Corona-KriseWuhan – ein Jahr danach: Gespräch mit Vermögensverwalterin Sabrina Ren

Corona-Krise / Wuhan – ein Jahr danach: Gespräch mit Vermögensverwalterin Sabrina Ren
Bilder der Nachrichtenagentur AFP (12. Februar 2021) zeigen, wie heute das Leben in Wuhan wieder pulsiert. Selbst eine Maskenpflicht gibt es in der Millionenstadt heute nicht mehr. Foto: AFP/Hector Retamal

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Die Vermögensverwalterin Sabrina Ren ist gebürtig aus Wuhan. Mit dem Tageblatt hat sie über die aktuelle Situation in der mittlerweile weltbekannten chinesischen Stadt sowie über die weltweit unterschiedlichen Reaktionen auf den Ausbruch des Virus diskutiert.

Wuhan zählt rund zehn Millionen Einwohner und ist die Hauptstadt der chinesischen Provinz Hubei. Sie ist ein strategischer Knotenpunkt. Sie liegt fast genau in der Mitte zwischen Peking im Norden, Shenzhen und Hongkong im Süden sowie Schanghai im Osten. Auch der längste Fluss Asiens, der Jangtsekiang, fließt durch die Stadt. Trotzdem kannte sie bis vor einem Jahr in Europa kaum jemand. Dann kam Corona. Innerhalb von nur wenigen Wochen wurde Wuhan weltbekannt.

Ende 2019 wurden hier die ersten mit einer neuartigen Lungenkrankheit infizierten Fälle bekannt. Kurz darauf wurde die ganze Stadt unter Quarantäne gestellt. Sie wurde von der Außenwelt abgeriegelt, das öffentliche Leben wurde lahmgelegt und Ausgangssperren wurden verhängt. Gebannt schaute die ganze Welt auf das Geschehen. Erst nach mehr als zwei Monaten wurde am 7. April 2020 der drastische Ausnahmezustand wieder aufgehoben. In der Zwischenzeit hatte sich das Covid-19-Virus praktisch auf der ganzen Welt ausgebreitet.

„Glücklicherweise waren meine Eltern, als es Ende 2019 losging, gerade bei mir in Hongkong zu Besuch“, so Sabrina Ren gegenüber dem Tageblatt. „Sonst hätte ich mir ernsthafte Sorgen um sie gemacht.“ Sabrina Ren wurde in Wuhan geboren, ist dort aufgewachsen, ging dort zur Uni und begann dort mit ihrer Karriere im Finanzwesen. Nach einem Abstecher nach Schanghai und den USA lebt und arbeitet sie heute in Hongkong.

Beruflich verfolgt sie bei JK Capital Management, einem Unternehmen der La-Française-Gruppe, das Geschehen an den großen asiatischen Bösen. Auf ihre Geburtsstadt schaut sie mit einem besonderen Blick. „Auch wenn ich heute nicht mehr dort wohne, so habe ich immer noch Freunde und Familie dort“, sagt sie per Videokonferenz gegenüber dem Tageblatt. „Ich hatte nie damit gerechnet, dass meine Stadt auf diese Weise einmal weltberühmt werden würde.“

Ich hatte nie damit gerechnet, dass meine Stadt auf diese Weise einmal weltberühmt werden würde

Sabrina Ren

Sabrina Ren ist in Wuhan geboren und aufgewachsen. Sie arbeitet als Vermögensverwalterin bei JK Capital Management
Sabrina Ren ist in Wuhan geboren und aufgewachsen. Sie arbeitet als Vermögensverwalterin bei JK Capital Management Foto: JK Capital

Ende Dezember 2019, als noch vieles unklar war, hatten die lokalen Behörden falsch reagiert, erinnert sie sich. „Sie hatten alles zu sehr auf die leichte Schulter genommen.“ Eine große Gemeindeveranstaltung wurde zugelassen, was der Verbreitung des Virus geholfen habe. „Erst mit Verzögerung haben die lokalen Behörden aktiver und nachvollziehbarer reagiert.“ Letztere verhängten dann am 23. Januar 2020 den Lockdown. Lokale Entscheidungsträger wurden abgesetzt. Ein neuer Bürgermeister kam, um die Gegenmaßnahmen zu leiten. „Schnell wurden mehrere vorübergehende Krankenhäuser errichtet. Jeder, der glaubte, infiziert zu sein, musste hin. Mehr als 13.000 Betten für Verdachtsfälle wurden aufgestellt.“ Bis die Stadt wieder geöffnet wurde, sollten volle 76 Tage vergehen.

„Heute ist in Wuhan wieder alles normal und es läuft sogar richtig gut“, so Sabrina Ren. „Die Wirtschaft dreht rund, die Exporte boomen.“ Seit etwa sechs Monaten habe es in der Stadt keinen Corona-Fall mehr gegeben. „Maskenpflicht gibt es keine und selbst die Zahlen der Kinobesucher hat 2021 die von 2019 übertroffen.“

„Heute ist in Wuhan wieder alles normal“ 

Insgesamt gilt China wirtschaftlich als Gewinner der Corona-Krise. Während fast alle großen Staaten 2020 wegen der Folgen der Pandemie historische Rezessionen verkraften mussten, dürfte die Volksrepublik noch um 1,9 Prozent zugelegt haben, schätzt der Internationale Währungsfonds. Im ersten Quartal brach das BIP in China offiziellen Zahlen zufolge um 6,8 Prozent im Vorjahresvergleich ein. Mit den Lockerungen der Maßnahmen wuchs die Wirtschaft aber bereits im zweiten Quartal wieder um 3,2 Prozent.

Selbst die anfangs befürchtete Pleitewelle trat nicht ein. „Anfangs gab es sehr große Probleme, vor allem bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen.“ Doch auch hier habe die Regierung schnell genug gehandelt, so die Vermögensverwalterin weiter. „Die Regierung bot den Unternehmen finanzielle Hilfen an und fragte die Banken, mit der Verlängerung von Kreditlaufzeiten zu helfen. Bereits im zweiten Quartal 2020 war die Pleitewelle kein Thema mehr. Die Geschäfte waren kurzfristig unterbrochen – und dann lief alles schnell wieder an.“

Auf die Frage, warum China relativ gut durch die Krise gekommen ist, antwortet Sabrina Ren: „Bei Pandemien gibt es drei wesentliche Aufgaben. Die erste und wichtigste ist, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Dann kommt es darauf an, die Infizierten effizient und medizinisch zu versorgen. Drittens: die Entwicklung der Impfstoffe.“ Anfangs habe die Regierung von Wuhan nicht schnell genug gehandelt, um eine Ausbreitung des Virus in der Stadt zu verhindern. Die Abriegelung der Stadt und der Provinz Hubei habe jedoch verhindert, dass sich das Virus landesweit großflächig ausbreitete. Um Corona-Patienten in Wuhan zu behandeln, seien schnell provisorische Krankenhäuser errichtet worden und die Zentralregierung habe tausende medizinische Fachkräfte in die Stadt eingeflogen. Auch bei der Entwicklung von Impfstoffen habe China keine Zeit verschwendet, sagt Ren. Zwei Produkte – Sinovac und Sinopharm – seien frühzeitig in die klinische Erprobung der Phase III eingetreten und wurden bereits exportiert.

China hat sich für den harten Weg entschieden und wurde dafür belohnt

Sabrina Ren

Der Erfolg lasse sich nicht einfach dadurch erklären, dass China ein anderes politisches System habe, so die Finanzexpertin weiter. „Es geht viel weiter. Die Menschen müssen die Maßnahmen verstehen.“ Geholfen habe da die Sars-Erfahrung aus dem Jahr 2003. „Es war den Menschen bewusst, dass bei Virus-Ausbrüchen schnell gehandelt werden muss.“ Eine Regierung zu haben, die in der Lage ist, die Maßnahmen durchzusetzen, und eine Privatwirtschaft, die in der Lage ist, notwendige Produkte herzustellen, seien gleichermaßen wichtig, so Sabrina Ren. „Um schnell zu handeln, schnell medizinisches Personal zu schicken. Es muss schnell genügend Material zur Verfügung stehen. Von Medizintechnik bis Baumaterial. Zudem muss die Logistik funktionieren.“ Ein Krankenhaus baue sich nicht von selbst in drei Tagen.

Einfach sei es jedoch nicht gewesen. „Vor allem im Februar war die Situation sehr schlimm“, sagt Sabrina Ren weiter. „Die Menschen fühlten sich im Stich gelassen und verzweifelt: Wir sind die Infizierten, wie der Arm, der abgeschnitten werden muss, um den Rest des Körpers zu retten. Geopfert für den Rest des Landes.“ Viele Menschen hätten geweint und sich gefragt, „ob sie morgen sterben werden“. Es sei eine sehr traurige Situation gewesen. „Niemand wusste, was morgen passieren wird? Die Stadt hat viel gelitten.“ Gedauert habe diese Situation, bis die lokalen Behörden ausgewechselt wurden und die Spitäler errichtet waren.

Ziel ist die Auslöschung des Virus – nicht niedrige Zahlen

In Wuhan dürfen die Restaurants Kunden empfangen (Foto von Februar 2021)
In Wuhan dürfen die Restaurants Kunden empfangen (Foto von Februar 2021) Foto: AFP/ Hector Retamal

„Nach den Erfahrungen von Wuhan ist Chinas Ansatz, das Virus auszulöschen und nicht nur zu versuchen, die Zahlen niedrig zu halten“, so die gebürtige Wuhanerin. Es sei alles unternommen worden, um jeden einzelnen Fall auszumerzen. „Die Logik ist sehr einfach: Wir wollen Sicherheit. Auch nach der Öffnung: Falls ein Fall festgestellt wurde, wurden sogleich Millionen Tests veranlasst und ganze Gemeinschaften mussten in den Lockdown.“ Letzten Endes aber hätten sich die hohen Kosten gelohnt, sagt sie. „Heute ist die Stadt wieder clean. Die meisten Städte Chinas haben in den letzten sechs Monaten keine Fälle mehr verbucht. Doch die Bevölkerung muss mitmachen.“

Auch in Hongkong seien kostenlose Tests angeboten worden – doch viele Einwohner seien nicht gekommen: nur drei von sieben Millionen. „In China war die Beteiligung derweil nicht freiwillig. Man musste mitmachen.“ In Hongkong sei die Zahl der Fälle demnach auch nie auf null gesunken. „Es gibt immer noch Fälle. Als Resultat ist die Grenze zu Festlandchina immer noch zu. Wer heute hin will, muss einen negativen Test vorweisen und 21 Tage in Quarantäne bleiben.“ Ihre Eltern sind demnach immer noch nicht nach Wuhan zurückgekehrt. „Nun aber nicht wegen der Situation in Wuhan – sondern weil Hongkong als Risikogebiet gilt.“

Risikogebiet Hongkong

Derweil bleibe auch die Regierung in China sehr vorsichtig. Dieses Jahr habe sie zum chinesischen Neujahrsfest die Menschen gefragt, dort zu bleiben, wo sie seien, sagt Sabrina Ren weiter. Es gehe darum, eine Verbreitung der neuen, importierten Virusmutationen zu verhindern. Normalerweise seien um diese Zeit 200 bis 300 Millionen Menschen unterwegs. Wer wirklich wolle, der dürfe auch verreisen, sagt sie weiter. „Aber nicht ohne Kosten. Die Menschen müssen einen Corona-Test machen und manchmal zwei bis drei Wochen Quarantäne in Kauf nehmen – für einen Urlaub, der normalerweise zwei Wochen dauert. Deshalb haben sich viele Menschen dazu entschieden, zu warten.“ Zur Motivation hätten auch einige Städte Coupons von 50 Euro und mehr zum Ausgeben vor Ort verteilt.

Dass Europa und die USA immer noch mit hohen Infektionszahlen zu kämpfen haben, liegt ihr zufolge daran, dass „diese Länder vor allem anfangs nicht schnell genug reagiert haben, wie auch die lokale Verwaltung in Wuhan“. Das sei absolut wesentlich. Dabei hätten die Behörden in Wuhan anfangs nicht gewusst, womit sie es zu tun hatten – die Behörden in Europa und den USA hingegen schon. „Dennoch haben sie die gleichen Fehler gemacht. Sie hätten vorbeugend viel mehr tun können. Doch scheinbar fehlte der Wille, vielleicht auch die Ressourcen.“ US-Präsident Donald Trump sei lieber über China hergefallen, statt selber zu handeln. „So entsteht eine Pandemie.“ China hingegen habe sich „für den harten Weg entschieden und wurde dafür belohnt“.

Vergnügungspark in Wuhan im Februar 2021
Vergnügungspark in Wuhan im Februar 2021 Foto: AFP/Hector Retamal