US-Wahl Experte Dr. David Sirakov: „Die USA sind nicht nur gespalten wegen Trump“  

US-Wahl  / Experte Dr. David Sirakov: „Die USA sind nicht nur gespalten wegen Trump“  
Amtsinhaber Donald Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in Florida Foto: AFP/ Brendan Smialowski

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Die Welt starrt gebannt auf die USA. Heute wählen die Amerikaner einen neuen oder alten Präsidenten. Wer es wird, hat Auswirkung auf viele Länder in der Welt und auf Europa. Ein Gespräch mit dem USA-Experten Dr. David Sirakov über Wetten, Ängste und Konflikte in Beziehungen.

Tageblatt: Haben Sie eine Wette laufen, wer die Wahlen gewinnt?

Dr. David Sirakov: Habe ich nicht. Nach 2016 wette ich nicht mehr und bin aus dem Prognosegeschäft ausgestiegen. Der Wahlkampf damals hat gezeigt, wie unsicher Berechnungen und Umfragen sind.

Vier Jahre hat die Welt Trumps Amerika erlebt. Was ändert sich im Verhältnis Europa/USA, wenn Joe Biden gewinnt?

Es wird eine atmosphärische Veränderung stattfinden. Ein anderes Auftreten. Biden ist ein erfahrener Politiker. Im Ton werden wir sicherlich eine Verbesserung erleben. Das heißt aber nicht, dass wir in bestimmten Gebieten keine Konflikte haben werden.

Konflikte gehören in guten und langjährigen Beziehungen dazu, oder?

Ja, das ist richtig. Die Frage ist aber, wie man sie austrägt. Auch ein Joe Biden wird darauf drängen, dass die Europäer ihren Verteidigungshaushalt entsprechend ausstatten, was die NATO betrifft. Er wird aber nicht wie Trump diese Verteidigungsgemeinschaft gleich ganz infrage stellen.

Das heißt, er wird bei Handelsfragen auch nicht gleich mit Sanktionen und Strafzöllen kommen?

Nein. Biden wird auf Verhandlungen setzen.

Welche Bundesstaaten sind Ihrer Meinung nach entscheidend für den Wahlausgang?

Das sind die „Swing States“, also die Staaten, in denen sich die mehrheitliche Wahlentscheidung ab und an ändert. Dazu zählt Florida, dort wird auch als erstes ausgezählt. Hinzu kommen Pennsylvania, Wisconsin und Michigan. Die letzten drei waren 2016 das Zünglein an der Waage.

Was ist in Ihren Augen die „Faszination Trump“? Viele Europäer können nicht nachvollziehen, dass Menschen gut finden, was er tut. Haben wir die falsche Brille auf?

Die europäische Brille tickt anders als die amerikanische. Es gibt in den USA viele Menschen, denen die Politik der letzten Jahrzehnte nicht wirklich weitergeholfen hat – vor allem ökonomisch.

Das ist aber in anderen Ländern auch so, wo sich viele von Globalisierung und Strukturwandel abgehängt fühlen …

Ja, aber Trump hat 2016 noch etwas anderes geschickt in den Vordergrund gerückt. Er hat sich sehr gut als jemand verkauft, der nicht Teil des politischen Establishments ist. Er hat versprochen, die Interessen dieser Menschen besser vertreten zu können, weil er nicht Teil der verhassten politischen Klasse in den USA ist. Das verfängt heute immer noch bei seiner eingefleischten Gefolgschaft.

In welchen Teilen der Gesellschaft kann Trump derzeit mit der meisten Unterstützung rechnen? Wie sieht der typische Trump-Wähler aus?

Vereinfacht gesagt sind es ältere, weiße Männer mit keinem hohen Bildungsabschluss, die aber nicht schlecht verdienen. Das Motto „Make America great again“ suggeriert ja, dass Amerika vor Trump am Boden lag. Das hat bei der letzten Wahl Ängste vor sozialem Abstieg geschürt, wenn es so weitergeht. Diese Menschen wissen genau, dass sie mangels entsprechender Bildung bei Jobverlust nicht so schnell einen neuen finden. In den Augen dieser Gefolgschaft hat Trump das Land wiederaufgerichtet.

Und unter Biden gibt es die Rolle rückwärts?

Genau diese Ängste schürt Trump jetzt wieder. Er kann momentan wenig Positives vorweisen, deshalb bleibt nur negative Wahlwerbung. Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, Außenhandelsdefizit, Verschuldung der USA, da hat er wenig erreicht.

Trump hinterlässt ein zutiefst gespaltenes Land. Wird ein Joe Biden das je überwinden können?

Wird er nicht. Die USA sind nicht nur gespalten wegen Trump. Er ist ein Symptom dessen, was in den letzten drei Jahrzehnten schiefgelaufen ist. Und es ist der Boden gewesen, auf dem der Wahlsieg Donald Trumps möglich wurde.

Was ist denn schiefgelaufen? Ist das präsidiale System der USA mit nur zwei Parteien im 21. Jahrhundert überholt?

Die USA haben mit diesem System über 250 Jahre relativ gut funktioniert. Und es gab sicherlich Phasen, in denen es an Grenzen gekommen ist. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass es schwierige Phasen übersteht und gestärkt daraus hervorgeht. Das Problem aktuell ist, was diese beiden Parteien daraus machen. Sie haben gezeigt, dass sie sich, wenn es darauf ankommt, im Kongress, dem Parlament, einigen können. Wenn sie sich nicht mehr auf einen Kompromiss einigen können, blockieren sie wichtige politische Entscheidungen. Das ist im Moment der Fall und ein riesiges Problem, weil es sich auf die amerikanische Gesellschaft überträgt.

Und das Wahlsystem?

Es zeigt, dass jemand Präsident werden darf, der nicht die Mehrheit der Stimmen erhält. Das löst bei den Wählern schnell das Gefühl aus, wenn sie wählen, könnten sie betrogen werden.

250 Jahre hat es gut funktioniert. Mittlerweile ist aber klar, dass die amerikanische Verfassung für Menschen geschrieben wurde, die ein Unrechtsbewusstsein haben. Trump hat keines …

Die amerikanische Verfassung basiert auf dem Glauben, dass alle beteiligten Akteure eine Ethik haben bei dem, was sie tun. Das heißt auch, wenn ich eine Wahl verliere, fechte ich das nicht an. Und wenn ich Präsident bin, dann versuche ich nicht, mich an diesem Amt zu bereichern. Donald Trump ist ein Akteur, der nicht zu dieser politischen Klasse gehören will, und er hält sich nicht an diese Ethik.

Bilder aus den USA in diesen Tagen zeigen verbarrikadierte Schaufenster, die USA rüsten sich für bürgerkriegsähnliche Zustände. Sehen Sie das auf das Land zukommen?

Das ist eine schwierige Frage. Fakt ist, dass die Gewaltbereitschaft in der amerikanischen Gesellschaft zugenommen hat. Charlottesville, rechtsradikale Ausschreitungen, Black Lives Matter: Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Geschäftsleute Angst haben. Die Frage ist, ob Republikaner wie Demokraten eine Wahlniederlage anerkennen, so wie es sich in einer Demokratie gehört.

Ungewöhnlich viele Künstler engagieren sich aktuell gegen Trump … Haben gerade diese Kreise ihn das letzte Mal dramatisch unterschätzt?

Ich glaube, alle haben ihn unterschätzt, er sich selbst auch. Sein Wahlsieg war überraschend, seine Administration war gar nicht darauf vorbereitet, die Präsidentschaft der USA zu übernehmen. Das hat sich vor allem zu Beginn seiner Amtszeit gezeigt. Dass sich Künstler nun vermehrt einmischen, hängt damit zusammen, dass sie tendenziell eher die Demokraten unterstützen als die Republikaner.

Es sind aber viele und sie sind sehr deutlich oder täuscht das?

Künstler in den USA haben sich bislang noch immer in den Wahlkampf eingeschaltet und Position bezogen. Es gibt einige Genres, die tendenziell eher den Republikanern zugeneigt sind. Ich denke an Vertreter der Countrymusik. Aber auch da gibt es Ausnahmen wie die Band The Chicks. Will.i.am von den Black Eyed Peas hat für Barack Obama damals extra einen Rap geschrieben. Der Text waren Auszüge aus seinen Reden. Im jetzigen Wahlkampf fallen die Künstler eher auf, weil sie zugegebenermaßen ungewöhnlich deutlich sind.

Warum?

Sie wissen jetzt, wie vier Jahre Trump aussehen. Und viele haben ihre schlimmsten Befürchtungen Realität werden sehen. Das politisiert natürlich – nicht nur im künstlerischen Bereich. Wir werden, glaube ich, 2020 eine höhere Wahlbeteiligung sehen. Das war schon bei den Zwischenwahlen 2018 für den Kongress der Fall.

Trumps Darstellung als erfolgreicher Unternehmer ist nach den letzten Berichten der New York Times angekratzt. Dabei, dass er nach Pleiten, Pech und Pannen immer wieder aufstehen konnte, hat die Deutsche Bank entscheidenden Anteil. Warum ist das oft nur einen Nebensatz wert?

Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass bis heute konkrete Informationen dazu fehlen. Und damit, dass sich Trump bis heute weigert, seine Steuerunterlagen zu veröffentlichen. Aber auch das kommt bei der Wählerschaft Trumps anders an. Sie sagen, er hat das gemacht, was gesetzlich möglich war. Sie legen das eher positiv aus. Die Demokraten hingegen sagen, es kann nicht sein, dass ein Multimillionär nicht seinen fairen Anteil zahlt.

Die Steuern sind das eine. Er stand mehrmals als Unternehmer vor der Pleite und hat bei den amerikanischen Banken keine Kredite mehr bekommen. Die Deutsche Bank ist eingesprungen …

Das müssen Ermittlungsbehörden klären und die Deutsche Bank selbst. Ich vermute, sollte Trump nicht wiedergewählt werden, werden viele Ermittlungsverfahren gegen den dann Ex-Präsidenten der USA eingeleitet.

Könnte Biden daran scheitern, dass ihm unterstellt wird, er halte keine volle Amtszeit durch? Dann käme Kamala Harris … 

Es wird ganz klar eine Wahl für oder gegen Trump. Das hat sich in der Kür des Kandidaten bei den Demokraten gezeigt, die Biden ganz klar zutrauen, Trump zu schlagen. Jetzt geht es darum, die Wählerschaft der Demokraten an die Wahlurnen zu bekommen. Es wird darum gehen, dass die Briefwähler ihre Wahlzettel nicht erst heute abschicken, sondern dass sie das am besten schon gestern getan haben. Und dass sie ihre Briefwahl in die dafür vorgesehenen Briefkästen einwerfen. Dann kommt es nicht dazu, dass ein Gericht darüber entscheiden muss, ob sie noch gezählt werden. Ob Joe Biden seine Amtszeit voll durchzieht, ist momentan nicht wahlentscheidend.

Scheitert Trump dieses Mal daran, dass er die Corona-Krise schlecht gemanagt hat?

Ja. Wenn Trump scheitert, scheitert er an seinem schlechten Management der Corona-Krise. Er hatte vorher ganz solide Wirtschaftsdaten vorlegen können. Wäre Corona ihm nicht dazwischengekommen, würden wir heute vielleicht über die Höhe des Sieges von Donald Trump spekulieren.

Also ist Corona sein Minuspunkt?

Das hat gezeigt, dass er wirkliche Krisen nicht managen kann. Er hat Corona überhaupt nicht ernst genommen. Er hat wichtige Schritte nicht getan, sondern sie – im Gegenteil – noch aufgehalten. Maskenpflicht, Lockdown: Er hat einzelne Bundesstaaten unter Druck gesetzt, ihre Wirtschaft am Laufen zu halten. Untersuchungen haben gezeigt, dass am Ende seiner Wahlveranstaltungen, auf denen Masketragen verpönt ist, 30.000 Infizierte und 700 Tote stehen. Da sieht man, dass ihm die Wiederwahl und die Wirtschaft wichtiger scheint als Menschenleben.

Corona hat der amerikanischen Wirtschaft aber doch geschadet …

Genau. Es gab einen noch nie dagewesenen Einbruch, die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie seit der großen Depression in den 1930er Jahren nicht mehr. Das hätte er mit entsprechenden Maßnahmen abfedern können.

Kommen wir zur Außenpolitik: Russland hat bei den letzten US-Wahlen eine wichtige Rolle gespielt. Sehen Sie Ansätze, dass sich das bei diesen Wahlen wiederholt?

Man sieht, dass die Russen es auch dieses Jahr wieder versuchen. 2016 hat die Wahlkampagne darauf abgezielt, Wähler in den Bundesstaaten, wo es knapp ist, vor allem in den sozialen Netzwerken vom Wahlgang abzubringen. Facebook und Twitter arbeiten daran, gegen „Fake News“ vorzugehen. Untersuchungen nach dem Wahlergebnis werden Klarheit bringen. Ob oder ob nicht, lässt sich jetzt noch nicht abschließend beantworten.

„America first“ droht zum „America alone“ zu werden. Demontiert sich die USA nicht gerade selbst als Supermacht?

Das droht. Erstens, weil die USA unter Trump unzuverlässig geworden sind und zweitens, weil Trump keinen Zweifel daran lässt, dass sie das auch nicht mehr sein wollen. Wenn man sich die Außenpolitik aber genauer anschaut, wird klar, dass Amerika weiterhin als „Global Player“ agieren möchte.

Können wir am 4. November schon mit einem Ergebnis rechnen?

Wir können, glaube ich, mit einem vorläufigen Ergebnis rechnen, das eine Tendenz zeigt.

Hat Trump Chancen, das Wahlergebnis anzuzweifeln? Wenn ja, was wird er ins Feld führen?

Er wird es sicherlich anfechten, wenn die ersten Ergebnisse für ihn sprechen und die Briefwähler den Ausschlag zu seinem Ungunsten geben. Das hat er mit seiner Aussage in den letzten Wochen und Monaten, die Briefwahl sei anfällig für Manipulationen, vorbereitet.

Im Supreme Court sitzen Richter, die er benannt hat …

Sie sind mit sechs Richtern gegen drei in der Mehrheit, das stimmt. Es wird sich zeigen, was diesen Richtern wichtiger ist: die Loyalität zu dem Präsidenten, der sie nominiert hat, oder die Verfassung der USA. Ich gehe nicht davon aus, dass sie Trump automatisch recht geben. Ein eventuelles Anfechten und der Prozess wird aber sicherlich dem Ansehen des Supreme Court schaden.

Muss man es dieses Mal mit dem Churchill-Zitat halten, die Amerikaner werden schon das Richtige tun, nachdem sie alles andere vorher ausprobiert haben?

Ein schönes Zitat. Sehr weitsichtig. Es liegt in den Händen der Amerikaner. Sie werden entscheiden, ob sie diese Führung weitere vier Jahre haben wollen. Mit allen Konsequenzen. Die Wahl in den USA hat aufgrund der Bedeutung des Landes Auswirkungen auf viele Länder in der Welt – auch auf Europa.

Zur Person

Dr. David Sirakov (45) ist Politikwissenschaftler und hat an der Universität Trier Politikwissenschaft und Öffentliches Recht studiert. Er hat seine Doktorarbeit zum Thema „Beziehungen zwischen den USA und Russland in der Zeit Wladimir Putins und George W. Bushs“ geschrieben. Er ist Direktor der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern. Das Institut beschäftigt sich mit den Beziehungen der USA zum Rest der Welt. Der Sitz der Akademie und ihre Forschungsschwerpunkte sind kein Zufall. Rheinland-Pfalz stellt mit knapp 60.000 Amerikanern die größte amerikanische Präsenz in Deutschland und die größte Militärgemeinde außerhalb der Vereinigten Staaten. An der Atlantischen Akademie forscht Sirakov zu den transatlantischen Beziehungen und der Innenpolitik, insbesondere zu den gesellschaftlichen Entwicklungen, Stichwort Polarisierung und Populismus.

J.C.Kemp
3. November 2020 - 13.29

@Nomi: Si hu méi Parteie, wéi juste 2, mais déi aner zielen net. Koalitioune sin onbekannt well déi zwou Haaptparteie bis elo nach ëmmer oofwiesselend d'absolut Majoritéit haten. De Problem beim System läit éischter drun, dat 'first past the post' oder 'the winner takes it all' gewielt get. Domat get et keng wierklech proportionnel Majoritéit. Éischter ondemokratesch.

HTK
3. November 2020 - 11.29

Amerika hat ein ernstes Problem wenn Lachnummern wie Trump überhaupt die Vorwahlen überstehen. Die Banken und auch die Medien haben diese Figur populär gemacht.Die Banken weil Trump mit über 900 Millionen Dollar in der Kreide stand und die Medien weil sie den unfähigen und ungebildeten Narzist in den Himmel gelobt haben.Hinzu kommt noch die Verdrossenheit,vor allem der Jungwähler die gar nicht erst gewählt haben. Obama hat dieses Mal die Leute aufgerufen unbedingt zur Wahl zu gehen um so eine Katastrophe wie gegen Hillary Clinton zu vermeiden. Eine Gesellschaft wo Kreationisten und evangelische Prediger mit Leichtigkeit die Gehirne der Menschen infizieren können hat es schwer in einer säkularen Welt.Man könnte aber auch sagen,die Aufklärung hat es schwer in einer verrückten Welt in der die Verrückten normal sind. Morgen werden wir sehen ob Trump sich mit seiner Gurkentruppe im Weissen Haus verschanzt weil er partout Präsident bleiben will.

Nomi
3. November 2020 - 10.59

Wann een nemmen een 2 Partei'ensystem huet deen alternativ un d'Macht kennt, ass et normal datt d'Populatio'un gesplekt ass ! Et ass mei' gesond wann 3 - 4 Partei'en do sinn an eng Regierung mat Koalitio'un un d'Macht kennt !

GéBé
3. November 2020 - 9.25

Es liegt in den Händen der Amerikaner ................die richtig zählen können....oder wollen , oder etwa nicht ?