Präsidentin im Abwehrkampf

Präsidentin im Abwehrkampf
(AFP/Evaristo sa)

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Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ist seit Wochen nur mit dem Kampf gegen die Amtsenthebung beschäftigt. Trotz heftiger Kritik gibt sie sich erstaunlich gelassen.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff gibt sich erstaunlich gelassen ob des Hasses, der ihr entgegenschlägt. Sie hat gelernt zu kämpfen, während der Militärdiktatur wurde sie gefoltert. Seit 2011 im Amt und 2014 wiedergewählt haben ein Korruptionsskandal und eine tiefe Rezession ihre Umfragewerte abstürzen lassen. Seit Wochen ist sie nur mit dem Kampf gegen die Amtsenthebung beschäftigt.

Wenig Volksnähe

Sie verweist darauf, dass unter der Ägide der linken Arbeiterpartei seit 2003 rund 40 Millionen Menschen aus der Armut geholt worden seien und sieht in Sozialtransfers auch aktive Wirtschaftspolitik, da der soziale Aufstieg neue Käuferschichten und mehr Konsum beschere.

Sie hat weniger Volksnähe und Charisma als ihr Vorgänger Luiz Inacio Lula da Silva. In seiner Amtszeit wuchs die Wirtschaft kräftig, auch dank der sprudelnden Öleinnahmen, sie hatte zuletzt mit weit schwierigeren Rahmenbedingungen zu kämpfen – und hatte wenig Fortune.

Eine Kämpferin

Lula wollte sie wegen seiner weiterhin guten Kontakte und zur Stärkung ihrer Regierung zum Kabinettschef machen, aber ein Bundesrichter stoppte das wegen Korruptionsermittlungen gegen Lula – Rousseff haftet seither der Ruf an, ihn mit der Berufung nur vor der Justiz schützen zu wollen, was die Ablehnung zu ihr verschärfte. Durch den Verlust der meisten Koalitionspartner kann sie aber kaum noch etwas durchsetzen – und meidet die größere Öffentlichkeit.

Sie ist zwei Mal geschieden, seit 2011 leben ihre Mutter und ihre Tochter mit ihr im Präsidentenpalast. «Dilma», wie sie genannt wird, ist eine Kämpferin, Anhänger attestieren ihr ein «Coração Valente» (Mutiges Herz). Sie bezwang nicht nur eine Krebserkrankung. Als Guerilla-Mitglied wurde sie 1970 festgenommen und gefoltert.

Der aktuelle Korruptionsskandal, dazu Gerichte, die die Ernennung eines Ex-Präsidenten zum Minister blockieren, veröffentlichte Telefon-Mitschnitte der Präsidentin und untreue Koalitionspartner, stürzt Brasiliens Politik in eine tiefe Krise.

Fakten des Skandals

Hier die wichtigsten Fakten im Überblick:

Petrobras-Skandal

Seit zwei Jahren laufen Ermittlungen (Operation «Lava Jato»), die ein über Jahre gestricktes Korruptionsnetz aufgedeckt haben. Bei mindestens 89 Auftragsvergaben des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Petrobras an Bauunternehmen sollen Schmiergelder geflossen sein. Nach Schätzungen kann sich der Schaden auf 6,1 Milliarden Reais (1,48 Mrd Euro) belaufen. Gegen über 50 Politiker wird ermittelt.

Lula und Rousseff im Abwehrkampf

Präsidentin Dilma Rousseff war von 2003 bis 2010 Aufsichtsratschefin von Petrobras, ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva wehrt sich gegen Vorwürfe, ein Baukonzern habe ihn im Zusammenhang mit einem Apartment geschmiert. Gerade die linke Arbeiterpartei der beiden Politiker ist in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert, zudem wird Rousseff von einem Weggefährten beschuldigt, die Ermittlungen massiv zu behindern. Und Lulas Ernennung zu ihrem Kabinettschef endete im Debakel: Ein Bundesrichter legte sein Veto ein, da Lula im Regierungsamt wesentlich besser vor möglicher Untersuchungshaft geschützt wäre. Was als Befreiungsschlag gedacht war, endete in wütenden Protesten dagegen, dass eine Präsidentin einen Ex-Präsidenten vor der Justiz schützen wolle.

Rezession und Demontage der politischen Klasse

Die Wirtschaft ist 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosenzahl auf über 9,6 Millionen gestiegen. Doch die Regierung bekommt kaum noch Reformen durchgesetzt – weil die einstige Neun-Parteien-Koalition zerbröselt ist und Konflikte statt Kompromissbereitschaft das Geschehen prägen. Und es gibt ein überbordendes Patronagesystem. Rousseff hatte als Sparmaßnahme 2015 zwar acht Ministerposten gestrichen, jetzt sind es aber immer noch 31 Ministerien. Politik findet kaum noch statt. Und eine Zahl verdeutlicht den Niedergang der politischen Klasse: Von den 594 Mitgliedern des Kongresses gibt es gegen rund 350 Ermittlungen.

Justiz gegen Regierung

Richter Sérgio Moro ist für die Regierung zum Feindbild geworden, unerbittlich führt er die Ermittlungen der Operation «Lava Jato». Er sollte auch über Untersuchungshaft und einen Prozess gegen Lula entscheiden – aber der Oberste Gerichtshof entzog ihm den Fall. Moro veröffentlichte als kleine Gemeinheit einen Telefonmitschnitt zwischen Lula und Rousseff, der sich so interpretieren lässt, dass sie ihn mit dem Ministeramt schützen will. Führende Juristen kritisieren Moro dafür scharf, da Rousseff als Präsidentin eigentlich besonderen Schutz genießt und gegen sie gar nicht ermittelt wird. Moro wird von Rousseffs Gegnern gefeiert, die Mitschnitt-Veröffentlichung hat ihren Niedergang beschleunigt.