„Stinkbomben“ im Wahlkampf

„Stinkbomben“ im Wahlkampf
(AFP/Franck Pennant)

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Der Wahlkampf 2017 um die französische Präsidentschaft stellt Grundlagen der fünften Republik in Frage und lässt Zweifel an der herrschenden politischen Kultur aufkommen.

Wer in Frankreich in der Politik, der Wirtschaft oder der Kultur an der Spitze steht, muss dafür sorgen, dass sein Lebenslauf sauber ist. Zu gerne suchen französische Medien, insbesondere satirische oder Internet-Portale nach Schwächen, die gnadenlos ausgeschlachtet werden. Die grundlegende Veränderung der französischen Medienlandschaft wirkt dabei als ein Verstärker in bisher ungeahnte Größenordnungen.

Frankreich verfügt über drei Fernseh-Nachrichtensender, zwei Parlamentssender, dazu Internet-Recherchedienste wie etwa Media Part des ehemaligen Le Monde -Chefredakteurs Edwy Plenel. Unbestritten ist aber die Macht der satirischen Zeitschriften, die sich darauf spezialisiert haben, irgendwelche Skandale zu finden. Die mittwochs erscheinende Zeitung Le Canard enchainé kann als Opfer ihrer Berichterstattung eine Reihe von Ministern und Spitzenpolitikern auf ihre „Ruhmestafel“ schreiben. Die Artikel sind nicht immer ganz korrekt, häufig polemisch überspitzt, zeigen aber Wirkung. In letzter Zeit fehlte der Zeitung ein wenig der großer „Scoop“, andere waren schneller und härter. Die politische Zeitschrift « Marianne » entwickelte sich zu einem gut recherchierten, fundiert arbeitenden Magazin. Media Part, Le Monde, Marianne, Z1 lagen oft genug vor der angeketteten Ente.

Plötzlich vor dem Nichts

Es mussten die Wahlen kommen und der konservative Spitzenkandidat François Fillon, der der „Ente“ einen neuen „Erfolg“ schenkte. Die Beschäftigung von Familienmitgliedern als Assistenten mit hohen Gehältern war bis 2013 legal und nicht hinterfragt. Allerdings: moralisch geht das heute nicht mehr. Und der beratungsresistente Spitzenkandidat der Konservativen, der eine mehrspurige freie Autobahn zum ungehinderten Sieg in der Präsidentenwahl vor sich hatte, stand von jetzt auf gleich vor dem Nichts. Jeder Sender stürzte sich auf neue Nachrichten, brachte eigene Recherchen, die François Fillon immer tiefer in den Dreck zogen, bis hin zur Meldung, dass ein Freund ihm zwei Anzüge zum Preis von 13.000 Euro geschenkt hätte. Fillon gelingt es nicht mehr, in seinen Versammlungen wirklich über sein Programm und seine Politik zu reden. Stets gut gekleidet, schauen die Leute neuerdings auf seine Anzüge und fragen sich, ob es wohl der ist, der ihm geschenkt worden ist.

„Die Präsidentenwahl ist eine Sache zwischen einem Mann und den Wählern“, sagte der Begründer der fünften Republik, Charles de Gaulle. Nur, wie findet man den Kandidaten, der sich dem Volk stellt. In Frankreich waren es traditionell die beiden großen Blöcke – rechts und links – die die wichtigsten Kandidaten stellten. In einem System, das mehr und mehr die direkte Demokratie bevorzugt, dem Referendum immer stärker zuneigt, ließen die „Rechten“ und die „Linken“ ihre Kandidaten direkt wählen und gerieten in existenzielle Schwierigkeiten. Mit dem Kandidaten François Fillon und seinen Skandalen öffneten die drei Richtungen wieder. Einerseits die zum Bürgermeister von Bordeaux gehörende Gruppe, dann die, die François Fillon stützten und schließlich die Anhänger von Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Keine Gruppe war stark genug, um Fillon zu stürzen, denn der war ja mit überwältigender Mehrheit als Spitzendandidat vom Parteivolk gewählt worden. Und nun sitzen die „Rechten“ in der Falle und trauern heute schon der verlorenen Präsidentschaft hinterher.

Robotersteuern und universelles Einkommen

Bei den „Linken“ geht es nicht anders zu. Hier gewann ein Sozialträumer die Vorwahl und damit die Auseinandersetzung mit den „Realos“ . Es zerreißt die Sozialisten, zu sehen, dass Benoît Hamon die Sozialistische Partei auf die Seite der Traditionalisten zieht, die die moderne Gesellschaft nicht als Herausforderung sehen, sondern als Gefahr. Hamon träumt von Robotersteuern, von einem universellen Einkommen, das mehr kosten würde als der gesamte französische Haushalt. Er hat sich mit Thomas Piketty einen glamourösen, aber auch zweifelhaften Ökonomen zur Seite gestellt. Piketty will ein Parlament der Eurozone einrichten, in dem Länder wie Italien, Spanien, Frankreich die Mehrheit hätten, Deutschland zu höheren Staatsausgaben überreden und zur Übernahme der Schulden der Mittelmeerländer zwingen könnte. Kurz : Zu einer aus deutscher Sicht unseriösen Haushaltspolitik, die den Euro gefährdet und auch die Haushaltspolitik und Stabilität Luxemburgs.

Das französische System bricht bei der Präsidentschaftswahl 2017 auseinander. Die beiden großen, bisher staatstragenden Blöcke haben mit ihren Skandal- und Träumer-Kandidaten ihre Chance verspielt, den neuen Staatspräsidenten zu stellen. Sie brechen deutlich auseinander, führen mitten im Wahlkampf interne Machtkämpfe für die Zukunft. Ihnen stehen zwei Männer gegenüber, die sich nicht an die Parteien halten. Jean-Luc Mélanchon, ganz links außen hat mit seiner Ein-Mann-Show wenig Chancen in den zweiten Wahlgang zu kommen.

Macron Kopf an Kopf mit Le Pen

Aber da steht der ehemalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, derzeit Kopf an Kopf mit der rechtsradikialen Marine Le Pen. Macron sprengt mit seiner vor nicht einmal einem Jahr gegründeten Bewegung die Parteienlandschaft. Er steht als Saubermann da. Und alle Versuche, ihn unter der Gürtellinie zu attackieren, scheiterten bisher. Als er als „schwul“ bezeichnet wurde , stellte er sich auf die Bühne des Pariser Theaters „Bobino“, ironisierte und parodierte das Gerücht. Als ausgerechnet die Skandal umwitterten „Rechten“ ihm vorwarfen, mit 120.000 Euro Ausgaben leichtfertig mit seinem Repräsentationsetat als Minister umgegangen zu sein, stellte sich der nicht gerade als Freund empfundene Finanzminister vor ihn und erzählte, dass alle Ausgaben geprüft und für korrekt befunden worden seien. Der „Träumer“ Benoît Hamon von den Sozialisten versuchte ihn auf dem Feld der Finanzen zu attackiern und sähte Zweifel, als er Macron vorwarf, man wisse nicht, woher das Geld käme, mit dem Macron seinen Wahlkampf finanziere.

Falscher Zeitpunkt: Als der Vorwurf in die Welt gesetzt wurde, unterzeichnete Macron gerade einen Kreditvertrag über 8,2 Millionen Euro zur Wahlkampf-Finanzierung. Ansonsten setzt Macron in der Art eines Barack Obama auf Spenden, ungeheuer viele kleine Spenden. Hamon, der seinen Wahlkampf mit den Staatsgeldern früherer Wahlkampf-Kosten finanziert, musste sich als Antwort genau das sagen lassen.

„Stinkbomben“ und persönliche Angriffe

Der französische Präsidentschaftswahlkampf ist ein Wahlkampf der „Stinkbomben“ und der persönlichen Angriffe. Die rechtsradikale Marine le Pen hat ihren Gegner mit Emmanuel Macron ausgemacht und greift ihren Gegner als den Mann an, der Frankreich den Brüsseler Eurokraten zu Füßen legen will, der die Souveränität Frankreichs opfern will. Anders als bei François Fillon greifen Angriffe auf die Chefin der Rechtsradikalen wegen der Ermittlungsverfahren aber nicht. Es laufen Ermittlungsverfahren gegen sie, gegen ihre Assistentin, gegen ihren persönlichen Schutzmann. Der Front National, bügelt das alles mit der persönlichen Feindschaft eines deutschen Mannes namens Martin Schulz gegenüber dem Front National weg. Marine Le Pen darf sich erlauben, Ermittlungsrichtern mitzuteilen, dass sie nicht zu einem Verhör komme, weil sie eine Immunität besitze. Aber nach dem Wahlkampf komme sie gerne. Hier bestimmt also eine Politikerin, wann sie Zeit hat, mal beim Ermittlungsrichter vorbei zu schauen. Und der lässt sich das gefallen. Die Rechtsradikale hat hohe Staatsbeamte und Richter gewarnt, dass die Situation sich ändern werde, wenn sie erst einmal Präsidentin sei. Das gab für einen kurzen Augenblick einen Aufruhr, aber das war es dann. Also bleibt sie bis zum 7. Mai unbehelligt von der Justiz.

Der einzige Kandidat, der sich in Frankreich noch dagegen wehrt, dass die Rechtsradikalen an die Macht kommen, heißt Macron. Sowohl die Sozialisten als auch die bürgerlichen Rechten scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass die Rechtsradikale im ersten Wahlgang siegt und in die entscheidende Stichwahl einzieht. Frankreich ergibt sich den Rechtsradikalen. Sollte Macron den zweiten Platz belegen, dann wird die traditionelle französische Parteienlandschaft auseinanderbrechen und sich in neuen Gruppierungen wiederfinden. Bis dahin suchen die Blöcke nicht nach politischen Schwächen ihrer Gegner sondern nach Stinkbomben, die dann von den Medien vervielfältigt werden.