DopingDas Problem ist nicht das Urteil gegen Russland, sondern das Anti-Doping-System

Doping / Das Problem ist nicht das Urteil gegen Russland, sondern das Anti-Doping-System
Das Problem ist nicht das Urteil gegen Russland, sondern das Anti-Doping-System Foto: AFP/Kirill Kudryavtsev

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Am Donnerstag hat der Internationale Sportgerichtshof die Urteilsbegründung im Fall Russland veröffentlicht. Eine gerechte Strafe wird das Land für sein staatlich organisiertes Doping nicht mehr bekommen. Darum geht es auch nicht mehr. Laut Marc Theisen steht die Zukunft des Anti-Doping-Systems auf dem Spiel.

Es ist bereits jetzt die Lachnummer der Handball-Weltmeisterschaft. Russland darf aufgrund seiner Sperre nicht teilnehmen, deshalb tritt die „Mannschaft der russischen Handball-Föderation“ an. Im Dezember hatte der Internationale Sportgerichtshof CAS Russland aufgrund des nachgewiesenen Staatsdopings von allen großen Sportveranstaltungen ausgeschlossen. Die Mannschaft darf also weder unter dem Namen Russland noch unter der russischen Flagge auflaufen. Allein der Name „Mannschaft der russischen Handball-Föderation“ zeigt bereits die Absurdität der Sanktionen. Dass sie anstatt der Flagge das Logo des russischen Handballverbands benutzen, das aus den gleichen Farben wie die russische Fahne besteht, ist an Ironie kaum zu überbieten.

Am Donnerstag absolvierte die „Mannschaft der russischen Handball-Föderation“ ihr erstes Spiel bei der Weltmeisterschaft, 32:32 gegen Belarus. Am gleichen Tag veröffentlichte der CAS die 186-seitige Urteilsbegründung im Fall Russland. „Ich kann verstehen, wenn die verhängten Sanktionen kritisiert werden“, sagt Anwalt Marc Theisen. Der ehemalige Präsident des Luxemburgischen Olympischen Komitees hatte in dem sporthistorischen Prozess das Europäische Olympische Komitee (EOC) vertreten. Dem EOC ging es dabei um die European Games, für die Russland von großer Bedeutung ist und an denen die Russen weiterhin teilnehmen dürfen. Verständlich also, dass Theisen mit dem Urteilsspruch zufrieden ist.

Die richtige Diskussion führen

Aber auch darüber hinaus findet er es juristisch gesehen ein gutes Urteil, das hatte er bereits im Dezember, als das Urteil bekannt wurde, erklärt.„Die 186 Seiten sind durchaus beachtlich. Die CAS-Richter haben die Schuld Russlands klar und detailliert benannt. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass die russischen Behörden noch weiter manipuliert haben, nachdem die Welt-Anti-Doping-Agentur bereits ermittelt hatte.“

Stellt sich also umso mehr die Frage, wieso die CAS-Richter die von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) verhängten Sanktionen aufgelockert haben. Die WADA hatte unter anderem einen vierjährigen Ausschluss Russlands von großen Sportereignissen gefordert, dieser wurde auf zwei Jahre verkürzt. Außerdem wollte die WADA, dass russische Athleten nur dann unter neutraler Flagge starten können, wenn sie klar belegen können, dass sie sauber sind. Auch das haben die CAS-Richter abgelehnt, mit der Begründung, dies würde nur noch zu weiteren Rechtsstreitigkeiten führen.

Ja, Russland ist mit seinem staatlich organisierten Doping gut davongekommen

Marc Theisen, Anwalt

Diese Meinung vertritt auch Theisen. „Ja, Russland ist mit seinem staatlich organisierten Doping gut davongekommen“, findet auch Theisen. Die Aufregung über das Urteil kann er aus dem Grund auch nachvollziehen, aber die Diskussion greife zu kurz, so der Jurist. Auch die Frage, ob es, wie so oft im Weltsport, ein politisch motiviertes Urteil ist, sei nebensächlich. Wobei Theisen keine politische Motivation in diesem Urteil liest, im Gegensatz zu einigen anderen CAS-Schiedssprüchen. Für den Anwalt stellt sich eher die Frage: „Wir können nun darüber diskutieren, ob man Russland nicht doch hätte vier Jahre sperren sollen, aber das ist nicht das größte Problem.“

Theisen zufolge hat das Urteil klar aufgedeckt, dass die WADA und damit die weltweite Anti-Doping-Bewegung nicht über die Mittel verfügt, um effizient gegen organisiertes Doping vorzugehen. Zwar hätten die meisten Länder und Sportverbände sich dazu verpflichtet, den Anti-Doping-Code zu respektieren, „allerdings sind keine klaren Sanktionen definiert, die bei einer Verletzung dieser Verpflichtungen in Kraft treten“, so Theisen. Es ist die übliche Diskussion um die Bestrafung der Hintermänner. Im Fall Russland reichen diese bis in höchste staatliche Behörden. „Die richtigen Übeltäter können nicht bestraft werden. Dafür gibt es momentan keine Grundlage. Da liegt das Problem.“ Die Verweigerung einer Akkreditierung für eine Sportveranstaltung ist jedenfalls keine verhältnismäßige Strafe. 

Die definitive Bankrotterklärung

Durch dieses Urteil drängt sich also die Frage nach einer Reform der Anti-Doping-Bestimmungen auf. Theisen nennt die Europäische Union als Beispiel. „Die Mitgliedsländer verpflichten sich dazu, EU-Direktiven in einem gewissen Zeitraum in nationales Recht umzuwandeln. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, wird ein Verfahren eingeleitet und im Fall einer Verurteilung muss der Mitgliedstaat eine Strafe zahlen, die nach einem bestimmten Berechnungsmodell festgelegt wird.“ Diesen Weg müsse auch die WADA beschreiten. Theisen spricht sich in dem Kontext auch für eine weltweit einheitliche strafrechtliche Grundlage bei Dopingvergehen aus. Was ein Anti-Doping-Gesetz bringen kann, hat man am Freitag in Deutschland sehen können (Artikel). 

Am Samstag wird die „Mannschaft der russischen Handball-Föderation“ ihr zweites WM-Spiel gegen Slowenien bestreiten. Eine gerechte Strafe für seinen historischen Sportbetrug wird Russland nicht mehr bekommen. „Recht und Gerechtigkeit ist eben nicht immer deckungsgleich. Nun geht es darum, die richtigen Konsequenzen aus dem CAS-Urteil zu ziehen“, sagt Theisen. Aber ist der politische Wille für eine Reform des Anti-Doping-Kampfes überhaupt vorhanden? „Wenn die Reformen ausbleiben, kommt das einer Kapitulation gleich. Es wäre die definitive Bankrotterklärung des Anti-Doping-Systems.“