Neue Verhaftungswelle in der Türkei

Neue Verhaftungswelle in der Türkei

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In der Türkei ist eine der größten Verhaftungswellen seit Monaten gegen mutmaßliche Anhänger des Regierungskritikers Fethullah Gülen angelaufen.

Am Mittwoch seien mehr als 1000 Unterstützer des Predigers festgenommen worden, sagte Innenminister Süleyman Soylu vor Journalisten in Ankara. Sie hätten den Polizeiapparat unterwandert. Die Regierung wirft Gülen vor, Drahtzieher des im Juli 2016 gescheiterten Militärputsches gewesen zu sein. Seither sind Zehntausende Menschen festgenommen worden. Kritiker sehen nicht zuletzt seit dem Verfassungsreferendum Demokratie, Pressefreiheit und Menschenrechte in Gefahr. Der Europarat stellte die Türkei unter Beobachtung. Präsident Recep Tayyip Erdogan deutete in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters einen Kurswechsel beim geplanten EU-Beitritt an.

Die Verhaftungsaktionen gingen weiter, sagte der Innenminister. Es handle sich um ein Netzwerk, das die Polizei infiltriert habe und sich die „heimlichen Imame“ nenne. Erdogan sagte in dem Interview am Dienstagabend, Streitkräfte, Justiz und Polizei sollten von Gülen-Anhängern „gesäubert“ werden. Der Kampf gegen den Prediger sei vergleichbar mit dem Kampf gegen die verbotene Kurden-Miliz PKK und andere Terrororganisationen wie der Islamische Staat (IS). Die Bundesregierung zeigte sich besorgt angesichts der neuen Verhaftungswelle. Man glaube nicht, dass die Verhaftung von Tausend Personen so eine lange Zeit nach dem Putsch wirklich verhältnismäßig sei, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin.

Seit dem Putschversuch sind in der Türkei mehr als 40.000 Menschen verhaftet worden. Zudem sind 120.000 Beschäftigte unter anderem des öffentlichen Dienstes, der Justiz, der Polizei und des Militärs entlassen oder suspendiert worden.

Kurswechsel in der EU-Politik

Kritiker im Inland und in Europa werfen Erdogan vor, sich immer mehr in einen autokratischen Herrscher zu wandeln und die demokratischen und weltlichen Grundlagen der modernen Türkei zu gefährden. In der EU mehren sich die Stimmen, die ein Ende der Beitrittsgespräche fordern, wenn Erdogan die Vorhaben aus dem von ihm gewonnenen Verfassungsreferendum in die Tat umsetzt. Dieses sieht eine massive Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten vor. Die türkische Oppositionspartei CHP erklärte, sie werde gegen den Ausgang des Referendums Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen. Mit ihrer gerichtlichen Klage in der Türkei gegen Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung war die Partei gescheitert.

Erdogan seinerseits erwägt einen Kurswechsel beim EU-Beitritt, wenn die feindseligen Tendenzen anhielten und die Türkei weiter hingehalten werde. Er sei bereit, ein Referendum zur EU abzuhalten, sagte der Präsident in dem Reuters-Interview. „Warum sollen wir noch länger warten?“ Die Türkei stehe bereits seit 54 Jahren vor den Toren der EU, obwohl sie alles tue, was von ihr verlangt werde. Die EU habe sich nun der Türkei verschlossen, kritisierte Erdogan. „Was das Ausmaß an Islamophobie betrifft, ist es in Europa sehr schwierig geworden.“ Die EU-Kommission erklärte, es sei an der Türkei, ihre Position zu klären.

Nicht einfacher werden die Beziehungen zur EU auch dadurch, dass Erdogan eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Gespräch gebracht hat. In einem solchen Falle sieht die EU keine Chancen mehr für einen Beitritt. Die Beitrittsgespräche begannen 2005. Das Thema Türkei dürfte auch beim informellen Treffen der EU-Außenminister am Freitag in Malta diskutiert werden.