 5. Julian Alaphilippe (Frankreich/Deceuninck-Quick Step) alle gleiche Zeit, 6. Mathieu van der Poel (Niederlande/Alpecin-Fenix) 0:14, 7. Michael Woods (Kanada/EF Pro Cycling), 8. Tiesj Benoot (Belgien/Sunweb), 9. Warren Barguil (Frankreich/Arkea-Samsic), 10. Michal Kwiatkowski (Polen/Ineos Grenadiers) alle gleiche Zeit, … 94. Bob Jungels (Luxemburg/Deceuninck-Quick Step) 12:04, 119. Michel Ries (Luxemburg/Trek-Segafredo) 13:08, Alex Kirsch (Luxemburg/Trek-Segafredo) DNF