Luxemburg feiert 175 Jahre Unabhängigkeit

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Aus der Schicksalsgemeinschaft wurde allmählich eine Gemeinschaft, aus dem "Zufall der Geschichte" ein eigenständiger Staat. Vor 175 Jahren wurde Luxemburg unabhängig.

„Einen Zufall der Geschichte“ nannte der Historiker Gilbert Trausch die Entscheidung des Wiener Kongresses 1815, das Herzogtum Luxemburg zum eigenständigen Großherzogtum zu erheben und es dem König der Niederlande als persönlichen Besitz zu überlassen. „Die Luxemburger wurden nicht um ihre Meinung gefragt und der neue Staat daraufhin auch kurzerhand den Niederlanden einverleibt“, schreibt Trausch.

Erst nach 14 Jahre währenden Unruhen, der belgischen Revolution und der Halbierung der Landesfläche wurde das Staatengebilde gefestigt. Die am 19. April 1839 von den Großmächten im Londoner Vertrag festgehaltene Entscheidung gilt allgemein als Anfang der Unabhängigkeit unseres Landes.

Die ersten Spuren des Großherzogtums sind allgemein bekannt. Die Grafschaft wird eng verknüpft mit der Gründung der Stadt Luxemburg. Die späteren Grafen von Luxemburg haben als deutsche Kaiser dem Land eine Ausstrahlung gegeben, die es durch seine bescheidenen Ausmaße und ohne wirtschaftliches Gewicht nicht bekommen hätte. Dennoch lief es nach der napoleonischen Niederlage die gleiche Gefahr wie auch die französischen Grafschaften und Herzogtümer: die der Integrierung in einen größeren Staat.

Pufferstaat

Dazu kam es nicht: Bei der Umorganisation von Napoleons Staatenordnung ordnete der Wiener Kongress Nordwesteuropa völlig neu. Großbritannien wünschte sich zwischen Frankreich und Preußen einen Pufferstaat. Als die Habsburger dann bereit waren, einzelne ihrer niederländischen Besitzungen gegen italienische Territorien einzutauschen, wurde das belgisch-niederländische Königreich zu so einem Pufferstaat.

Nachdem Wilhelm von Oranien-Nassau jedoch im Rheinland und in Hessen Territorien an Preußen abgetreten hatte, wurde ihm als Gegenstück ein großer Teil des ehemaligen Herzogtums Luxemburg als persönlicher Besitz und mit dem Titel eines Großherzogs zugesprochen. Das Großherzogtum, mit seiner imposanten Festung, sollte zudem dem Deutschen Bund beitreten.

Provinz der Niederlande

Diese vom Wiener Kongress ausdrücklich formulierte Trennung zwischen dem Großherzogtum und dem Königreich der Niederlande wollte der neue König-Großherzog allerdings so nicht akzeptieren. Er betrachtete Luxemburg ganz einfach als 18. Provinz der Niederlande. Es hatte das gleiche Grundgesetz und sonst nicht viel zu melden. König Wilhelm I. ließ zwar die Straßen erneuern und führte eine Schulreform ein, gleichzeitig machte er aber auch Niederländisch zur zweiten Amtssprache und belastete das ohnehin arme Luxemburg mit einer Steuerpolitik, die vor allem die Grundnahrungsmittel verteuerte.

Regierungs- oder Verwaltungsämter durften die Luxemburger nicht anstreben, auch vom Deutschen Bund blieben sie ausgeschlossen. Entsprechende Klagen wurden von den Beamten nicht einmal bis nach Den Haag weitergeleitet. Die moderne Geschichtsschreibung sieht darin einen klaren Beweis dafür, dass das Nationalgefühl in unserem Land bis dahin noch nicht sehr weit entwickelt war. Der 1815 geschaffene Staat blieb eine Fiktion, bestand lediglich auf dem Papier.

Unruhen

In Belgien war das anders. Die belgischen Provinzen des Königreiches der Niederlande widersetzten sich von vorneherein der niederländischen Herrschaft. Immer wieder gab es Unruhen. Mehr als 60 Prozent der Wähler widersetzten sich der Verfassung, die ihnen der König vorlegte. Die Luxemburger Notabeln stimmten ihrerseits dem Grundgesetz, das sie nicht berücksichtigte, problemlos zu.

Das Volk hingegen sah das anders. Sehr schnell schlossen sich die Luxemburger der Revolution gegen die autoritäre Herrschaft Wilhelms I. an, die 1830 in Belgien ausbrach. Man fühlte sich näher an Belgien als an den Niederlanden. Überall im Land wurden belgische Fahnen gehisst. Junge Luxemburger reisten nach Brüssel, um sich dort dem neuen belgischen Staat zur Verfügung zu stellen und gegen die Niederlande zu kämpfen.

Getrennte Verwaltung

Der belgische Staat beschloss daraufhin am 16. Oktober 1830, Luxemburg sei ein Teil von Belgien und werde einen eigenen Gouverneur mit Sitz in Arlon bekommen. Zwei Monate später, am 31. Dezember 1830, verfügte der junge belgische Staat, dass Luxemburg eine eigene, von den Niederlanden getrennte Verwaltung bekommen würde. Federführend bei der Belgischen Revolution war ein junger Luxemburger: Jean-Baptiste Nothomb. Allein das Bürgertum in der Hauptstadt blieb dem Haus Oranien ergeben. Sein Fernbleiben von allen Unruhen ist zweifellos der starken preußischen Anwesenheit zuzuschreiben.

Der König-Großherzog wollte es jedoch nicht auf einen bewaffneten Konflikt ankommen lassen. Er appellierte deshalb an die Londoner Konferenz der Großmächte. Diese zeigte jedoch Verständnis für die belgischen Forderungen und erkannte am 20. Dezember 1830 Belgiens Unabhängigkeit an. Nach langen Verhandlungen kam es zu einem Kompromiss: Das Großherzogtum, das der Wiener Kongress Wilhelm I. zugesprochen hatte, wurde zwischen Belgien und den Niederlanden aufgeteilt. Das belgische Parlament akzeptierte den Vorschlag, der König-Großherzog allerdings nicht. Es blieb demnach vorerst beim Status quo einer belgischen Verwaltung außer in der Hauptstadt.

Acht Jahre lang dauerten die Spannungen, erst 1838 gab der König-Großherzog endlich nach. Schweren Herzens akzeptierte er die Teilung Luxemburgs, die der Londoner Vertrag vom 19. April 1839 dann besiegelte. Damit wurde ein seit Jahrhunderten institutionell geeinter Raum geteilt: Der wallonische Teil fiel Belgien zu, der germanische Teil wurde endgültig für selbstständig erklärt, behielt aber den niederländischen König an seiner Spitze. Das Großherzogtum war auf weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft. 52 Prozent der Einwohner lebten auf 37,5 Prozent der Fläche, die etwa den heutigen Ausmaßen entspricht.

Nationales Bewusstsein

Wussten die Luxemburger, was mit ihnen geschah? Die modernen Historiker gehen davon aus, dass das nationale Bewusstsein, das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Nation, bis dahin noch nicht sehr weit entwickelt war. Luxemburg hatte zwar bereits im Mittelalter, mit den deutschen Kaisern aus dem Haus Luxemburg, europäische Geschichte geschrieben, das einfache Volk aus dem bescheidenen Herzogtum hatte von dieser internationalen Ausstrahlung jedoch nicht sehr viel mitbekommen. Es hatte dennoch Mühe, sich mit den neuen Gegebenheiten abzufinden. Und genau diese gefühlte Ungerechtigkeit ist die Grundlage der Bewusstseinsbildung. Aus der Schicksalsgemeinschaft wurde allmählich eine Gemeinschaft, aus dem „Zufall der Geschichte“ ein eigenständiger Staat.

Über das Datum des 19. April 1839, das heute von einer geschlossenen Politiker- und Historikerrunde gefeiert wird, lässt sich streiten. Ebenso über den Umfang der Feierlichkeiten. Denn eigentlich ist der 19. April 1839 kein freudiges Datum: Die Luxemburger kamen aus einer neunjährigen Zeit der Ungewissheit. Sie verloren die Hälfte ihrer Landesfläche. Und letztendlich hatte die Entscheidung der Großmächte nicht den Willen des Volkes respektiert, das sich sehr klar für Belgien entschieden hatte.

Dass Großherzogin Charlotte seinerzeit den 100. Jahrestag groß feiern ließ, war angesichts der drohenden Kriegsgefahr eindeutig eine strategische Entscheidung. Die Ausstellung zum 150. Jahrestag der Unabhängigkeit, die 1989 in den Victor-Hugo-Hallen ausgerichtet wurde, ist hingegen eher als Darstellung des Erfolges zu sehen, der aus dem halbierten Territorium einen wichtigen Stahlstandort, einen internationalen Finanzplatz und ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Union gemacht hat.