„Großzügige Geste“Unsolidarischer Impfnachzügler Bulgarien ist größter Nutznießer der Vakzin-Solidarität

„Großzügige Geste“ / Unsolidarischer Impfnachzügler Bulgarien ist größter Nutznießer der Vakzin-Solidarität
Bulgariens amtierender Regierungschef Bojko Borissow konnte bei seinen EU-Partnern erfolgreich zusätzliche Impfdosen lockermachen Foto: Stephanie Lecocq/EPA/dpa

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Größter Nutznießer der EU-Impfstoff-Umleitung ist Impfnachzügler Bulgarien. Das Land, das erfolgreich die Solidarität der EU-Partner eingefordert hat, zeigte sich bei seinen chaotisch organisierten Massenimpfungen mit dem schwächsten und gefährdetsten Teil der Bevölkerung bisher aber selbst kaum solidarisch.

In der Not bettelt der gewiefte Würdenträger mit hehren Worten ums Brot. Es sei eine „Frage der Solidarität“, dass alle EU-Mitglieder den „gleichberechtigten Zugang zu den Impfstoffen“ erhalten, mahnte Bulgariens inzwischen nur noch geschäftsführender Premier Bojko Borissow Mitte März einen größeren Anteil von Pfizer-Impfstoff für den gebeutelten Balkanstaat an: „Wir wissen, dass wir stärker sind, wenn wir vereint sind. Kein Land wird vor Covid-19 geschützt, wenn wir nicht alle in Sicherheit sind.“

Sein flammender Appell fand Gehör. Als größter Nutznießer der EU-Impfstoff-Umleitung wird Bulgarien fast die Hälfte der 2,68 Millionen Pfizer-Dosen erhalten, auf die 19 besser versorgte Mitgliedstaaten zugunsten von fünf unterversorgten Partnern verzichtet haben. Außer Bulgarien (1,15 Millionen zusätzliche Dosen) werden auch Kroatien (683.000 Dosen), die Slowakei (602.000), Lettland (376.000) und Estland (41.390 Dosen) im zweiten Quartal mehr Pfizer-Dosen beziehen als ihnen zustehen. Umgekehrt treten allein Deutschland über eine halbe Million sowie Frankreich und Italien jeweils über 400.000 Dosen ihres Kontingents ab.

Von einer „äußerst großzügigen Geste der EU“ spricht das Portal der Zeitschrift Kapital: „Diese korrigiert die Fehler der Regierung und bietet Bulgarien eine neue Chance, die Ungerechtigkeiten bei den Impfprioritäten zu beseitigen.“ Ob Sofia die Chance zu Kurskorrekturen bei der verfehlten Einkaufspolitik und den chaotisch organisierten Massenimpfungen nutzt, muss sich zeigen. Erst 6,99 Prozent der Bulgaren (Stand: 14. April) ist bisher zumindest eine Impfdose verabreicht worden. Das ärmste EU-Mitglied hinkt damit nicht nur den EU-Impfvorreitern Malta (40 Prozent) und Ungarn (32 Prozent), sondern auch dem EU-Mittel von 16,64 Prozent weit hinterher. Das von dem Impfnachzügler beklagte Ungleichgewicht ist indes keineswegs mit Ungerechtigkeiten bei der EU-Verteilung zu erklären, sondern ist zum Großteil hausgemacht.

Sofia setzte auf billigeren AstraZeneca-Impfstoff

Einerseits hatte Bulgarien bei den Vorbestellungen vor allem auf den billigeren AstraZeneca-Impfstoff sowie das noch immer nicht erhältliche Sanofi-Serum gesetzt und auf dem Land zustehende Pfizer-Kontingente bewusst verzichtet. Andererseits waren Bulgariens Massenimpfungen von Anfang an sehr schlecht, intransparent und ungerecht organisiert: Das Land, das erfolgreich die EU-Solidarität eingefordert hat, zeigte sich bisher mit dem schwächsten und gefährdetsten Teil seiner Bevölkerung selbst kaum solidarisch.

Der Anfang Dezember von der Regierung verabschiedete Impfplan definierte fünf Prioritätsgruppen. Als Erste sollen Ärzte und Krankenpfleger geimpft werden, in einer zweiten Phase Sozialarbeiter und Lehrer und in einer dritten Phase Berufsgruppen, die „für das Funktionieren des öffentlichen Lebens essenziell“ seien. Erst in der vierten Gruppe taucht mit den über 65-Jährigen und chronisch Kranken der gefährdetste Teil der Bevölkerung auf.

Als fünfte und letzte Prioritätsgruppe werden Bevölkerungsgruppen definiert, die durch ihren Lebensstil „einem höheren epidemiologischen Risiko“ ausgesetzt seien. Die Roma hätten faktisch „keinerlei Priorität“, ärgert sich gegenüber dem Tageblatt Emil Metodiew von der Selbsthilfe-Organisation „Ständige Roma-Konferenz“: „Dabei weiß jeder, dass die gesundheitlichen Bedingungen der Roma in Bulgarien sehr schlecht sind, sie eine zehn Jahre geringere Lebenserwartung haben und oft über keine Krankenversicherungen verfügen: Sie sind in der Epidemie besonders gefährdet.“

Impfplan wenig durchdacht

Schon der Plan für Bulgariens Massenimpfungen wirkte wenig durchdacht. Seine bisherige Umsetzung ist leider noch schlechter. Wie anderen Ländern machten Bulgarien erst die Lieferprobleme von AstraZeneca und nun das zunehmende Misstrauen gegen den Impfstoff zu schaffen, auf den Sofia ohne Not fast alle Karten gesetzt hat: Kritiker argwöhnen, dass dabei auch der Umstand eine Rolle gespielt haben könnte, dass die bulgarische AstraZeneca-Tochter von einer Politikerin der regierenden Gerb-Partei geführt wird.

Erschwerend kommt die sehr hohe Impfskepsis und das Ausbleiben wirksamer Aufklärungskampagnen hinzu. Laut einer Umfrage im März lehnen 43 Prozent der Bulgaren eine Impfung noch immer strikt ab. Die Berichte über Thrombose-Fälle nach Impfungen mit AstraZeneca haben zudem die Anzahl der Zweifler vermehrt: Obwohl das ins Gerede geratene Serum mittlerweile auch ohne Termin verabreicht wird, wollen sich Bulgaren kaum mehr damit impfen lassen.

Während ungenutzte AstraZeneca-Dosen in den Kühlhäusern lagern, sorgen auch die Impfungen mit den kargen Pfizer-Dosen für Unmut. Denn in der Prioritätsgruppe drei kommen vermehrt kerngesunde Bankangestellte, junge IT-Mitarbeiter sowie Angehörige von Unternehmern und Politikern zum Zuge. Gleichzeitig harren Alte und chronisch Kranke noch stets auf einen Impftermin. Die Regierung sei „großartig“, ätzte bereits im Februar die Zeitung Sega: Sie habe die Impfungen durch „monströses Chaos“ in Gang gebracht.