Historisches und architektonisches Esch (73)Stade de la Frontière

Historisches und architektonisches Esch (73) / Stade de la Frontière
Blick auf die Zuschauerränge heute mit den Wohnhäusern der Hoehler Straße, der „Casa grande“ und dem früheren Tagebau am „Gaalgebierg“ Foto: Christof Weber

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In dieser Serie wurde bereits über so manchen Tempel berichtet. Ein Tempel der besonderen Art darf hier nicht fehlen: de Jeunesse-Terrain op der Grenz. 

Meine erste bewusste Erinnerung an ein Fußballspiel dreht sich um diesen heiligen Rasen. Es war am Abend des 19. September 1973. Europapokal der Landesmeister: die Schwarz-Weißen der Jeunesse Esch, „the little steelworkers“, gegen den FC Liverpool, gegen die großen „Reds“ von Keegan, Clemence, Toshack. Ich war acht Jahre alt und hatte noch nie so viele Menschen gesehen: offiziell 6.105 Zuschauer. An das Spiel selbst kann ich mich nicht erinnern. Aber an die Apotheose, als Gilbert Dussier das 1:1-Ausgleichstor schoss und die Sensation perfekt machte. Die „Grenz“, dieses Stadion, das wie die Anfield Road inmitten von Arbeiterkolonien liegt, explodierte.

Die Geschichte dieses Tempels begann 1907, als zwei Grenzer Jungen eine Entscheidung trafen: „Im Juli 1907 saßen wir, mein Freund Henri Rizzi und ich, gemütlich im Schatten des Clairchêne und sahen einem Fußballspiel zu. Mir war es schon früher vergönnt gewesen, als Student im Spiel mitzumachen, während Henri nur stiller Zuschauer sein durfte. An seinem nachdenklichen Blick erkannte ich, dass sein Geist auf ein bestimmtes Ziel hinsteuerte. Einen Ball und spielen! Aber wo und wie? Einige Tage später war der Lederball beschafft, und nach einer kurzen Erläuterung über Spiel und Regeln ließen wir auf dem Katzenberg unsern Gefühlen freien Lauf.“

Mit diesen Worten erinnert sich Jean-Pierre Weber, ehemaliger Schüler der Escher Industrieschule, der vom Spieler zum Präsidenten fast alle Posten im Verein bekleidete, an die Gründung der Jeunesse de la Frontière im Jahr 1907. Gespielt wurde zuerst in den Wiesen neben den Kolonien der Katzenbergstraße. Doch die Eigentümer der Wiesen verjagten die Anhänger dieser neuen Sportart schnell.

„Bald wurde in Wiesen und Brachland an der Landesgrenze, bald hinter der Other Brücke, bald in der Nachbarschaft der Ziegelei gespielt, je nach dem Ausgang homerischer Kämpfe mit den Besitzern oder Pächtern der betreffenden Grundstücke“, erinnerte sich Felix Mandy 1947 an die Pionierzeit.

„Op der Grenz“ Anfang der 1930er-Jahre. Vor der Bretterwand und auf den Zwischendächern verfolgt das Publikum im Sonntagsanzug das Spiel seiner Jeunesse. 
„Op der Grenz“ Anfang der 1930er-Jahre. Vor der Bretterwand und auf den Zwischendächern verfolgt das Publikum im Sonntagsanzug das Spiel seiner Jeunesse.  Privatsammlung: Denis Scuto

Dank der Vermittlung des Sekretärs des Aachener Hütten-AV, Pierre Reiff, wurde ein Gelände auf dem Katzenberg kostenlos zur Verfügung gestellt. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde das Spielfeld um Kazebockel, das jenseits der Grenze lag, von der deutschen Militärverwaltung gesperrt. Die Schwarz-Weißen mussten ihr Viertel verlassen. Ihr neues Spielfeld befand sich jetzt hinter der Brauerei Buchholtz in Lallingen.

Erst nach 13 Jahren Bemühungen und Migrationen quer durch Esch und rund um Esch gelang es einem Ausschuss um den Kaufmann Puttes Mart, Präsident des Vereins, Karl Haen, Vizepräsident, und Jean Christmann, Gärten zwischen den Aachener Kolonien und der Hoehlstraße zu erwerben, um ein eigenes Spielfeld mit Tribüne und Umzäunung aus Holz an der Stelle zu errichten, an der es sich heute noch befindet, im Herzen des Hoehler Viertels. Das war nur möglich durch die Vermittlung von führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft wie Jos Kieffer, Gemeinderatsmitglied, Jean Metz, Direktor bei Arbed Mines, Charles Charbaut, Direktor der „Société minière des Terres rouges“ (SMTR), Fritz Fischer, Direktor der Terre-rouge-Schmelz, Xavier Blum, Ingenieur, Nic Graser, Obermaschinensteiger bei SMTR und Alfred Lefèvre, Bauunternehmer.

Letzterer stellte Förderbahnen und Kipper gratis zur Verfügung. Die Drainage- und Planungsarbeiten wurden vom Ingenieur und Präsidenten der FLF, Guillaume Lemmer, persönlich überwacht. Die Arbeiten selbst wurden fast ausschließlich von Vereinsmitgliedern durchgeführt. Im Mai 1920 wurde das Spielfeld mit einem Fest für die Escher Bevölkerung und zwei Spielen gegen den FC Tilleur, Meister der belgischen Promotionsdivision, eingeweiht. In der folgenden Saison wurde die Jeunesse zum ersten Mal Meister. 28 Mal wurde der Meistertitel seither „op der Grenz“ gefeiert.

Perspektive des Art-déco-Eingangsportals rue Renaudin von Christian Scholl-Mersch, 1935
Perspektive des Art-déco-Eingangsportals rue Renaudin von Christian Scholl-Mersch, 1935 Copyright: Collection LAM Lëtzebuerger Architektur Musée

Mit dem neuen Spielfeld konnten jetzt auch verstärkt bekannte ausländische Mannschaften auf die „Grenz“ eingeladen werden. Als Höhepunkt der Saison wurde für Pfingsten 1921 der sechsfache italienische Meister Pro Vercelli eingeladen. Bereits am Samstag war der italienische Meister im Triumphzug von Tausenden Landsleuten unter musikalischer Umrahmung der Kapelle Verdi durch Esch bis zum Vereinslokal begleitet worden. Durch dieses Spiel wurde der Name Jeunesse international bekannt und andere namhafte Mannschaften folgten.

In den 1930er-Jahren, als der Verein von Dr. Émile Colling, dem „Dokter vun der Grenz“ und späteren Abgeordneten und Minister der Christlich-Sozialen Volkspartei, geleitet wurde, wurden wichtige Verbesserungen am Spielfeld durchgeführt. Die Bretterwand wurde durch eine Ziegelsteinumzäunung ersetzt, die Tribüne wurde mit Hilfe der Arbed-Lehrlinge vergrößert. Ein neues schönes Art-déco-Portal in der Renaudin-Straße mit Kassenräumen als Anbauten wurde nach Plänen des Architekten Christian Scholl-Mersch gebaut. Als erster Fußballverein im Land verfügte die Jeunesse 1937 über eine Beleuchtung, die es erlaubte, Abendspiele durchzuführen.

Die Montagabendspiele gegen den jeweiligen Gegner des FC Metz in der französischen Division nationale wurden bis in die 1950er-Jahre zu einer Institution. Gefolgt von anderen Fußballfesten: Am 14. September 1958 feierte die „Grenz“ Europapokalpremiere. Die Jeunesse empfing den schwedischen Meister IFK Göteborg. Unzählige Europapokalspiele gegen bekannte Gegner sollten folgen: AEK Athen, Panathinaikos, Liverpool, Fenerbahçe, Celtic Glasgow, Ferencvaros, Spartak Moskau, Dynamo Berlin, La Gantoise, Grasshoppers, Legia Warschau …

Das Grenzer Stadion Ende der 1970er-Jahre, im Herzen des Hoehler Viertels
Das Grenzer Stadion Ende der 1970er-Jahre, im Herzen des Hoehler Viertels Foto: Henri Clemens 

Der Zusammenarbeit zwischen Verein, Gemeinde und Arbed ist auch der Bau des neuen, modernen Stade de la Frontière zu verdanken, das am 2. August 1970 mit einem Spiel gegen Ipswich Town eingeweiht wurde. Das Spielfeld zeichnete sich schon vorher durch seine Einkesselung zwischen den Arbeiterhäusern der Hoehl und die Nähe der Zuschauer zum Spielgeschehen aus. Diese Einkesselung wurde jetzt noch betont durch den Neubau der Tribüne und der Zuschauerränge. Auf der 90 Meter langen und 70 Meter breiten Tribüne fanden bis zu 1.500 Zuschauer Platz. Die 18-stufigen Ränge der „Gradins“ fassten bis zu 4.000 Fans. Durch die Einbeziehung von Arbed-Gartenparzellen in der rue des Mines und der rue Renaudin konnte der Platz neu ausgerichtet und vergrößert werden. Der Rasen des 101,5 m langen und 66 m breiten Spielfelds wurde von derselben Firma angelegt, die auch für die Grünfläche des Olympiastadions in München verantwortlich zeichnete.

Das moderne Stadion von einst hat seine Aura behalten, ist aber 50 Jahre später, trotz rezenter Renovierung der Räumlichkeiten unter der Tribüne, leider zu einem der ältesten Spielfelder geworden und komplett renovierungsbedürftig. Ein Projekt der Gemeinde (Architekten: BENG) aus dem Jahre 1999, die Zuschauerränge („Gradins“) abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen sowie die Tribüne bis zum Eingang rue des Sports um ein Café und einen Loungebereich zu erweitern, ist in der Schublade verschwunden. Stadion und Verein sehnen sich nach besseren Zeiten.