Sorgen im Norden

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(AP/Peter Morrison)

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Sorgen im Norden Europas: Vorgezogene Neuwahlen in Nordirland spalten Unionisten und Republikaner noch weiter.

Vergangenen Montag gab es mit dem Rücktritt von Martin McGuinness den Knall. An diesem Montag donnerte das Echo zurück. Nordirland stehen vorgezogene Neuwahlen ins Haus. Das in Zeiten der Brexit-Unsicherheit. Das in einem Landstrich, der seit langem zerrissen ist. Belfast hat nun eine Regierungskrise, die den Friedensprozess ernsthaft bedroht.

Die Trennlinien verlaufen wie eh und je zwischen protestantischen Unionisten auf der einen und katholischen Republikanern auf der anderen Seite. Die einen schwören auf die Treue zur britischen Krone. Die anderen träumen noch immer von einem Zusammenschluss mit dem Süden, mit der Republik Irland.

Diese Schwerter schwingen auch die politischen Vertreter der beiden Lager, die Democratic Unionist Party (DUP) und die republikanische Sinn Féin. Seit 1998 und dem Karfreitagsabkommen wurde dem Terror der IRA und der paramilitärischen protestantischen Organisationen abgeschworen. Es war der bislang erfolgreichste Versuch, die britische Provinz Nordirland zu befrieden. In den Jahrzehnten zuvor forderte dieser sehr europäische Terror mehr als 3.500 Todesopfer, rund die Hälfte davon Zivilisten.

Stumpfe Schwerter

DUP und Sinn Féin schwangen ihre Schwerter auch in den Jahren nach 1998. Das Good Friday Agreement hatte sie aber stumpf gemacht, die sektiererischen Auswüchse immer mehr zur Folklore verkommen lassen. Das Abkommen hielt fest – und eben dieser Punkt gerät nun gehörig ins Wanken –, dass die beiden großen Parteien Nordirland zusammen regieren, dass die Macht zwischen den katholisch-republikanischen Kräften und den pro-britischen protestantischen Unionisten geteilt wird.

Es gab seit 1998 keine Bombenanschläge mehr. Die paramilitärischen Gruppen beider Seiten lösten sich auf oder steckten den politischen Kampf zurück, fanden ihre neue Heimat zum Teil in der organisierten Kriminalität. Schutzgelderpressung ist nicht nur in den berüchtigten Vierteln der nordirischen Hauptstadt Belfast Alltag für viele Menschen. Auch andere ehemalige Zentren der mit britischem Understatement „Troubles“ genannten Aufstände wie Derry machen in dieser Hinsicht keine Ausnahme.

In der organisierten Kriminalität sind die paramilitärischen Splittergruppen kontrollierbar, zersetzt mit Informanten des britischen Inlandgeheimdienstes MI5. Man hielt den Deckel drauf, ließ sie in dem Rahmen gewähren, den man ihnen gestattete.

Dann kam der Brexit

Dann kam zuerst der Brexit. Nordirland stimmte mehrheitlich gegen den EU-Austritt Großbritanniens. Sinn Féin hatte sich offen dagegen ausgesprochen. Die DUP blieb ihrer Londoner Linie treu, warb für den Brexit. Das Sektierertum bekam einen ersten, noch zarten neuen Aufwind. Nun kommt es zu Neuwahlen. Das könnte aus diesem Aufwind einen Sturm machen, der sich der britischen Kontrolle entzieht. Nordirland geht sehr unruhigen Zeiten entgegen.

Vergangenen Montag hatte der stellvertretende Premier und ehemalige IRA-Chef Martin McGuinness überraschend seinen Rücktritt angekündigt. Laut Karfreitagsabkommen hat das zur Folge, dass bei einer Vakanz des Postens des Vize-Regierungschefs automatisch auch die Funktion des Regierungschefs ihre Grundlage verliert. Damit war die Koalition mit der DUP unter Premierministerin Arlene Foster gesprengt. Auch an diesem Montag weigerte sich die Sinn Féin, einen Ersatz für McGuinness zu nominieren. Die Frist hierfür war damit abgelaufen. Vorgezogene Neuwahlen sind nun unumgänglich.

Foster hatte sich zuvor gewehrt, ihr Amt niederzulegen. Genau das hatte die Sinn Féin gefordert. Zumindest so lange, bis der Skandal um ein Energieförderprogramm untersucht ist. Sinn Féin wirft Foster die Verschwendung öffentlicher Gelder genauso vor wie „Fehlverhalten“ und „Korruption“.

500-Millionen-Skandal

Der „Cash for Ash“ getaufte Skandal kostet den Steuerzahler mindestens 500 Millionen Pfund. Einige Prognosen gehen von einer Milliarde aus. Im Grunde geht es darum, dass staatliche Beihilfen etwa für Holzpellets zu hoch angesetzt waren und sich daraus enormer Profit schlagen ließ. Foster, ehemalige Wirtschaftsministerin, will dafür keine politische Verantwortung übernehmen. McGuinness sagte daraufhin, man werde „die Arroganz von Arlene Foster und der DUP nicht weiter hinnehmen“ und legte (gleichzeitig gesundheitlich schwer angeschlagen) sein Amt nieder.

Auch die Vermittlungsversuche des britischen Nordirlandministers James Brokenshire brachten nichts. Brokenshire musste am Montag pünktlich zur britischen Teezeit um 17.00 Uhr Neuwahlen ankündigen. Diese dürfen frühestens in 42 Tagen stattfinden. Die meisten gehen von einem Termin im März aus. Das ist der Monat, in dem die britische Premierministerin Theresa May Artikel 50 auslösen will, um dann endlich den Brexit-Ablauf mit der Europäischen Union verhandeln zu können.

Schmutziger Wahlkampf

In Nordirland stellt man sich auf einen schmutzigen Wahlkampf ein, in dem das Sektiererische triumphieren könnte. Die Sinn Féin behält dabei die starken Karten von Brexit-Gegnerschaft und dem „Ash for Cash“-Skandal in der Hand. Die DUP wird wohl, wie so oft, das Schreckgespenst eines Machtwechsels hin zu mehr republikanischen Kräften an die Wand malen.

Für die Menschen im „North“ bedeutet das kaum Gutes. Wirtschaftlich ist der Nordzipfel der Insel schon lange abgehängt. Politische Unruhen bis hin zur Sorge vor neuen „Troubles“ bieten aus dieser Spirale nach unten keinen Ausweg. Brokenshire konnte nur eine Sicherheit verkünden: das Datum für die nächsten Wahlen. Sie werden am 2. März stattfinden. Die vergangene Wahl liegt erst zehn Monate zurück, die nächste wäre normalerweise erst im Mai 2021 gewesen.